hinabsteigen wollten. Da wir außerdem nur die Wahl hatten, die Nacht auf diesem flachen Felsplateau oder im Schnee an seinem Fuß zu verbringen, wo es genauso kalt war wie hier, und wir außerdem ziemlich erschöpft waren, beschlossen wir, die Nacht hier oben zu bleiben, und das rettete, wie wir bald erfahren sollten, uns das Leben.
Wir sattelten das Yak ab, schlugen unser Zelt im Windschatten einer kleinen Felsennase auf und aßen etwas Trockenfisch und Maiskuchen. Es war der letzte Rest der Vorräte, die wir aus dem Lama-Kloster mitgenommen hatten, und wir sagten uns, dass wir tags darauf unbedingt irgendein Wild schießen mussten, falls wir nicht auf die allerletzte Reserve zurückgreifen und unseren alten Freund, das Yak essen wollten. Dann wickelten wir uns in unsere dicken Felle und Decken und vergaßen unsere missliche Lage im Schlaf.
Es kann nicht lange vor Tagesanbruch gewesen sein, als wir von einem berstenden Krachen aufgeschreckt wurden, das wie Kanonendonner klang, gefolgt von tausend anderen Geräuschen, die sich wie Salvenfeuer von Musketen anhörten.
»Mein Gott! Was ist das?«, rief ich erschrocken.
Wir krochen aus dem Zelt, konnten jedoch nichts erkennen. Das Yak schrie hysterisch vor Angst. Wenn wir auch nichts sehen konnten, konnten wir doch hören und fühlen. Das Donnern und Krachen hatte aufgehört und wurde von einem schleifenden, schabenden Geräusch gefolgt, das mir einen Schauer über den Rücken jagte. Es wurde von einem seltsamen, stetigen, unnatürlichen Wind begleitet, der uns schwer wie Wasser zu umströmen schien. Dann begann es zu dämmern, und wir sahen, dass der ganze Berghang in Bewegung geraten war! Eine gewaltige Schneelawine bewegte sich auf uns zu!
Was für ein grauenhafter Anblick! Vom Gipfel des steilen Berges, mehr als zwei Meilen über uns, kroch sie den Hang herab auf uns zu, rollend, gleitend, rutschend, ein lebendes Wesen; staute sich hier und dort, rauschte in stürzenden, springenden Wellen zu Tal, ergoss sich in klaffende Schluchten, wie sturmgepeitschte Meereswogen, und über ihr hingen dichte Wolken aufgewirbelten Pulverschnees.
Während wir emporstarrten, vor Entsetzen aneinandergeklammert, krachte die erste der Wellen gegen unseren Berg und brachte seine Felsmasse zum Erzittern, wie eine Yacht unter dem Aufschlag eines Brechers. Die Schneewelle brandete gegen den Fels, teilte sich an ihm und rauschte majestätisch wie ein Wasserfall in die Schlucht. Wir hörten ein donnerndes Dröhnen aus ihrer Tiefe, als die Schneemassen auf dem Grund aufschlugen. Doch dies war nur der Anfang, ein kleiner Vorbote, hinter dem die Masse der Lawine zu Tal glitt.
Sie kam in mehreren Wellen, und die Schneemassen türmten sich an der steilen Flanke unseres Felsens auf; ja, sie reichten bis zu fünfzig Fuß unterhalb des kleinen Plateaus, auf dem wir uns befanden, so dass wir überzeugt waren, dass selbst dieser fest verankerte Felsen aus seiner Bettung gerissen und über den Rand der Schlucht in ihre dunkle Tiefe geschleudert werden würde. Und dazu dieser Lärm! Das Heulen des Windes, der durch die Kompression der Luft hervorgerufen worden war, das ständige dumpfe Aufschlagen von Millionen Tonnen Schnee, die über den Rand der Schlucht geschoben wurden und auf ihren Grund fielen.
Und selbst das war noch nicht das Schlimmste, denn als der tiefe Schnee am oberen Teil der Hänge dünner wurde, lösten sich riesige Steinblöcke, die vielleicht seit Jahrtausenden dort geruht hatten, aus ihren Bettungen und donnerten den Berg hinab. Zuerst bewegten sie sich nur langsam und schoben den harten Schnee zu beiden Seiten zurück, so wie ein Schiff das Wasser verdrängt und eine schäumende Bugwelle vor sich herschiebt. Doch dann wurden sie schneller, wurden von Unebenheiten hoch in die Luft geschleudert, wie Querschläger von einer harten Oberfläche, um den letzten Teil der Strecke wie riesige Geschosse herabzustürzen, gegen unseren Felsen zu prallen und nach beiden Seiten geschleudert zu werden - einige von ihnen sausten sogar über uns hinweg - bis sie schließlich wie Meteore in der Tiefe der Schlucht verschwanden. Jeder Aufschlag dieser mehrere Tonnen schweren Felsbrocken ließ unseren Felsen erbeben, als ob er von einer schweren Granate getroffen worden wäre, riss riesige Steintrümmer aus dem gewachsenen Fels, und das ständige Donnern und Krachen zerrte an unseren Nerven. Kein von Menschen ersonnenes und geleitetes Bombardement konnte auch nur halb so schlimm sein wie der Anschlag dieser Naturgewalten, und - hätte es hier etwas zu zerstören gegeben - von einer nur halb so verheerenden Wirkung.
Die unbeschreibliche Gewalt dieser entfesselten Naturkräfte war ein entsetzliches Erlebnis, besonders, da sie ohne jede Vorwarnung, von einer Sekunde zur anderen über uns hereinbrach. Die Naturgewalten, die im Schoß der stillen Berge, unter dem ruhigen, friedvollen Himmel geschlummert hatten, waren plötzlich freigesetzt worden und hatten sich unter der Begleitung von Wirbelwinden und all den furchtbaren, entsetzlichen Geräuschen auf die Häupter von uns beiden gestürzt.
Beim ersten Anschlag der Schneemassen waren wir hinter die schützende Felsennase zurückgesprungen, hatte uns
zu Boden geworfen und uns aneinandergeklammert vor Angst, dass uns der Wind in die Schlucht reißen könnte. Unser Zelt war schon längst wie ein welkes Blatt davongewirbelt worden, und wir waren überzeugt, dass wir ihm bald folgen würden.
Tonnenschwere Felstrümmer krachten gegen unseren kleinen Berg, schossen zu beiden Seiten vorbei und über unsere Köpfe hinweg. Einer von ihnen schlug dicht neben uns auf dem Felsplateau ein und zersprang dabei in Trümmer und scharfkantige Splitter, die surrend wie Schrapnells nach allen Seiten flogen. Wir hatten das Glück, unverletzt zu bleiben, doch als wir den Kopf wieder zu heben wagten und nach dem Yak Ausschau hielten, sahen wir es tot und ohne Kopf auf der Mitte des Plateaus liegen. Wir blieben weiter am Boden, warteten auf das Ende und fragten uns, ob wir unter den Schneemassen begraben, mit dem ganzen Hügel in die Schlucht gerissen, von fliegenden Steintrümmern erschlagen oder von dem Sturm fortgeweht werden würden.
Wie lange es dauerte? Wir wissen es nicht. Es konnten zehn Minuten oder mehrere Stunden gewesen sein, denn in einer solchen Situation verliert man jedes Zeitgefühl. Irgendwann merkten wir, dass der Wind aufhörte und die Geräusche des herabdonnernden Schnees und der fliegenden Felsstücke aufhörten. Vorsichtig kamen wir auf die Beine und sahen um uns.
Der steile Berghang vor uns, zwei Meilen hoch und über eine halbe Meile breit, der vorher mit einer dicken Schneeschicht bedeckt gewesen war, zeigte jetzt seine kahle, felsige Oberfläche. Zwischen seinem Fuß und unserem Hügel lag eine Zunge von Schnee, die der ungeheure Druck fast zu der Festigkeit von Eis zusammengepresst hatte, und in die Steine und Felstrümmer eingebettet waren. Der Felshügel, auf dem wir saßen, war verschrammt und aufgerissen; riesige Flächen waren aus seiner Oberschicht herausgeschlagen worden, so dass frisches Gestein frei lag, in dem Glimmer oder ein anderes Mineral glitzerte. Die riesige Schlucht hinter uns war zur Hälfte mit Schnee und Gesteinstrümmern gefüllt. Doch sonst wirkte das Land, als ob nichts geschehen sei. Die Sonne strahlte am wolkenlosen Himmel, und ihr Licht wurde von den schneebedeckten Hängen hunderter anderer Berge reflektiert. Und wir hatten alles überstanden und lebten noch, waren sogar unverletzt!
Doch in welcher Lage befanden wir uns. Wir wagten nicht, unseren Felshügel zu verlassen, da wir fürchteten, in dem lockeren Schnee zu versinken. Außerdem kamen noch immer auf der ganzen Breite des Hangs gelegentlich Steinlawinen und tonnenschwere Felsbrocken herabgepoltert, und mit ihnen oft Schneemassen, die von der Lawine zurückgelassen worden waren; jede von ihnen recht klein, zugegeben, doch groß genug, um ein paar Dutzend Männer zu töten. Es war uns deshalb klar, dass wir hier oben gefangen waren, bis die Umstände günstiger werden würden - oder uns der Tod erlösen würde.
So saßen wir nun nebeneinander, hungrig und voller Angst, und fragten uns, was unser Freund Kou-en sagen würde, wenn er uns so sehen könnte. Mit der Zeit wurde unser Hunger so wütend, dass er alle anderen Gefühle überwältigte, und wir begannen, sehnsüchtige Blicke auf den kopflosen Kadaver des Yak zu werfen.
»Wir wollen ihn abhäuten«, schlug Leo vor. »Das gibt uns etwas zu tun, und außerdem werden wir das Fell heute Nacht dringend brauchen.«
Also unterzogen wir uns mit einem an Ehrfurcht grenzenden Gefühl dieser Aufgabe an dem toten Gefährten unserer langen Reisen und waren glücklich, dass nicht wir ihn zum Tode gebracht hatten. Unser langes Zusammenleben mit Menschen, die glaubten, dass ihre Seelen von Tieren stammten oder auf Tiere übergehen könnten, hatte uns in diesen Belangen ein wenig abergläubisch gemacht. Es wäre sicher kein angenehmes Erlebnis, sagten wir uns, in einer