Anna Kellner

Englische Märchen in deutscher Sprache


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Elfenland ist?«

       »Ich weiß es nicht,« antwortete der Pferdehirt,

       »aber gehe ein bischen weiter, bis du zum Kuhhirten

       kommst, der wird es dir vielleicht sagen können.«

       Da zog Junker Rowland, ohne ein Wort zu verlieren,

       das gute Schwert, das mit jedem Streiche traf,

       und der Kopf des Pferdehirten flog vom Rumpfe. Junker

       Rowland gieng weiter, bis er zum Kuhhirten kam,

       dem er dieselbe Frage vorlegte.

       »Ich kann es dir nicht sagen,« antwortete dieser,

       »aber gehe ein bischen weiter, bis du zur Hühnerfrau

       kommst, die weiß es sicherlich.«

       Da zog Junker Rowland sein gutes Schwert, das

       mit jedem Streiche traf, und der Kopf des Kuhhirten

       flog vom Rumpfe. Dann gieng er weiter, bis er zu

       einer alten Frau in einem grauen Mantel kam, und er

       fragte sie, ob sie wisse, wo der finstere Thurm des

       Königs von Elfenland sei.

       »Gehe ein wenig weiter,« sagte die Hühnerfrau,

       »bis du zu einem runden, grünen Hügel kommst, der

       vom Fuße bis zum Gipfel von Rasenbänken wie von

       Ringen umgeben ist. Geh' dreimal in entgegengesetzter

       Richtung zur Sonne herum und sage jedesmal:

       Thüre, Thüre, öffne dich,

       Thüre, Thüre, lass mich ein.

       Und beim drittenmale wird sich die Thüre aufthun,

       und du kannst hineingehen.«

       Junker Rowland wollte gerade weitergehen, als er

       sich erinnerte, was er zu thun hatte. So zog er denn

       das gute Schwert aus der Scheide, das mit jedem

       Streiche traf, und der Kopf der Hühnerfrau flog vom

       Rumpfe. Dann zog er weiter und weiter und immer

       weiter, bis er zu dem runden, grünen Hügel kam, und

       er gieng dreimal in entgegengesetzter Richtung zur

       Sonne herum und sagte jedesmal:

       »Thüre, Thüre, thu' dich auf,

       Thüre, Thüre, lass mich ein.«

       Und beim drittenmale that sich die Thüre auf, er trat

       ein, sie fiel klirrend ins Schloss, und Junker Rowland

       stand im Dunkeln da.

       Es war nicht ganz dunkel, sondern eine Art Zwielicht

       oder Dämmerung. Es waren weder Fenster noch

       Kerzen da, und er konnte nicht herausfinden, woher

       das Zwielicht kam, wahrscheinlich durch die Mauern

       und das Dach. Diese bestanden aus einem durchsichtigen

       Felsen, der mit Glimmer und Feldspat und anderen

       glänzenden Steinen bekleidet war. Trotz der Felsen

       war die Luft ganz warm, wie immer im Elfenland.

       Er gieng weiter, bis er zu zwei breiten Flügelthüren

       kam, welche halb offen standen. Als er sie ganz aufriss,

       bot sich seinen Blicken ein wundervoller, herrlicher

       Anblick: eine große Halle, so groß, dass sie so

       breit und lang zu sein schien wie der ganze grüne

       Hügel. Das Dach war von schönen Säulen getragen,

       die waren so hoch, dass die Säulen einer Kathedrale

       nichts dagegen waren; sie bestanden ganz aus Gold

       und waren über und über mit Silber in getriebener Arbeit

       bedeckt. Um die Säulen schlangen sich Blumengewinde

       aus Diamanten und Smaragden und anderen

       Edelsteinen. Sogar die Schlusssteine der Bogen waren

       mit Bouquets aus Diamanten und Rubinen und anderen

       kostbaren Steinen verziert. Und alle diese Bogen

       vereinigten sich in der Mitte des Daches, und dort

       hieng an einer goldenen Kette eine ungeheure Lampe,

       die aus einer einzigen ausgehöhlten, durchsichtigen

       Perle bestand. In der Mitte dieser Perle aber befand

       sich ein riesig großer Karfunkel, der sich immerfort

       im Kreise drehte und die ganze Halle durch seine

       Strahlen erleuchtete, so dass es den Eindruck machte,

       als würde sie von der untergehenden Sonne beschie-

       nen.

       An einem Ende der herrlichen Halle befand sich ein

       wunderschönes Ruhebett, das ganz aus Sammt und

       Seide und Gold bestand, und darauf saß Maid Ellen

       und kämmte ihr goldenes Haar mit einem silbernen

       Kamme. Als sie Junker Rowland sah, stand sie auf

       und sagte:

       »O Thor, auch du vom Hause fort!

       Was willst du an diesem Ort?

       Mein armer jüngster Bruder,

       Schier bricht mir mein Herz um dich!

       Und hättest du hundert Schwerter,

       Dich rettet nicht Hieb noch Stich.

       Ruh' aus! Doch wehe, wehe!

       Dass jemals du wardst geboren,

       Denn sieht dich der König von Elfenland,

       So bist du ganz verloren.«

       Dann setzten sie sich zusammen hin, und Junker

       Rowland erzählte seiner Schwester alles, was er gethan

       hatte, und sie erzählte ihm, wie ihre beiden Brüder

       den finsteren Thurm erreicht hatten, wie der

       König von Elfenland sie verzaubert hatte, so dass sie

       nun da eingesargt lägen, als wären sie todt. Nach einiger

       Zeit verspürte Junker Rowland großen Hunger

       und bat seine Schwester, ihm etwas zu essen zu

       geben; er hatte die Warnung des Zauberers Merlin

       ganz vergessen.

       Maid Ellen blickte ihn traurig an und schüttelte den

       Kopf, aber sie war verzaubert und konnte ihn nicht

       warnen. Sie stand auf und gieng hinaus und kam bald

       mit einer goldenen Schale zurück, die mit Milch und

       Brot gefüllt war. Und schon war Junker Rowland im

       Begriff, die Schale an die Lippen zu führen; da sah er

       seine Schwester an und erinnerte sich, warum er hergekommen

       sei. Er schleuderte die Schale zu Boden

       und sagte: »Keinen Bissen will ich essen, keinen

       Tropfen will ich trinken, bevor Ellen frei ist.«

       In diesem Augenblicke hörten sie jemand näher

       kommen, und eine laute Stimme rief:

       »Feh, fei, foh, fum,

       Einen Christen wittere ich hier herum!

       Er sei jung, er sei alt,