Camillo Schaefer

Musik der Habsburger


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Alessandro Milleville ragt besonders Francesco Turini, ein hochgelehrter Kontrapunktist und Kanonist hervor, den Kaiser Rudolf zuvor nach Rom und Venedig zu Studien schickte; an seiner Seite wirkt aber auch der Vater, Gregorio Turini, ein kunstvoller Sänger und Zinkenbläser aus Brescia (8) mit. In Zukunft blieb die Vorherrschaft in der Musik damit durchwegs italienischen Kräften vorbehalten, die vor allem bald nach Wien drängten, wo sie unter den Habsburgerkaisern bald eine dominierende Stellung erreichten, die bis weit ins 18. Jahrhundert hinein anhielt. Sogar noch die Symphonien des kaiserlichen Hofkompositeurs und Domkapellmeisters Johann Georg Reutter, der Haydn als achtjährigen Chorsänger ins Kapellhaus von Sankt Stephan holte, waren gänzlich dem >Servizio di Tavola< bestimmt (9).

      Die Frage, ob Musikalität erblich ist oder nicht, hat bekanntlich immer wieder zu grundverschiedenen Antworten geführt. Ein klassisches Beispiel ihrer Bejahung bleibt das Musikergeschlecht der >Bache< mit der Zentralfigur Johann Sebastian Bachs (1685-1750), dessen erbmäßige musikalische Anlagen sich innerhalb seiner Familie bis um 1550 zurückverfolgen lassen und dessen überragende Bedeutung gleichwohl alle seine Vorfahren wie Nachkommen überstrahlt. An der Kompositionstechnik Carl Philipp Emanuels (1714-1788), des so genannten Hamburger oder Berliner Bachs, orientieren sich zwar noch Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven, die wie Mozart, der sich am Beispiel des Mailänder oder Londoner Johann Christian Bach (1735-1782) bildet, sozusagen deren Erbe als musikalische Meistergeneration zur viel zitierten Wiener Klassik empor führen werden, doch das Talent von Bachs Lieblingssohn Wilhelm Friedemann (1710-1784) trägt, trotz seines gefühlvollen Stils, nicht mehr die vom Vater erhofften Früchte.

      Schon W.A. Mozarts Vater, Leopold (1719-1787), besitzt als Violinist, Komponist und Musikpädagoge einen hervorragenden Namen, Beethoven wird als zweiten Sohn eines Bonner Hoftenoristen ebenso die Musikalität gewissermaßen schon in die Wiege gelegt; Brahms ist seinerseits der Sohn eines Kontrabassisten, die Dynastie der wienerischen Walzerkönige Strauß lässt erbliche Zusammenhänge überdeutlich erkennen. In ebensolchem erblichen Zusammenhang stehen die Namen Alessandro Scarlatti - von dem noch berichtet wird - und dessen Sohn Domenico (1685-1757), genannt Mimo, aber auch die große Komponistenfamilie um Jean Baptiste Lully, der als Sohn eines italienischen Müllers zum Schöpfer der französischen Nationaloper aufsteigt, sowie die Namen der beiden Brüder Joseph und Michael Haydn.

      Auf die komponierenden Habsburger selbst trifft wohl der Regelfall zu, dass das musikalische Talent innerhalb eines Familienstammbaums in einer Einzelperson kulminiert, die neben Ferdinand III. doch zweifelsfrei Leopold I. zu sein scheint, obgleich auch dessen noch in der Jugendzeit verstorbenem Sohn Josef I. durchaus eine größere Musikbegabung zugeschrieben wird. Freilich bleibt sie nicht verifizierbar, und weder Leopolds Vorfahren noch seine Nachkommen besitzen auch nur annähernd seine musikalische Kapazität.

      Die Lust am Musikalischen vererbte sich zwar von Maximilian dem letzten Ritter über Karl V. bis weit zu Karl VI. und dessen Nachfolgern hinaus, äußert sich aber in all diesen Nachfahren bloß als reproduktive Ausübung, die späterhin völlig erlischt. Karl V., sowohl in den Niederlanden wie in Madrid residierend, unterhielt gleich zwei Hofkapellen, die mit jener des Erzherzogs Ferdinand und späteren Kaisers in Wien konkurrierten, so dass zeitweilig faktisch drei (!) Hofmusikkapellen indirekt nebeneinander bestanden, worin beispielsweise so berühmte Komponisten wie Francesco Guerrero aus Sevilla (1528-1599) oder Mattheo Flecchia, welcher eine eigene Theorie des Kontrapunkts verfasste, neben 44 weiteren Musikern wirkten, die als >Zierde des Madrider Hofs< galten.

      Ferdinand II. (1578-1637) und Ferdinand III. (1608-1657), Leopolds Vater und Großvater, stehen völlig unter dem Einfluss der Jesuiten, die sich um die Mitte des 16.Jahrhunderts von den drei Zentren Ingolstadt, München und Augsburg, die ihnen als Filialanstalten dienen, rasch in Prag, Brünn, Graz, Tirol sowie in Ungarn ausbreiten. Im nachfolgenden Dreißigjährigen Krieg werden die Jesuiten als treibende Kraft zur Seele der Liga berufen sein, den unabänderlichen katholischen Glaubensanspruch, der gleichzeitig unversöhnlichen Protestantenhass abverlangt, vom so genannten >Professhaus<, dem Jesuitenkolleg Am Hof, aus zu verkünden. Dort und zuweilen sogar auf dem Friedhof schlagen sie - zunächst noch unter freiem Himmel - ihre Spielbuden auf.

      Damit entsteht in kürzester Zeit aus den gelehrten Schuldramen der Humanisten ein völlig dem Massenpublikum entsprechendes, sich sozusagen dem Volkstheater annäherndes, furioses Bühnenspektakel. 1620 errichten die Jesuiten, die die strengen Fesseln des Ordens längst abschütteln, um der Schaulust und Theaterfreudigkeit der Wiener ihre szenischen Künste vorzuführen, die erste wirkliche Bühne. Im Jesuitentheater, späterhin als >Jesuitenoper< bezeichnet, das für alle Nichtlateiner frühe Balletteinlagen, Nebenhandlungen und erste opernhafte Zwischenspiele bot, entfaltet sich damit bereits auf höchst wienerische Weise die barocke Dramatik - zunächst noch als Schulbühne gedacht, auf welcher ein geeigneter Nachwuchs im Reden und Deklamieren geübt werden soll, wurden die Stücke bald mit publikumswirksamen Chören, melodramatischen Einlagen, Couplets im Tonfall der eifervollen Stegreifprediger Marco d' Aviano und Abraham a Sancta Clara sowie mit deutschen Liedern versehen, während die Musik dazu so namhafte Komponisten wie Johann Caspar Kerll, dessen >Missa Non sine quare< Kennern der Kirchenmusik noch bis heute geläufig ist, sowie Ferdinand Tobias Richter lieferten. Der jesuitische Geist verkehrt die Tendenz zum >Inhalt<, die pompöse Ausstattung im Verein mit >Gottes Wort< aber zur beliebten Attraktion, die damit schon dicht an die künftige Barockoper heranführt.

      Der Stoffkreis des Jesuitentheaters, der sich vorwiegend mythologischer Themen bediente, aber das römische und griechische Altertum ebenso beanspruchte wie etwa die frühchristliche Märtyrerzeit, war zwar mit allegorischen Maßlosigkeiten überladen, doch in der Blütezeit dieser religiösen Bühnengestaltung besucht sogar der Kaiser persönlich die Exposition des Heiligen Grabes, während die großen Festspiele der Jesuitenklassiker Nicolo Avancinus (1612-1686) und Jakob Bidermanns (1578-1639) gewissermaßen ganz Wien in die, um den Roten Turm angelegten Lustgärten, locken (10). Im religiösen Streitspiel von der >Sigreichen Frömmigkeit<, einem absoluten Höhepunkt der Wiener Jesuitenoper, erschien Phaeton selbst auf seinem Feuerwagen daherfahrend, während Frömmigkeit und Gottlosigkeit einander bekriegend, auf Adler und Drachen einher ritten - zweifellos Theatereffekte, welche in ähnlicher Form in den späteren großen Repräsentationsopern vielfach wiederkehrten. Avancinus, der Verfasser, wurde nach seinem Tod von Kaiser Leopold I. sogar mit einen lateinischen Carmen bedacht. Die Wirkung der Jesuitenoper, in der bisweilen auch die Zeitgeschichte in Form eines grausigen Dramas mit Henkersgehilfen, Köpferollen und Giftmorden auftrat, war tatsächlich gewaltig; ihr Geist durchsetzte die gesamte Epoche und durchdrang sogar noch das nachfolgende Jahrhundert. Die äußerst derbe Komik, Hosenrollen, delikate Verwechslungen und gewagten Liebesszenen erfreuten sich vornehmlich der Gunst der Volksmassen; man scheute sich nicht einmal, selbst blutrünstige Tierkämpfe als Konkurrenz des noch bis in Mozarts Zeit weiter bestehenden Wiener >Hetztheaters<, einer viel besuchten Tierarena, auf die Bühne zu bringen, worauf es wenig verwundert, wenn das schaulustige Publikum sich scharenweise zu derlei Darbietungen drängte. 1622 brach bei einer solchen Vorstellung Am Hof sogar eine der Tribünen unter dem Gewicht des Publikums zusammen, wobei es Tote und etliche Verletzte gab.

      Das Wiener Jesuitenkolleg besaß 1650 einen Theatersaal in der heutigen Bäckerstraße, der nach zeitgenössischen Angaben 3000 (?) Personen aufgenommen haben soll und damit sozusagen als ältestes Wiener Opernhaus gelten kann. Noch unter Maria Theresia, die 1754 schon das gesamte Theaterinventar für 2500 fl. erworben hatte, fanden dort Aufführungen statt, bis unter den Säkularisierungsmaßnahmen ihres Sohnes Josefs II. diese Tradition ihr endgültiges Ende fand.

      Während des Barockzeitalters bestimmt die Architektur das Verhältnis des Menschen zur Umwelt, der alles gestaltet wissen will (11); das Theater verstand sich somit als mögliche künstliche Durchdringung seiner Lebensräume, dessen gigantische technische Effekte auf die Schaffung eines Gesamtkunstwerks abzielten - die geistige Dimension des Zeitalters ist in dem Ansatz zu sehen, die normalmenschliche Natur möglichst hinter ihre Grenzen zurückzudrängen und damit weitgehend >verbessern< zu können. Religiosität und Frömmelei, die sich äußerlich kaum unterschieden, wurden somit zu den eigentlichen Vehikeln der Jesuitenoper, die Kunst selbst diente nur dem Überbau. Ferdinand II., der in Loretto das fanatische Gelübde abgelegt hatte, den Katholizismus um jeden Preis wieder zur alleinherrschenden Religion