Anna Kellner

Englische Märchen in deutscher Sprache


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Schlingen

       über den Kopf. Die anderen Enden legte er um einen

       Balken, dann zog er mit aller Macht und erdrosselte

       sie auf diese Weise. Als sie schon ganz schwarz im

       Gesicht waren, ließ er sich an dem Seil zu ihnen

       herab, bis er auf ihren Köpfen stand. Da zog er sein

       Schwert und erschlug sie beide. Nun nahm er dem

       Riesen die Schlüssel ab und öffnete die anderen Zimmer,

       da fand er drei schöne Jungfrauen, die der Riese

       an ihrem Haar festgebunden hatte. Sie waren fast verhungert.

       »Holde Jungfrauen,« sagte Jack, »ich habe das Ungeheuer

       und seinen scheußlichen Bruder getödtet und

       so Eure Freiheit erwirkt.«

       Mit diesen Worten überreichte er ihnen die Schlüssel

       und setzte seine Reise so schnell als möglich fort.

       Aber er verirrte sich, die Nacht überfiel ihn, und er

       konnte kein Obdach finden, bis er endlich in ein enges

       Thal kam, wo ein großes Haus stand. In seiner Noth

       klopfte er an das Thor, aber wie groß war sein Schrek-

       ken, als ein ungeheurer Riese mit zwei Köpfen erschien!

       Doch hatte er kein so wildes Aussehen wie die

       früheren Riesen, denn er war ein Wälscher, und er

       verübte seine Greuelthaten auf geheime und listige

       Weise. Jack schilderte dem Riesen seine Lage und

       dieser wies ihm ein Schlafzimmer an. In der Stille der

       Nacht hörte nun Jack seinen Wirt im anstoßenden Gemach

       folgende Worte murmeln:

       »Er schlafe ruhig diese Nacht,

       Doch morgen früh er nicht erwacht;

       Denn dann ist längst er umgebracht.«

       »Steht die Geschichte so,« sagte Jack, »du hast einen

       deiner wälschen Streiche im Sinn; aber da bist du an

       den Rechten gerathen.«

       Er stieg aus dem Bett, legte ein Scheit Holz hinein

       und versteckte sich in einer Ecke des Zimmers. Mitten

       in der Nacht kam der wälsche Riese herein und hob

       mit seiner Keule auf das Bett los; natürlich glaubte er,

       dass er Jack jeden Knochen im Leibe gebrochen hätte.

       Am nächsten Morgen dankte Jack, der sich heimlich

       ins Fäustchen lachte, dem Riesen herzlich für das

       Nachtlager.

       »Wie hast du geruht?« fragte ihn der Riese, »hast

       du in der Nacht nichts gespürt?«

       »Nichts,« erwiderte Jack, »nur hat mir eine Ratte

       einen und den anderen Klaps mit ihrem Schwanze

       versetzt.«

       Höchlich erstaunt führte der Riese Jack zum Frühstück

       und brachte ihm eine Schüssel, die vier Maß

       dicke Mehlsuppe enthielt. Da Jack den Riesen nicht

       merken lassen wollte, dass dies zu viel für ihn sei, so

       that er einen großen Lederbeutel unter seinen weiten

       Rock und schüttete, ohne dass der Riese es sah, den

       größten Theil der Suppe hinein. Dann sagte er seinem

       Wirt, er wolle ihm ein Kunststück zeigen. Er nahm

       ein Messer und schlitzte damit den Lederbeutel auf,

       so dass die ganze Mehlsuppe herauslief.

       Darauf versetzte das Ungeheuer: »Potz tausend,

       das Kunststück kann ich auch,« ergriff das Messer,

       schlitzte sich den Bauch auf und fiel todt zu Boden.

       Um diese Zeit geschah es, dass der einzige Sohn

       König Arthurs seinen Vater um eine große Summe

       Geldes bat. Er wollte sein Glück im Fürstenthum

       Wales versuchen; dort lebte eine schöne Jungfrau, die

       von sieben bösen Geistern besessen war. Vergebens

       suchte der König seinen Sohn von seinem Vorhaben

       abzubringen, endlich kam er seinem Wunsche nach,

       und der Prinz machte sich mit zwei Pferden auf den

       Weg. Das eine war mit Gold beladen, das andere ritt

       er. Nach einigen Tagreisen kam er in einen Marktflekken

       in Wales, wo er eine große Menschenmenge versammelt

       sah. Als der Prinz nach der Ursache dieser

       Ansammlung fragte, erhielt er die Antwort, dass die

       Leute einen Leichnam mit Beschlag belegt hatten,

       weil ihnen der Verstorbene zu seinen Lebzeiten eine

       große Geldsumme schuldete. Der Prinz sprach sein

       Bedauern darüber aus, dass Gläubiger so grausam

       sein konnten, und sagte: »Geht, begrabt den Todten

       und schickt seine Gläubiger in meine Wohnung, ich

       werde die Schulden bezahlen.«

       Die Gläubiger kamen, aber in solcher Anzahl, dass

       dem Prinzen vor Einbruch der Nacht fast nichts von

       seinem Gelde übrig geblieben war.

       Jack, der Riesentödter, der gerade des Weges kam,

       war so hingerissen von der Großmuth des Prinzen,

       dass er den Wunsch aussprach, in seine Dienste zu

       treten. Nachdem sie sich geeinigt hatten, setzten sie

       am nächsten Morgen gemeinsam die Reise fort. Als

       sie aus der Stadt ritten, rief ein altes Weib den Prinzen

       an und sagte: »Er ist mir sieben Jahre lang zwei

       Pence schuldig geblieben, bitte, zahlt mir die Schuld,

       so gut wie Ihr sie den andern bezahlt habt.«

       Der Prinz griff in die Tasche und gab der Frau

       alles, was er noch besaß, so dass am Abend, nachdem

       Jack für ihren Imbiss all sein Geld ausgegeben hatte,

       beiden zusammen kein Heller mehr übrig geblieben

       war. Als die Sonne unterzugehen begann, sagte der

       Königssohn: »Wo werden wir heute nachts schlafen,

       Jack, da wir kein Geld mehr haben?«

       Aber Jack erwiderte: »Es wird uns ganz wohl ergehen,

       Herr, denn ich habe einen Onkel, der zwei Meilen

       von hier wohnt. Er ist ein ungeheurer Riese mit

       drei Köpfen, der es mit fünfhundert bewaffneten Männern

       aufnimmt und sie in die Flucht schlägt.«

       »Ach,« seufzte der Prinz, »was sollen wir dort? Er

       wird uns sicherlich auf einen Bissen verzehren; nein,

       wir werden ihm nicht einmal einen hohlen Zahn ausfüllen!

       «

       »Davon ist nicht die Rede,« antwortete Jack, »ich