Jahren starben. Sie wurde von ihren Nachfolgern mehr schlecht als recht instand gehalten, und wir erhielten die Erlaubnis, sie nach Belieben zu benutzen. Es war in der Tat eine eigenartige Sammlung, und von ungeheurem Wert, könnte ich mir vorstellen, denn ich entdeckte buddhistische, schivaistische und schamanistische Schriften, die ich nie zuvor gesehen, von denen ich nicht einmal gehört hatte, neben zahlreichen Lebensbeschreibungen von Boddhisatvas, hervorragenden Heiligen. Die Schriften waren in verschiedenen Sprachen abgefasst, von denen einige uns unbekannt waren.
Am interessantesten fanden wir jedoch ein Journal, das über mehrere Generationen von den Khubilghans oder Äbten des alten Lama-Klosters geführt worden war, und in dem alle wichtigen Vorkommnisse akribisch und detailliert registriert worden waren. Als ich die letzten Seiten des jüngsten Bandes durchblätterte, der vor etwa zweihundertfünfzig Jahren geschrieben worden war, kurz vor der Zerstörung des Klosters, entdeckte ich die folgende Eintragung, die ich aus der Erinnerung nur in ihren wesentlichen Punkten zitieren kann:
Im Sommer dieses Jahres fand ein Bruder (sein Name wurde genannt, doch ich habe ihn vergessen) nach einem verheerenden Sandsturm einen Mann in der Wüste, der zu dem Volk gehört, das jenseits der Fernen Berge lebt, und von dem wir hin und wieder gerüchteweise hören. Der Mann lebte noch, doch neben ihm lagen die Leichen zweier seiner Landsleute, die verdurstet waren. Der Mann wirkte wild und unzivilisiert und weigerte sich, uns zu sagen, wie er in die Wüste gekommen sei. Er teilte uns nur mit, dass er einer uralten Straße gefolgt sei, die nicht mehr benutzt würde, seit die Verbindung zwischen seinem Volk und der Außenwelt abgebrochen worden sei. Wir schlossen aus seinen spärlichen Erklärungen, dass seine beiden Brüder, mit denen er geflohen war, ein Verbrechen begangen hatten und zum Tode verurteilt worden waren, und dass er sie auf ihrer Flucht begleitet hatte. Er berichtete uns, dass jenseits der Fernen Berge ein reiches, fruchtbares Land läge, das jedoch häufig von Erdbeben erschüttert würde - die wir selbst hier zeitweise spüren.
Das Volk, das in jenem Land lebt, erklärte er uns, sei kriegerisch und zahlreich und ernähre sich hauptsächlich durch Ackerbau. Es hätte sät Urzeiten dort gelebt, zeitweilig unter der Herrschaft von Khans, die Abkömmlinge eines Griechenkönigs namens Alexander waren, der das Land südwestlich des Klosters erobert habe. Dies könnte der Wahrheit entsprechen, da unsere Schriften von einer Armee berichten, die vor etwa zweitausend Jahren in dieses Land eindrang, obwohl ein Alexander in diesem Zusammenhang nicht erwähnt wird.
Dieser Fremde berichtete uns außerdem, dass sein Volk eine Priesterin verehre, die Hes oder Hesea hieße und seit vielen Generationen herrsche. Sie lebt völlig allein in einem großen Berg und würde von allen Menschen gefürchtet und angebetet, sei jedoch nicht die Königin des Landes, in dessen Affären sie sich nur selten einmische. Es würden ihr Opfer dargebracht, und jeder, der ihren Zorn heraufbeschwöre, müsse sterben, so dass selbst die Häuptlinge jenes Volkes sie fürchteten. Trotzdem komme es immer wieder zu Kämpfen zwischen den einzelnen Stämmen dieses Volkes, die einander hassten.
Wir bezichtigten ihn der Lüge, als er behauptete, dass diese Frau unsterblich wäre - denn das schien er uns weismachen zu wollen -, da nichts und niemand unsterblich sei. Wir lachten auch über seine Schilderung ihrer Macht, was ihn in große Wut versetzte. Er erklärte sogar, dass unser Herr, Buddha, nicht so viel Macht besäße wie seine Priesterin, und dass er uns das beweisen würde, indem er uns ihren Zorn über unsere Zweifel spüren ließe.
Wir versorgten ihn mit Nahrung und schickten ihn aus dem Kloster. Als er ging, erklärte er uns, dass wir sehr bald erfahren würden, wer die Wahrheit sage. Wir wissen nicht, was aus ihm geworden ist, und er weigerte sich, uns den Verlauf der alten Straße zu verraten, die jenseits der Wüste und der Fernen Berge liegt. Vielleicht war er von einem bösen Geist zu uns gesandt worden, um uns zu ängstigen, was ihm jedoch nicht gelang.
Soweit die seltsame Eintragung, die uns mit Erregung und Hoffnung erfüllte. Sonst fanden wir nichts über diesen Mann und sein Land, doch ein gutes Jahr nach diesem Bericht brach das Journal abrupt ab, ohne jede Andeutung darauf, dass ungewöhnliche Ereignisse stattgefunden hätten oder erwartet würden.
Die letzte Eintragung in dem Pergament befasste sich, im Gegenteil, mit Zukunftsplänen, mit der Erschließung neuen Landes für den Anbau von Getreide, was darauf hindeutet, dass die Brüder keinerlei Störungen ihres friedlichen Lebens erwarteten oder befürchteten. Wir fragten uns, ob der Mann von jenseits der Berge seine Drohung wahrgemacht und die Rache der Priesterin Hesea auf die kleine Gemeinde herabbeschworen habe, die ihn vor dem Tod gerettet hatte. Und wir fragten uns vor allem, wer oder was diese Hesea sein mochte.
Einen Tag nach dieser Entdeckung baten wir den Abt, uns in die Bibliothek zu begleiten, und nachdem wir ihm die Passage vorgelesen hatten, fragten wir ihn, ob er etwas über diese Angelegenheit wisse. Er wiegte seinen weisen, alten Kopf, der mich immer an den Kopf einer Schildkröte erinnerte, und sagte: »Wenig, sehr wenig, und das auch nur über die griechische Armee, die in der Schrift erwähnt wird.«
Wir fragten ihn, wie er von Ereignissen wissen könne, die vor zweitausend Jahren stattgefunden hätten, woraufhin Kou-en uns ruhig erklärte: »Zu jener Zeit, als der Glaube des Heiligen noch sehr jung war, lebte ich als einfacher Mönch in diesem Kloster, das eins der frühesten war, und ich sah die Armee vorüberziehen. Das ist alles. Es war...«, fügte er nachdenklich hinzu, »während meiner fünfzigsten Reinkarnation - nein, das war eine andere Armee - in meiner siebenunddreißigsten.«
Leo begann zu lachen, doch ich brachte ihn durch einen Tritt ans Schienbein zum Schweigen, und er tarnte den Heiterkeitsausbruch mit einem Niesen. Glücklicherweise, denn sonst wäre der alte Mann tief gekränkt gewesen. Und schließlich waren gerade wir, wie Leo selbst einmal erklärt hatte, nicht berechtigt, uns über den Glauben an die Reinkarnation lustig zu machen, der, das sollte hier erwähnt werden, von fast einem Viertel aller Menschen dieser Erde geteilt wird, und es ist gewiss nicht das dümmste Viertel.
»Wie ist das möglich, gelehrter Kou-en?«, fragte ich, »da die Erinnerung doch durch den Tod gelöscht wird?«
»Ah!«, rief er. »Bruder Holly, das mag oft so scheinen, doch sehr häufig kommt sie zurück, besonders zu denen, die schon eine lange Strecke auf dem Weg hinter sich gebracht haben. Ich, zum Beispiel, hatte alles über diese Armee vergessen, bis ich den Bericht in dem alten Tagebuch las, doch jetzt sehe ich sie marschieren, marschieren, und ich stehe mit anderen Mönchen bei der großen Buddha-Statue und blicke hinab, während sie vorüberzieht. Es war keine starke Armee, weil die meisten ihrer Soldaten gestorben oder gefallen waren, und der Rest wurde von den wilden Völkern angegriffen, die damals südlich von hier lebten, so dass sie in großer Eile waren, die Wüste zwischen sich und ihre Verfolger zu bringen. Der König dieser Armee war ein dunkelhäutiger Mann - ich wünschte, ich könnte mich an seinen Namen erinnern, doch er fällt mir nicht ein.
Dieser König kam in unser Kloster und verlangte Quartier für seine Frau und seine Kinder«, fuhr der Abt fort, »außerdem Nahrung und Medizin und einen Führer, der seine Armee durch die Wüste bringen sollte. Der Abt jener Tage erklärte ihm, dass es gegen unser Gesetz verstieße, eine Frau unter unserem Dach aufzunehmen, worauf er erwiderte, wenn wir uns weigerten, würden wir kein Dach mehr haben, weil er das Kloster niederbrennen und uns alle töten lassen würde. Nun wisst ihr genauso wie ich, dass ein gewaltsamer Tod für uns bedeutet, dass wir mehrere Inkarnationen als Tiere durchlaufen müssen, eine entsetzliche Vorstellung! Also wählten wir das kleinere Übel und gaben nach und erhielten später Absolution für diese Sünde vom Dalai Lama. Ich habe die Königin nicht selbst gesehen, doch ich sah die Priesterin, die diese Menschen verehrten... die sie anbeteten... Oh!« Kou-en schlug mit beiden Fäusten gegen seine Brust.
»Wieso Oh?«, fragte ich so desinteressiert, wie es mir möglich war, denn seine Erzählung fesselte mich ungemein.
»Wieso? Weil ich die Armee vergessen hatte, nicht aber die Priesterin, die mir ein großes Hindernis auf meinem Weg durch viele Inkarnationen war und mich auf meiner Reise zum Anderen Ufer, zum Ufer der Erlösung, aufgehalten hat. Ich, ein einfacher Lama, war damit beschäftigt, ihr Quartier vorzubereiten, als sie eintrat und ihren Schleier zurückriss und zu mir sprach und mir viele Fragen stellte, mich, der ich geschworen hatte, nie eine Frau anzusehen.«
»Was...