Anna Kellner

Englische Märchen in deutscher Sprache


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und sah dabei sehr böse aus; »das beste Pferd,

       das du je geritten hast, ist nichts im Vergleiche

       damit.«

       Billy glaubte, er scherze, wollte ihn aber nicht erzürnen

       und nahm die Binse zwischen die Beine.

       »Borram! Borram! Borram!« – das bedeutet so viel

       wie: »wachse!« – rief das Männlein, und Billy folgte

       seinem Beispiel. Sofort verwandelten sich die Binsen

       in schöne Rosse und galoppierten davon. Billy aber,

       welcher, ohne weiter darauf zu achten, die Binse zwischen

       die Beine genommen hatte, saß mit dem Gesichte

       dem Schweife zugekehrt auf dem Pferde. So unangenehm

       das auch war, er war nicht im Stande, sich

       umzudrehen, denn das Pferd galoppierte zu schnell.

       Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als sich am

       Schweife festzuhalten.

       Endlich erreichten sie das Ziel ihrer Reise. Vor

       dem Thore eines schönen Hauses machten sie Halt.

       »Jetzt, Billy,« sagte das Männlein, »folge mir und

       thue genau, was ich thue. Da du aber nicht einmal im

       Stande bist, den Kopf eines Pferdes von seinem

       Schweife zu unterscheiden, so nimm' dich inacht,

       sonst wirst du am Ende gar bald nicht mehr wissen,

       ob du auf deinem Kopfe oder auf deinen Beinen

       stehst. Bedenke, dass alter Wein zwar eine Katze zum

       Reden bringen, aber auch einen Menschen stumm machen

       kann.«

       Das Männlein machte noch einige solcher seltsamer

       Bemerkungen, die Billy nicht verstehen konnte.

       Dann giengen sie durch das Schlüsselloch ins Haus

       und immer weiter durch andere Schlüssellöcher, bis

       sie in den Weinkeller gelangten; in dem waren alle

       Arten von Wein zu finden. Das Männlein begann nun

       zu trinken und trank, so viel es vermochte, und Billy,

       dem es durchaus nicht unangenehm war, das Gleiche

       zu thun, folgte seinem Beispiele.

       »Ihr seid wirklich der beste Herr,« sagte Billy,

       »den es gibt, wer immer auch mein nächster Herr sein

       mag. Wenn Ihr fortfahrt, mir so reichlich zu trinken

       zu geben, dann wird mich mein Dienst bei Euch sehr

       freuen.«

       »Ich lass mich nicht auf Bedingungen ein,« erwiderte

       das Männlein, »komm' jetzt.«

       Wieder giengen sie durch viele Schlüssellöcher, bestiegen

       die Binsen, die sie vor dem Hausthor zurückgelassen

       hatten, und fort gieng's, nachdem sie »Borram,

       Borram, Borram« gerufen hatten, dass die Wolken

       vor ihnen wie Schneeflocken herflogen.

       Als sie zu dem Festungsgraben zurückkehrten, entließ

       das Männlein Billy und befahl ihm, sich am folgenden

       Abend um dieselbe Zeit wieder an demselben

       Orte einzufinden. So lebten sie Nacht um Nacht, nahmen

       einmal ihren Weg dahin, dann dorthin, bald

       nördlich, bald östlich, manchmal südlich, bis es in

       ganz Irland keinen Weinkeller mehr gab, den sie nicht

       besucht hatten. Sie kannten jede einzelne Sorte ebensogut,

       ja sogar besser als der Kellermeister selbst.

       Eines Nachts, als Billy Mac Daniel seinen Herrn

       wie gewöhnlich beim Festungsgraben traf und zum

       Sumpf hinübergieng, um die Pferde zu ihrer Reise zu

       holen, sagte das Männlein zu ihm: »Billy, heute

       werde ich noch ein drittes Pferd brauchen, denn wir

       kommen vielleicht zu Dreien zurück.«

       Billy, der schon wusste, dass es nicht gut sei, seinen

       Herrn viel zu fragen, brachte also eine dritte

       Binse und sann darüber nach, wer wohl mit ihnen zurückkommen

       würde, vielleicht ein zweiter Knecht.

       »Wenn das der Fall ist,« dachte er, »dann muss e r

       jeden Abend die Pferde aus dem Sumpfe holen. Denn

       ich bin gerade so vornehm wie mein Herr.«

       Sie ritten fort, und Billy führte das dritte Pferd. Sie

       hielten erst, als sie das schmucke Häuschen eines

       Pächters in der Grafschaft Limerick erreicht hatten.

       Das stand in der Nähe des alten Schlosses von Carrigogunniel,

       welches der große Brian Boru erbaut

       haben soll. Drinnen gieng es hoch her, und das Männlein

       blieb einige Zeit draußen stehen und lauschte.

       Plötzlich wendete es sich zu Billy um und sagte:

       »Billy, morgen bin ich tausend Jahre alt!«

       »Gott behüte und bewahre uns, Herr,« sagte Billy,

       »wirklich?«

       »Sag' das Wort nicht wieder, Billy,« sagte das alte

       Männlein, »sonst ist's um mich geschehen. Da ich nun

       morgen tausend Jahre alt werde, so denk' ich, Billy, es

       ist hohe Zeit für mich, zu heiraten.«

       »Das denk' ich auch,« erwiderte Billy, »wenn Ihr

       überhaupt heiraten wollt.«

       »Und zu dem Zwecke,« sagte der Kobold, »bin ich

       den weiten Weg nach Carrigogunniel hergekommen,

       denn hier in diesem Hause sollen noch heute abends

       Darby Riley und Bridget Rooney getraut werden. Und

       da sie ein hübsches, schlankes Mädchen und aus anständiger

       Familie ist, so gedenke ich sie selbst zu heiraten

       und sie gleich mitzunehmen.«

       »Was wird aber Darby Riley dazu sagen?« fragte

       Billy.

       »Schweig'!« rief das Männlein mit strengem Blick,

       »ich hab' dich nicht mitgebracht, damit du müßige

       Fragen stellst.«

       Ohne sich in weitere Erörterungen einzulassen, begann

       er die seltsamen Worte zu sprechen, welche ihm

       die Macht verliehen, durch Schlüssellöcher zu gelan-

       gen. Billy, der sich für ungeheuer klug hielt, weil er

       diese Worte nachsprechen konnte, folgte ihm.

       Sie gingen Beide hinein. Das Männlein setzte sich,

       um die Gesellschaft besser überblicken zu können,

       wie ein Spatz auf einen der großen Balken, welche die

       Decke entlang liefen, und Billy setzte sich auf einen

       anderen Balken, ihm gegenüber. Aber er war an eine