Anna Kellner

Englische Märchen in deutscher Sprache


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und den unsichtbaren Rock mit, damit er

       sein gefährliches Vorhaben leichter ausführen könne.

       Jack kam über hohe, wunderbare Berge, und als er

       am dritten Tage einen großen Wald betrat, drang ihm

       furchtbares Kreischen und Schreien entgegen.

       Er ließ seine Blicke umherschweifen und gewahrte

       mit Schrecken einen ungeheuren Riesen, der eine

       schöne Frau und einen Ritter so gemächlich an ihrem

       Haare hinter sich herzog, wie man ein Paar Handschuhe

       trägt. Bei diesem Anblick vergoß Jack Thränen

       des Mitleids. Er sprang vom Pferde, zog seinen

       unsichtbaren Rock an und hieb mit einem Schwung

       seines scharfen Schwertes dem Riesen beide Beine

       unter dem Knie ab, so dass bei seinem Fall die Bäume

       zitterten. Darauf dankten der höfliche Ritter und seine

       holde Dame ihm herzlich und luden ihn in ihr Haus

       ein, damit er sich nach der furchtbaren Anstrengung

       erfrische und für seinen großen Dienst eine reiche Belohnung

       erhalte. Aber Jack schwur, nicht eher zu

       ruhen, als bis er die Höhle des Riesen gefunden. Als

       der Ritter dies hörte, versetzte er sehr betrübt: »Edler

       Fremdling, es wäre zu viel, sich noch einmal in Gefahr

       zu begeben. Das Ungeheuer wohnt zusammen

       mit einem noch wilderen und scheußlicheren Bruder

       in einer Höhle in dem Berge dort drüben. Es wäre

       herzbrechend für mich und meine Dame, wenn Ihr

       dorthin gienget und den Tod fändet. Ich bitt' Euch

       also, kommt mit uns und steht von weiterer Verfolgung

       ab.«

       »Nein,« erwiderte Jack, »und wären ihrer zwanzig,

       so sollte keiner meinem Zorn entgehen. Aber wenn

       ich mein Vorhaben ausgeführt habe, dann will ich

       kommen und Euch meine Aufwartung machen.«

       Jack war kaum ein und eine halbe Meile weiter geritten,

       als er der von dem Ritter erwähnten Höhle ansichtig

       wurde. Vor derselben saß auf einem Holzblock

       der Riese, an der Seite hatte er eine knorrige Eisenkeule;

       Jack vermuthete, daß er die Rückkehr seines

       grausamen Bruders und dessen Beute erwartete. Seine

       Glotzaugen waren wie feurige Flammen, seine Zunge

       grimmig und scheußlich, seine Backen wie zwei

       große Speckseiten, die Borsten an seinem Kinn wie

       Eisenruthen und die Locken, die auf seine fleischigen

       Schultern niederfielen, wie Schlangen oder zischende

       Nattern. Jack sprang vom Pferde, zog seinen unsichtbaren

       Rock an, näherte sich dem Riesen und sagte

       leise: »Ah, bist du da? Es wird nicht lange dauern, so

       werde ich dich fest beim Bart zausen.«

       Da der Riese ihn nicht sehen konnte, so kam Jack

       ganz nahe heran und versetzte ihm mit seinem

       Schwert einen Hieb auf den Kopf, verfehlte aber sein

       Ziel und schnitt ihm die Nase ab. Da begann das Ungeheuer

       zu brüllen, dass es wie das Rollen des Donners

       klang, und schwang seine Eisenkeule wie ein

       Wahnsinniger.

       Aber Jack rannte nach hinten und trieb sein

       Schwert bis zum Heft dem Riesen in den Rücken,

       dass er todt niedersank. Darauf hieb ihm Jack den

       Kopf ab und sandte diesen sammt dem Kopf seines

       Bruders durch einen Fuhrmann, den er zu diesem

       Zwecke mietete, an König Arthur.

       Nun beschloss Jack, in der Höhle des Riesen nach

       Schätzen zu suchen. Durch viele Windungen und

       Krümmungen kam er endlich in ein großes Zimmer,

       das mit Sandstein gepflastert war. An dem oberen

       Ende desselben befand sich ein siedender Kessel und

       rechts davon ein großer Tisch, an welchem die Riesen

       zu essen pflegten. Als er ein eisenvergittertes Fenster

       sah, blickte er durch dasselbe und gewahrte ein großes,

       ödes Feld voll unglücklicher Gefangener, welche,

       als sie ihn erblickten, ausriefen: »Ach, du Armer, bist

       du ein Leidensgenosse?«

       »Jawohl,« versetzte Jack, »aber bitte, sagt mir, zu

       welchem Zwecke seid ihr hier gefangen?«

       »So oft die Riesen Lust verspüren zu einer

       Schmauserei,« versetzte einer von ihnen, »wird der

       fetteste von uns getödtet! Und ach, wie oft überkommt

       sie die Lust dazu!«

       »Steht es so«, sagte Jack, und auf der Stelle schloss

       er das Thor auf und setzte sie in Freiheit. Sie freuten

       sich alle über Maßen.

       Dann durchsuchte Jack die Truhen der Riesen und

       vertheilte das vorgefundene Gold und Silber gleichmäßig

       unter ihnen.

       Bei Sonnenaufgang am nächsten Morgen machten

       sich die Gefangenen alle auf den Weg in ihre Heimat,

       und Jack bestieg sein Pferd, um seine Reise fortzusetzen.

       Dank der Anleitung des Ritters erreichte er dessen

       Haus um die Mittagsstunde. Er wurde von dem

       Ritter und seiner Gemahlin mit großen Freudenbezeugungen

       empfangen, und es wurde ein Fest zu seinen

       Ehren gegeben, das viele Tage dauerte, und an dem

       der ganze Adel der Nachbarschaft theilnahm. Der

       würdige Ritter beschenkte Jack mit einem schönen

       Ringe, auf welchem im Bilde zu sehen war, wie der

       Riese den unglücklichen Ritter und seine Gemahlin

       fortschleppte.

       Aber mitten in all dem Jubel brachte ein Bote die

       traurige Mär, dass ein gewisser Thunderdell, ein

       zweiköpfiger Riese, der von dem Tode seiner beiden

       Verwandten gehört hatte, aus dem Norden des Landes

       herbeigeeilt sei, um an Jack Rache zu nehmen. Er war

       nur noch eine Meile von dem Schlosse des Ritters entfernt,

       und die Leute flohen vor ihm wie Spreu. Aber

       Jack erschrack nicht im geringsten, sondern sagte: »Er

       mag nur kommen! Ich habe ein Hühnchen mit ihm zu

       rupfen. Gehen Sie, meine Damen und Herren, nur

       ruhig in den Garten, Sie können von dort den Fall und