Siri Lindberg

Lilienwinter


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sie vor dem Wirt in Schutz. Es knistert zwischen ihnen, doch schon am nächsten Tag müssen beide weiterreisen. Schon jetzt fällt es Kiéran schwer, Jerusha und ihren Nachtlilien-Duft zu vergessen.

      Durch Zufall treffen sie sich auf der Handelsstraße wieder, und es macht Kiéran Sorgen, dass Jerusha vorhat, allein durch den gefährlichen Wald von Sharedor zu reisen. Obwohl es für ihn ein Umweg ist, bietet er ihr an, sie ein Stück zu begleiten, denn die Gegend ist berüchtigt wegen der abtrünnigen Magier, die Reisenden ihre Lebenskraft rauben.

      Zögernd nimmt Jerusha Kiérans Angebot an. Sie fühlt sich zu ihm hingezogen, versuchte aber mit aller Kraft, sich nicht in ihn zu verlieben – schließlich ist sie verlobt! Doch während sie zusammen reisen, jagen und streiten, werden ihre Gefühle für einander immer stärker. Mit Verspätung gesteht ihr Kiéran seine Blindheit, doch Jerusha reagiert gelassen. Es gefällt ihr sogar, dass er sie nie nach ihrem Aussehen beurteilen wird.

      Bei einer gefährlichen Begegnung mit einem der abtrünnigen Magier beeindruckt Kiéran sie wieder, sie ist immer stärker fasziniert von ihm. Doch gleichzeitig stößt sie ihn zurück, sie hat zu viel Angst vor dem Verrat, der ihr vorherbestimmt ist. Und Kiéran, der sein eigenes Schicksal hat und in dem noch immer eine tiefe Wut brodelt, geht fort, um den letzten Rest seines Stolzes zu retten.

       Kiéran macht sich auf den Weg zurück zu Fürst Eli Naír AoWesta und dessen Burg, der Quellenveste. Insgeheim hofft er, dass der Fürst ihn zumindest als Ausbilder bei der Truppe lässt. Er schafft es zu beweisen, dass er trotz seiner eigenartigen Blindheit noch immer imstande ist, die Escadron Blau zu führen. Wie sich herausstellt, war er wegen böser Gerüchte, die jemand über ihn in Umlauf gesetzt hat, nicht aus dem Tempel zurückgeholt worden. Mit Hilfe seines besten Freundes, des gutmütigen, etwas naiven jungen Elitekämpfers Santiago, macht er sich daran, herauszufinden, wer diese Intrige gegen ihn gesponnen hat. Stutzig macht Kiéran, dass sich anscheinend ein Anderwesen in der Quellenveste eingenistet hat – die wahre Natur des schönen, charmanten Nonar kann nur er selbst mit seinen „neuen Augen“ erkennen. Was will der Kerl bei den AoWestas?

       Kiéran denkt oft an Jerusha und sehnt sich nach ihr, doch ein Brief an sie kommt ungeöffnet zurück (was jedoch nur daran liegt, dass sie sich außerhalb der Grenzen Ouendas aufhält). Nach einer unschönen Begegnung mit seiner ehemaligen Verlobten gibt er der Versuchung nach, eine Nacht mit einer fremden Kurierreiterin zu verbringen.

       Schließlich kann Kiéran die Intrige aufklären. Es ist ein schwerer Schlag, als Fürst AoWesta sich trotzdem dagegen entscheidet, ihn in seinen Diensten zu behalten. Kiéran wird ehrenhaft aus den Terak Denar entlassen, zum Abschied schenkt ihm seine Escadron ein Schwert aus blauem Stahl. Außerdem darf er Reyn, der eigentlich der Truppe gehört, behalten – es kommt ohnehin niemand anders mit dem bissigen, temperamentvollen Hengst klar.

       Fürst Ceruscan aus dem Fürstentum Yantosi, als dessen Abgesandter Kiérans Vater in den verschiedensten Reichen und Fürstentümern gedient hat, schätzt Kiéran als brillanten Kämpfer, er bietet ihm eine Position in seiner Leibwache an. Doch Kiéran lehnt ab – in seinem achtzehnten Sommer hat er auf Ceruscans Burg Ger Iena gelebt und musste dabei mit ansehen, wie der Fürst eine junge Frau erwürgte, die ihm ein uneheliches Kind „unterschieben“ wollte. Und noch schlimmer, er tat es anschließend als Lappalie ab. Diese Bilder haben sich tief in Kiéran eingebrannt.

       Irritiert merkt Kiéran, dass sich auch in Fürst Ceruscans Gefolge ein Anderwesen eingeschlichten hat, die schöne Tinorey. Ceruscan will von Kiérans Warnungen nichts hören, er ist abhängig geworden von Tinoreys Heilkräften.

      Währenddessen muss sich Jerusha in der magischen Welt der Cinaya bewähren, denn zu ihnen haben sie die Ratschläge von Jikena Pir und das Symbol auf dem Felsen geführt. Die Cinaya sind Traumweberinnen, mächtige, nichtmenschliche Wesen. Sie leben nach strengen eigenen Gesetzen und haben Macht über das Schicksal, zum Beispiel indem sie Flüche wahr werden lassen. Die Cinaya dulden Jerusha in ihrer Mitte, weigern sich aber, ihr eine nützliche Auskunft zu geben. Nur mit Hilfe des Schattenspringers Grísho, der die Frauen belauscht, findet Jerusha heraus, in wessen Auftrag die Cinaya das Schicksal von Jerushas Familie „gewebt“ haben: Aláes. Jetzt hat Jerusha einen Namen als Anhaltspunkt, obwohl sie noch nicht weiß, wer sich dahinter verbirgt. Ihr ist nur klar, dass dieser Aláes wahrscheinlich kein Mensch ist.

      Jerusha machte sich auf den Weg, Aláes zu suchen, ein Weg, der sie zu den verfeindeten Zwillingsstädten Cym und Cyr im Fürstentum Yantosi führt. Doch auf dem Weg dorthin wird ihr die Geldbörse gestohlen, was sie erst bemerkt, als sie schon in einem Gasthaus gegessen hat und nicht bezahlen kann. Sie wird von den Stadtwachen abgeführt, doch ein zufällig vorbeireisender Gerhan – einer der mächtigen obersten Richter des Fürstentums – hilft ihr. Leor KaoRenda zeigt sich sehr charmant gegenüber Jerusha, und als sie erzählt, dass sie Bildhauerin ist, gibt er bei ihr ein Bildnis seiner selbst in Auftrag. Sie denkt daran, wie weit dieses Geld sie auf ihrer Reise bringen wird, und sagt zu. Erst in seiner Residenz merkt sie, dass sie ihm in die Falle gegangen ist – KaoRenda vergewaltigt sie, als er ihr eigentlich Modell sitzen soll. Völlig aufgelöst flieht Jerusha. Eine Chance, Kao­Renda anzuklagen, hat sie nicht, dazu ist der Gerhan zu mächtig.

       Bevor Kiéran die Quellenveste verlässt – er weiß selbst noch nicht genau, wohin er will und was er machen wird – , warnt er die Fürsten und seine einstigen Waffengefährten noch einmal vor den Anderwesen bei Hofe. Das entgeht Nonar und Tinorey nicht, und kurz darauf wird Kiéran von Skraelings – Vogelmensch-Wesen aus dem geheimnisvollen Nachbarreich Khorat – angegriffen. Doch Kiéran ist keine leichte Beute. Er besiegt die Skraelings und gewinnt dadurch wieder Vertrauen in seine Kraft. Außerdem lernt er seine neuen Augen schätzen, denn mit seiner alten, menschlichen Sehfähigkeit hätte er dieses Gefecht in der mondlosen Nacht niemals überlebt.

       Kurz nach diesem Gefecht erreicht ihn eine Nachricht von Jerusha, aus der er heraushört, dass es ihr sehr schlecht geht. Kiéran wird klar, wie viel Jerusha ihm bedeutet, und bricht sofort auf, um bei ihr zu sein. Nach einem halsbrecherischen Ritt trifft er in Cyr ein. Doch er befürchtet, dass er Jerusha Angriffen, die eigentlich ihm gelten, aussetzen wird. Zum Glück dringen Skraelings selten in Städte ein – in Cyr sind sie vorerst in Sicherheit.

      In Cyr sind Jerusha und Kiéran endlich wieder vereint, und sie können sich nicht mehr dagegen wehren, wie nah sie einander sind. Jerusha kann nicht darüber sprechen, was passiert ist, doch instinktiv lässt Kiéran ihr Zeit, mit unendlicher Geduld tröstet er sie und stärkt ihr den Rücken. Sie sind glücklich in Cyr. Kiéran lässt sich sogar von ihr helfen; bei ihren letzten Begegnungen hat er das noch stolz und stur abgelehnt. Und er vertraut ihr an, woher seine eigenartige Sehfähigkeit stammt und dass er sie nur hat, solange er das Amulett trägt.

      Doch Jerusha leidet Gewissensqualen bei dem Gedanken, dass sie noch immer mit einem anderen verlobt ist; davon weiß Kiéran bisher nichts – Jerusha hat es ihm nicht erzählt, weil sie Angst hat, ihn wieder zu verlieren. Auch der Gedanke, dass sie womöglich nicht nur Dario, sondern auch Kiéran verraten könnte, quält sie. Sie muss unbedingt erreichen, dass der Fluch gelöst wird, bevor es zu spät ist! Sie warnt Kiéran, dass sie ihm Unglück bringen könnte, doch im Gegensatz zu ihr nimmt er die ganze Sache nicht recht ernst, die Bedrohung durch einen Fluch ist für einen Kämpfer wie ihn zu abstrakt.

      Kurz benutzt Jerusha in Cyr Darios magischen Handspiegel, durch den er sie ohne ihr Wissen beobachten kann. Dario in der Ferne weiß jetzt, dass es Kiéran gibt, er ist rasend eifersüchtig und plant seine Rache.

      Jerusha trifft auf ihrer Reise immer wieder auf Wesen, die den Clan der KiTenaros noch aus vergangenen Zeiten kennen, mit ihm in Streit lagen, mit ihm verbündet waren, noch eine Schuld mit ihm zu begleichen haben. Mit Geschick und Mut nutzt oder übersteht sie diese Begegnungen. Die Wichtigste davon ist die mit einem Drachen. Sie sieht ihn zuerst nur am Horizont und sehnt sich unerklärlicherweise danach, ihm zu begegnen. Und das gelingt schließlich – doch es wird eine Begegnung, bei der sie beinahe getötet wird. Gerade noch rechtzeitig erfährt der Drache den Namen ihres Familienclans und verschont sie und Kiéran.

      Es stellt sich heraus, dass der