phantastisch geformten, schneebedeckten Bergen, Hunderte und Aberhunderte von Bergen, so weit das Auge reichte.
»Genauso habe ich sie in meinem Traum vor vielen, vielen Jahren gesehen«, murmelte Leo, »genauso.«
»Und wo war das helle Licht?«, fragte ich.
»Dort drüben, glaube ich.« Er deutete nach Nordosten.
»Jetzt ist es jedenfalls nicht da«, stellte ich fest, »und es ist verdammt kalt hier oben.«
Es war gefährlich, länger auf dem Gipfel zu bleiben, da wir beim Abstieg von der Nacht überrascht werden konnten, und so machten wir uns auf den Rückweg zur Höhle, die wir gegen Sonnenuntergang erreichten. Die nächsten vier Tage verbrachten wir auf dieselbe Weise. Jeden Morgen kletterten wir über die Schneebänke zum Gipfel empor, und am Nachmittag glitten und rutschten wir sie wieder hinab, bis ich diesen Sport gründlich über hatte.
In der vierten Nacht kam Leo nicht ins Zelt, sondern saß vor dem Eingang der Höhle. Als ich ihn fragte, warum er in der Kälte bliebe, gab er mir eine ungeduldige Antwort - ein Zeichen, dass er allein sein wollte. Ich hatte schon seit einiger Zeit bemerkt, dass er in einer seltsamen und bedrückten Stimmung war, weil er unter dem Fehlschlag unserer Suche litt. Außerdem wusste er, genau wie ich, dass wir nicht mehr lange hier draußen bleiben konnten, da das Wetter zu jeder Stunde Umschlagen und jeden weiteren Aufstieg unmöglich machen konnte.
Mitten in der Nacht rüttelte Leo mich aus dem Schlaf. »Komm, Horace!«, sagte er. »Ich muss dir etwas zeigen.«
Widerwillig kroch ich unter den warmen Felldecken hervor und verließ das Zelt. Anzuziehen brauchte ich mich nicht, da wir bei der Kälte völlig bekleidet schliefen.
Er führte mich zum Ausgang der Höhle und deutete nach Norden. Die Nacht war stockdunkel, doch weit, weit entfernt entdeckte ich einen rötlichen Schimmer am Himmel, der aussah, wie der Widerschein eines Feuers.
»Was hältst du davon?«, fragte er gespannt.
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Es könnte alles Mögliche sein. Der Mond - nein, wir haben keinen - Dämmerung - nein, dazu ist es zu weit nördlich, und es wird erst in drei Stunden hell. Ein Feuer vielleicht, ein brennendes Haus oder eine Totenverbrennung. Aber wie kann es so etwas in dieser Gegend geben? Ich gebe auf.«
»Ich denke, es ist ein Widerschein«, sagte Leo langsam, »und wenn wir jetzt auf dem Gipfel wären, könnten wir feststellen, was für ein Licht es ist, das sich an den Wolken spiegelt.«
»Ja, aber wir sind nicht auf dem Gipfel, und wir können in der Dunkelheit auch nicht hinaufsteigen.«
»Dann müssen wir eben eine Nacht oben verbringen, Horace.«
»Das wäre unsere letzte Nacht in dieser Inkarnation«, sagte ich mit einem trockenen Lachen, »falls es wieder schneien sollte.«
»Wir müssen es riskieren. Ich jedenfalls werde es riskieren. Sieh! Das Licht ist erloschen.« Und damit hatte er recht. Die Nacht war wieder so schwarz wie Pech.
»Wir wollen uns morgen darüber unterhalten«, sagte ich und ging zum Zelt zurück, denn ich war müde und ungläubig; doch Leo blieb im Höhleneingang sitzen.
Als ich beim Morgengrauen erwachte, hatte er bereits das Frühstück zubereitet.
»Ich muss früh aufbrechen«, erklärte er.
»Bist du verrückt?«, fragte ich. »Wie können wir da oben die Nacht verbringen, ohne zu erfrieren?«
»Ich weiß es nicht, aber ich werde gehen. Ich muss, Horace.«
»Das bedeutet, dass wir beide gehen müssen. Aber was ist mit dem Yak?«
»Wo wir klettern können, kann es folgen.«
Also schnallten wir das Zelt und unsere anderen Sachen, und einen ausreichenden Vorrat an gekochtem Hammelfleisch auf den breiten Rücken des Tieres und brachen auf. Der Anstieg dauerte dieses Mal etwas länger, da wir mehrere Umwege machen mussten, um Steilstellen aus gefrorenem Schnee zu vermeiden, die das beladene Tier niemals geschafft hätte. Als wir endlich den Gipfel erreichten, schaufelten wir eine tiefe Grube in den Schnee, in der wir unser Zelt aufrichteten, und traten den ausgehobenen Schnee an seinen Seiten fest. Als wir damit fertig waren, begann es zu dunkeln, und nachdem wir - einschließlich des Yak - ins Zelt gekrochen waren, aßen wir und warteten.
Es war entsetzlich kalt! Und in dieser Höhe wehte ein Wind, dessen eisiger Atem durch alle Hüllen drang. Unser Fleisch brannte wie ein heißes Eisen. Es war ein Glück für uns, dass wir das Yak mit herauf gebracht hatten, denn ohne seine Körperwärme wären wir erfroren, selbst in unserem Zelt. Mehrere Stunden lang saßen wir wach und starrten nach Nordosten, doch sahen wir nichts außer ein paar einsamen Sternen, und hörten nichts in dieser absoluten Stille, denn hier war selbst der Wind lautlos, wenn er über die eisigen Schneeflächen wehte. Da ich an solche Strapazen gewöhnt war, begann ich schläfrig zu werden. Doch als sich meine Augen schlossen, rief Leo plötzlich: »Horace! Sieh doch! Unter dem roten Stern!«
Ich blickte in die Richtung, und am Himmel war wieder das Glühen, das wir in der vergangenen Nacht beobachtet hatten. Doch vom Gipfel aus sahen wir noch mehr: unterhalb der Reflexion an den Wolken, etwa auf gleicher Höhe mit uns und dicht oberhalb der Gipfel der Fernen Berge, war ein unregelmäßig pulsierendes Licht, wie der Schein zuckender Flammen, und davor war etwas Dunkles, ein undeutlicher Schatten. Während wir gebannt hinüberstarrten, wurde das Feuer heller und schien zu wachsen; immer intensiver wurde sein Schein. Und nun, vor diesem flammenden Hintergrund wurde der vage Schatten zu einer scharfen, deutlich erkennbaren Silhouette. Es war die Silhouette eines hochaufragenden Pfeilers, dessen Spitze die Form eines aufrechtstehenden Ringes hatte. Ja, wir konnten jedes Detail deutlich erkennen. Es war das Crux-ansata, das Symbol des Lebens.
Das Feuer erlosch, das Symbol verschwand. Noch einmal loderten die Flammen auf, heller und feuriger als zuvor, und das Lebenssymbol wurde wieder deutlich sichtbar, erlosch dann erneut. Zum dritten Mal loderten die Flammen auf, mit einer solchen Intensität, dass ihr Licht heller war als Blitze. Am ganzen Horizont glühten die Wolken im Widerschein, und durch das runde Auge des Lebens-Symbols schoss ein feuriger Strahl über die Berggipfel hinweg wie das Lichtsignal eines Leuchtfeuers. Er schoss wie ein Pfeil über die verschneite Wüste hinweg auf den Gipfel zu, auf dem wir saßen. Ja, er warf seinen brandroten Schein über die weite weiße Fläche und auf unsere bleichen Gesichter, während es rechts und links von uns völlig dunkel blieb.
Mein Kompass lag vor mir im Schnee, und in dem hellen Licht des Feuerstrahls konnte ich sogar seine Nadel sehen. Dann erlosch er plötzlich, und mit ihm erlosch das Feuer, aus dem er gekommen war, und das Lebens-Symbol wurde wieder unsichtbar. Nur ein rötlicher Schimmer am Horizont sagte uns, dass wir nicht geträumt hatten.
Wir schwiegen eine lange Weile. Dann sagte Leo: »Erinnerst du dich noch, Horace, wie wir auf dem Wiegenden Stein lagen und ihr Mantel auf mich fiel...« - seine Stimme klang erstickt -, »wie der Lichtstrahl aufzuckte, der uns Lebewohl sagen und uns den Weg weisen sollte, auf dem wir aus dem Palast des Todes entkommen konnten? Jetzt ist er wieder zu uns geschickt worden, um uns zu begrüßen und uns den Weg zum Palast des Lebens zu zeigen, in dem Ayesha wohnt, die wir für eine Weile verloren hatten.«
»Vielleicht«, sagte ich knapp, denn diese Frage lag jenseits aller Worte und Argumente, sogar jenseits allen Begreifens. Aber ich wusste, so wie ich es auch heute weiß, dass wir Akteure in einem großen Drama waren; dass unsere Rollen längst geschrieben waren und wir sie bis zu ihrem unbekannten Ende spielen mussten. Angst und Zweifel blieben hinter uns zurück, aus Hoffnung war Gewissheit geworden, lange zurückliegende Visionen von dieser Nacht hatten ihre Erfüllung gefunden, und die armselige Saat des Versprechens von ihr, die gestorben war, wuchs ungesehen und unbemerkt durch all die grausamen, leeren Jahre und war nun reif zur Ernte.
Nein, wir fürchteten uns nicht mehr, nicht einmal, als sich mit der Morgendämmerung ein schneidend kalter Sturm erhob, durch den wir den Berghang hinabstiegen, und in jeder Minute in Lebensgefahr schienen; nicht einmal, als wir Stunde um Stunde durch den dichten Schneesturm zum Kloster zurückzogen, spürten wir Angst. Denn wir wussten, dass wir vor jeder