Henry Rider Haggard

AYESHA - SIE KEHRT ZURÜCK


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Dann führten sie uns in das Gästezimmer und wiesen uns darauf hin, dass es ein glückbringender Raum sei, da einmal ein berühmter Heiliger in ihm geschlafen habe. Ein Feuer brannte, und - Wunder über Wunder - saubere Kleidung lag bereit, alles sehr alt und ausgeblichen, doch von guter Qualität und sauber.

      Wir wuschen uns mit heißem Wasser, und nachdem wir die saubere Kleidung angezogen hatten - die sich für Leo als etwas knapp erwies schlugen wir auf die Glocke, die neben der Tür hing, und ein Mönch erschien und führte uns zur Küche zurück, wo das Essen bereits aufgetragen war. Es bestand aus einer Art Grütze, die mit frischer Milch gegessen wurde, sowie getrocknetem Fisch aus dem See, und Tee mit Yakbutter. Noch nie hatte uns ein Essen so köstlich geschmeckt, und noch nie hatten wir so viel gegessen. Ich musste Leo schließlich ermahnen, aufzuhören, als ich sah, wie die Mönche ihn anstarrten und der Abt leise zu kichern begann.

      »Oho! Das Kloster, das die Welt genannt wird, lässt die Menschen wirklich hungrig werden«, kicherte er, und ein anderer Mönch, der Herr der Vorräte genannt wurde, bemerkte unsicher, wenn wir so weitermachten, würden seine Kammern schon lange vor Ende des Winters leer sein. So beendeten wir unser Mahl getreu der Maxime, an die ich mich aus meiner Kinderzeit erinnere, dass wir noch mehr hätten essen können, und beeindruckten unsere Gastgeber, indem wir ein langes, buddhistisches Dankgebet sangen.

      »Ihre Füße sind auf dem Weg! Ihre Füße sind auf dem Weg!«, riefen sie erstaunt.

      »Ja«, sagte Leo, »und schon seit sechzehn Jahren in unserer derzeitigen Inkarnation. Doch sind wir noch immer Novizen, denn ihr, heilige Mönche, wisst, wie unendlich lang dieser Weg ist. Um auf diesen Weg geführt zu werden, sind wir durch einen wunderbaren Traum zu euch geleitet worden, mit der Aufforderung, bei euch zu verweilen, bei den frömmsten, heiligsten und gelehrtesten aller Lamas in diesem Teil der Welt.«

      »Ja, das sind wir«, antwortete Abt Kou-en, »da es in einem Umkreis von fünf Monatsreisen kein anderes Kloster gibt...« - er kicherte wieder -, »doch unsere Zahl«, fügte er mit einem pathetischen kleinen Seufzer hinzu, »nimmt ständig ab.«

      Kurz darauf baten wir, uns in unser Zimmer zurückziehen und ausruhen zu dürfen, und wir schliefen volle vierundzwanzig Stunden lang und erhoben uns frisch und munter. So verlief unsere Einführung in das Kloster der Berge - es hatte keinen anderen Namen - in dem wir die nächsten sechs Monate unseres Lebens zubringen sollten. Wenige Tage nach unserer Ankunft - denn sie brauchten nicht lange, um uns völlig zu vertrauen - erzählten uns diese gutherzigen, einfachen, alten Mönche die ganze Geschichte ihres Klosters.

      Vor langer, langer Zeit hatte sich hier ein Lama-Kloster befunden, in dem mehrere hundert Brüder lebten. Das traf ganz offensichtlich zu, denn die Gebäude waren riesenhaft, wenn auch jetzt zum größten Teil verfallen, und, wie die verwitterte Buddha-Statue bewies, uralt. Gerüchte besagten, wie uns der alte Abt erklärte, dass die Mönche vor zweihundert Jahren von einem kriegerischen Stamm, der jenseits der Wüste lebte und das Feuer anbetete, ermordet worden seien. Nur wenige von ihnen überlebten das Massaker, um die Nachricht zu verbreiten, und fünf Generationen lang wagte niemand, in dem Kloster zu leben.

      Schließlich wurde ihm, unserem Freund Kou-en, in seinen jungen Jahren offenbart, dass er die Reinkarnation eines der ermordeten Mönche dieses Klosters sei, der ebenfalls Kou-en geheißen hatte, und dass es während seines jetzigen Lebens seine Pflicht sei, dorthin zurückzukehren und durch diese Tat viel Verdienst zu erwerben. Also sammelte er eine Gruppe von anderen Mönchen um sich, die sich, mit dem Segen seiner Oberen, auf den Weg machten und nach einem harten und verlustreichen Marsch das Kloster fanden und in Besitz nahmen.

      Dies geschah vor gut fünfzig Jahren, und seit dieser Zeit hatten sie ihr Kloster niemals verlassen und nur gelegentlich von der Außenwelt gehört. Anfangs wurde ihre Zahl durch Zugänge von anderen Klöstern stabil gehalten, doch nach einiger Zeit kam niemand mehr, und die Gemeinde starb allmählich aus.

      »Und was dann?«, fragte ich.

      »Und dann nichts«, antwortete der Abt. »Wir haben große Verdienste erworben; wir wurden mit vielen Offenbarungen gesegnet, und, nach der verdienten Ruhepause im Devachan, werden wir bei unserer nächsten Inkarnation mit einem viel besseren und leichteren Leben belohnt werden. Was können wir mehr verlangen, so weit entfernt von allen Versuchungen dieser Welt?«

      Ansonsten, in den Pausen zwischen den endlosen Gebeten und noch endloseren Meditationen, waren sie Bauern, die den fruchtbaren Boden am Fuß der Berge bestellten und sich um ihre Yak-Herde kümmerten. So führten sie ein frommes Leben, bis sie eines Tages an Altersschwäche starben und, wie sie glaubten - und wer würde zu behaupten wagen, dass sie sich irrten -, den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen in einer anderen Gestalt, an einem anderen Ort, fortsetzen würden.

      Kurz nach unserer Ankunft im Kloster, noch am gleichen Tag, begann der Winter mit bitterer Kälte und Schneestürmen, die so anhaltend und so häufig waren, dass die Wüste mit einer dicken Schneeschicht bedeckt wurde. Uns war sehr bald klar, dass wir bis zum Frühjahr hier bleiben müssten, da ein Weiterziehen, ganz gleich in welche Richtung, einem Todesurteil gleich käme. Etwas verlegen erklärten wir Abt Kou-en unsere Lage und schlugen vor, in einen der Räume in dem verfallenen Teil des Klosters zu ziehen und uns von Fischen zu ernähren, die wir fangen würden, indem wir ein Loch in das Eis des zugefrorenen Sees oberhalb des Klosters hackten, und von dem Wild, falls es welches geben sollte, das wir in dem dichten Gehölz von Krüppelkiefern, der das Kloster an drei Seiten umgab, schießen oder in Fallen erbeuten konnten. Aber davon wollte er nichts hören. Wir seien als Gäste zu ihm geschickt worden, erklärte er, und wir sollten seine Gäste bleiben, solange es uns gefiele. Wie könnten wir ihm zumuten, das Gesetz der Gastfreundschaft zu brechen? Außerdem, bemerkte er mit seinem trockenen Kichern: »Wir, die wir hier allein leben, hören gerne etwas über das große Kloster, das die Welt genannt wird, wo es den Mönchen nicht so gut geht wie uns, die wir in so gesegneten Umständen leben, und wo die Menschen sogar hungerten - an Körper und an Seele.«

      Das Anliegen dieses gütigen, alten Mannes war, wie wir später feststellen sollten, unsere Füße auf dem Weg zu lassen, bis wir das Ziel, die Wahrheit, erreicht haben würden - das heißt, bis wir so perfekte Lamas geworden waren wie er und seine fromme Herde.

      Also gingen wir auf dem Weg, wie wir es schon in vielen anderen Lama-Klöstern getan hatten, nahmen an den langen Gebetssitzungen in der Tempelruine teil, studierten das Kandjurm, die Übersetzungen der Worte Buddhas, die Bibel der Lamas (eine ziemlich umfangreiche), und bewiesen immer wieder, dass unsere Gehirne geöffnet waren. Wir schilderten ihnen auch die Doktrinen des Christentums, und sie waren entzückt, wenn sie viele Ähnlichkeiten zwischen unserem und ihrem Glauben feststellen konnten. Wenn wir über einen längeren Zeitraum hinweg hätten bei diesen Mönchen bleiben können - sagen wir einmal: zehn Jahre lang -, so hätten wir sicher einige von ihnen dazu bringen können, eine neue Erleuchtung zu akzeptieren, deren Propheten wir gewesen wären.

      Wir erzählten ihnen zwischen den religiösen Exerzitien viel von dem Kloster, das die Welt genannt wird, und es war ergreifend zu erleben, wie gespannt und begierig sie unseren Berichten über fremde Länder und Menschen anderer Rassen lauschten; sie kannten ja nur China und Rußland und ein paar halbwilde Stämme, die Bewohner der Berge und der Wüste.

      »Es ist gut, dass wir von anderen Ländern und anderen Menschen erfahren«, erklärten sie. »Wer weiß, vielleicht werden wir in späteren Inkarnationen in einem dieser Länder geboren.«

      Doch obwohl die Zeit auf diese Weise relativ rasch verging, und wir in Bequemlichkeit, verglichen mit manchen vergangenen Erfahrungen sogar im Luxus lebten, waren unsere Herzen von Unruhe erfüllt, denn in ihnen brannte das verzehrende Feuer unserer Sehnsucht. Wir fühlten, dass das Ziel unserer jahrelangen Suche greifbar nahe lag - ja, wir wussten es. Wir wussten es, doch die Umstände verwehrten uns, auch nur einen einzigen Schritt zu tun, um unserem Ziel näherzukommen. Immer noch peitschten Stürme über die Wüste, trieben Wolken von Schnee vor sich her und türmten ihn zu turmhohen Verwehungen auf, unter denen jeder Mensch lebendigen Leibes begraben werden würde. Wir mussten hier ausharren und warten, es gab keine andere Möglichkeit.

      Wir fanden nur eine Ablenkung, nur eine einzige: in dem verfallenden Teil des Klosters entdeckten wir