Camillo Schaefer

Musik der Habsburger


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(1504), von einer Studentengruppe vor dem Kaiser gegeben, kann mithin schon als die erste kunstvolle Vorwegnahme der späteren Musikdramen angesehen werden.

      Unter Kaiser Karl V. (1500-1558) wetteifern mit der Wiener Kapelle die Hofkapellen in Madrid und Brüssel, und schon als König von Ungarn und Böhmen holt Kaiser Ferdinand I. (1503-1564) einen der vortrefflichsten Kontrapunktisten seiner Zeit, den niederländischen Komponisten Arnold von Bruck (ca. 1500-1554), an seinen Hof, wo er die von Maximilian I. gegründete Hofkapelle auf 50 Mitglieder erweitert. Am Augsburger Reichstag (1548) erregt somit nicht nur die musikalische Leistung seiner Hofkapelle allergrößtes Aufsehen, sondern auch die enorme Summe von 20. 000 Gulden, die ihm dieses musikalische Vergnügen persönlich kostet.

      Dem Sohn Karls V., König Philipp II. von Spanien (1527-1598), der unter anderem ein leidenschaftlicher Sammler von Musikinstrumenten ist, gefällt speziell die flandrische Musik so vortrefflich, dass er diese nach einer Habsburger-Zusammenkunft im Winter 1550/51, anlässlich der er auch seine deutschen Verwandten kennenlernt, sogar bei sich im Lande einführt.

      Im Jahrhundert zwischen dem Beginn der Reformation und dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges bewirkt die Strahlkraft der Renaissance einen ungeheuren Aufschwung der Musik, der ihresgleichen erst in späteren Zeiten wieder findet. Eine nochmalige Steigerung erfolgt durch die hitzige Ausbreitung des Notendrucks. Nach venezianischem Vorbild entsteht 1512 das erste gedruckte deutsche Liederbuch. Die Fürsten sind ständig bestrebt, in ihren Hofkapellen die besten Sänger und Instrumentalisten zu vereinen, um sich möglichst gegenseitig zu übertrumpfen. Kaiser Maximilian II. (1527-1576) zieht mit seiner Kapelle, die er bereits auf 83 Mitglieder aufgestockt hat, 1566 zum Augsburger Reichstag - 1575 begegnen seine Hofmusiker und Sänger der berühmten Hofkapelle des Herzogs Albrecht von Bayern beim selben Anlass in Regensburg. Das repräsentativste Musiksammelwerk des 16. Jahrhunderts >Thesaurus musicus< (1568), das Maximilian II. und seinen Brüdern gewidmet ist, weist aus, dass nahezu alle der insgesamt 250 darin enthaltenen Motetten von Musikern stammen, die sich um diese Zeit in habsburgischen Diensten befinden. Kaiser Matthias (1557-1619) bringt 1612 seine Kantorei zur Frankfurter Krönung mit; die Musikerfamilie um Lambert de Sayve (ca. 1549-1614) ist darin führend, der einheimische Christoph Strauß (ca. 1575-1631), ein Kammerorganist, hält die Hofkapellmeisterstelle.

      Im Jahr 1618 lässt Kaiser Matthias trotz der düsteren „äußeren politischen Verhältnisse im Rahmen der so genannten >Wirthschaften<, die das kaiserliche Paar für seine Gäste nach dem Vorbild rustikaler ländlicher Feste veranstaltet, große Wagen mit ganzen Bühnen auf den inneren Burghof bringen, auf denen Venus und die neun Musen, der Olymp und der Parnass dargestellt sind - ein opulentes Spektakel, das mit seinen Huldigungschören sowie einem Diskantisten, der die höchste Tonlage hält, geradewegs der barocken Opernidee entnommen sein könnte.

      Die Münchener Hofkapelle, die schon 1526 nach dem Vorbild Kaiser Maximilians I. von Ludwig Senfl umgestaltet wird, erlebt ihre Glanzzeit ab 1556 mit der Berufung des >Belgischen Orpheus< Orlando di Lasso (1532-1594), der sich am Münchener Hof die Stellung eines so genannten >princeps musicae< erwarb. Seine beherrschende Persönlichkeit geht in ihrem Wirken über Bayern, wo er die spezifische Renaissancekultur entscheidend mitprägte aber weit hinaus; neben seiner Verbindung mit dem französischen Hof steht er auch in Beziehung zum kunstsinnigen Ferdinand I. in Innsbruck und wirkt um die Herausarbeitung der musikalischen Form >Oper< mit solch unschätzbaren Verdiensten, dass man ihn als kulturelle Zentralgestalt seiner Epoche schlechthin ansehen darf (4). Bei den Hochzeitssolennitäten für Erzherzog Karl II. von Innerösterreich mit Maria von Bayern (1571) in Wien und Graz, wo sich die beinahe programmatische Habsburger-Formel "Bella gerant alii, tu felix Austria nube" einmal mehr erfüllt, ist Orlando di Lasso ebenfalls mit dabei. Die prunkvolle Ausstattung besorgt der Brautvater, Albrecht V. (1528-1579), dessen Neigung zu großartigen Festlichkeiten allgemein bekannt war - gleichsam im Nebeneffekt, zielte die enorme Prachtentfaltung darauf ab, die religiös gespaltenen Erbländer mit entsprechendem Pomp zu beeindrucken. Während der Wiener Trauungszeremonie wird ein festliches >Te Deum< gegeben, an der feierlichen Tafel selbst spielt man >diversi concerti<. Auch der große Ball danach war selbstverständlich von einer Reihe musikalischer Darbietungen umrahmt, so dass man sicherlich nicht fehlgeht, sich die hochzeitlichen Musikaufführungen vom prunkvollen mehrchörigen Kirchenstil und die noch madrigaleske Tafelmusik bis zum Ballett und zur Comedia dell'arte hin vorstellen zu dürfen. Daneben trat, nach überaus intensiven Vorbereitungen, die auch eine große Anzahl von Handwerkern beschäftigten, welche Luxusgüter und Ziergegenstände, Schmuck und kostbare Harnische herzustellen hatten gewissermaßen als früher Vorbote dieser Literaturgattung das wohl allererste, uns bekannte Jesuitendrama auf den Plan. Nach dem biblischen Stoff von Samson und Delilah wurde darin die unbedingte Heiligkeit der Ehe ebenso angesprochen wie die "Unzulässigkeit einer Verbindung mit Andersgläubigen, also konkret mit den Protestanten" (5).

      Unter den vielen ausländischen Gästen blieben die italienischen Fürstenhäuser allerdings in der Minderzahl - Albrecht V. hatte sie nur deshalb eingeschränkt eingeladen, da er die Vergleiche solcher Adelsträger von "großer herrlichkeit vnnd pracht" mit seiner Hofhaltung scheute und aller eigenen Renaissanceherrlichkeit zum Trotz deren kulturelle Überlegenheit befürchtete.

      Vermutlich hatte Orlando di Lasso anlässlich dieser Hochzeitsfeier, die - als prunkvolles Fest gesehen - ebenfalls eine Art bedeutungsvolles Repräsentationstheater war (6), eine eigene Messe komponiert; neben einer Reihe weiterer Musiker wurde nach der Summe des in den höfischen Zahlbüchern ausgewiesenen Geldgeschenks aber nur noch der Italiener Annibale Padovano ebenso hoch eingeschätzt und bezahlt.

      Um 1527 geboren, war Padovano zuerst Organist in San Marco gewesen, bis er 1566 als Komponist, Organist und Lautenist zur Grazer Hofkapelle übersiedelte, die als Erbe Ferdinands I. galt. Padovano verdrängte dort schon nach vier Jahren den niederländischen Komponisten Johann de Cleve (1529-1582) - womit faktisch eine musikhistorische Epoche beginnt, die in Hinkunft völlig von den Italienern beherrscht werden sollte (7), deren Reservoir an musikalisch-künstlerischen Kräften wahrhaft ungeheuerlich anmutet. Als Padovano 1575 in Graz verstarb, wurde sein Nachfolger als Kapellmeister der italienische Posaunist und Komödiendichter Simon Gatto (1535-1591), der schon seit 1568 in München wirkte und bereits den mehrchörigen, akkordischen Prunkstil einsetzte; seine Messe >Hodie Christus natus est< enthält im letzten Agnus Dei vier Hexameter, die sich eindeutig auf die vorgenannte Hochzeit von 1571 beziehen: "Vive Maria, diu, Boiorum gloria stirpis-Carolus Austriace vivat, dux inclytus ore."

      Bei der Wiederherstellung der Grazer Hofkapelle (1596), die sich gleichzeitig mit der Erbhuldigung Ferdinands II. in Graz vollzog, waren die Italiener demgemäß bereits in der Überzahl. Die nunmehr bereits fix besoldete Kapelle bestand aus 18 Sängern, 3 Organisten sowie 24 Instrumentalisten und galt fortan als kaiserliche Hofmusik, an deren Spitze Philipp de Monte aus Mecheln (1521-1603) stand, der 500 Gulden jährlich bezog. Unter Ferdinand III. war die Hofkapelle bereits auf 27 Sänger, 4 Organisten, 21 Instrumentalisten, 10 Trompeter, einen Pauker, 2 Notenschreiber und Kalkanten, einen Instrumentendiener sowie einen Instrumentenbauer angewachsen. Kaiser Rudolf II. (1552-1612), der auf dem Prager Hradschin residierte, öffnete dessen Pforten nicht nur wunderlichen, angeblich Gold fabrizierenden Alchemisten und mystischen Sterndeutern, denen die Vorliebe des geheimnisvollen Regenten galt, sondern besaß zudem - obschon seine Zeit kaum epochale Komponisten, wohl aber die epochemachende Ausübung der frühen Oper aufbot - eine Hofkapelle von immerhin 87 Mann, deren Spitze gleich vier Hofkapellmeister angehörten, deren ältester, Jakob Regnard (1531-1599) bereits aus den Diensten Maximilians II. kam und nach dessen Tod von Rudolf II. nach Prag berufen wurde. Von Regnard hat sich eine größere Anzahl an Messen, Motetten, Kanzonen und deutschen Liedern nach italienischem Vorbild erhalten. Hans Leo Hassler aus Nürnberg, vorher Organist beim Grafen Fugger, blieb von 1601 bis 1608 in der gleichen Eigenschaft (und, wie er sich selbst spöttelnd bezeichnete) als "kaiserlicher Hofdiener" in Prag. Ebenso kam Jacobus Gallus (eigentlich Jakob Handl, 1550-1591) den man als den >deutschen Palestrina< bezeichnete, ein hochrangiger Musiker der deutschen Schule, auf die Prager Burg. Ihm setzte Henrikus Goetling 1593 den Nekrolog: "... Wem soll nun seine Musik gut / Erweichen nit beid Hertz und Muth / Er müst fürwahr ganz steinern sein". Dazu gesellten sich 1600 noch Alessandro Orologio, ebenfalls ein Virtuose von großem Ruf, sowie Tiburzio Massaino aus Cremona, ein Augustinermönch und