Detlef Köhne

Heinrich Töpfer und die Jubelkugel


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      ›Netter Versuch, Mr. Durstig. So leicht wird Harry – oder, falls Ihnen das lieber ist: Heinrich – nicht um seine Einschulung in Hochwärts herumkommen. Was soll überhaupt das Herumgezicke? Ich dachte, Sie seien froh, wenn wir Ihnen den Bengel abnehmen.‹

      Paul blickte auf und verzog das Gesicht. »Ich kann's nicht glauben. Ich unterhalte mich mit einem Computer.« Sein Lachen klang eine Spur zu hoch.

      ›Jaja, herzlichen Glückwunsch. Sie haben den ersten Schritt in eine größere Welt getan‹, schrieb der Cursor ironisch.

      »Ich hasse vorlaute und sarkastische Computer.«

      ›Und ich hasse es, meine Zeit mit Ihnen zu vergeuden. Holen Sie mir nun endlich Ihren Neffen ans Gerät?‹

      »Ich bin hier«, sagte Heinrich mit belegter Stimme. Das Ganze war ihm äußerst unheimlich.

      ›Ah, perfekt. Mr. Potter. Erfreut, Sie kennenzulernen. Ihr Onkel scheint ein wenig schwer von Begriff zu sein, aber ich bin sicher, jetzt kommen wir weiter. Gewiss haben Sie Ihren Brief bereits erwartet. Alle sind immer total scharf darauf, endlich ihren Brief zu bekommen. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber wir hatten Schwierigkeiten, Ihre E-Mail-Adresse herauszubekommen. Da die Zeit zum Einkaufen dadurch etwas knapp geworden ist, schicke ich Ihnen als Unterstützung gerne Hagweed vorbei. Kinder, die in Nupsihaushalten aufgewachsen sind, benötigen häufig etwas Starthilfe.‹

      »Wieso Starthilfe? Und was für eine Einschulung? Ich bin längst eingeschult. Außerdem kann ich morgen nicht. Ich bin mit Freunden verabredet«, ratterte Heinrich perplex herunter. »Und wozu überhaupt? Wenn ich doch gar nicht der bin, den Sie ...«

      ›Du lieber Himmel! Ist es wirklich so schlimm mit Ihren Pflegeeltern, dass Sie Ihre eigene Existenz verleugnen müssen? – Hören Sie, Mr. Pot...‹

      »Töpfer«, unterbrach Heinrich. Ein nervöses Kribbeln ergriff Besitz von ihm.

      ›Also gut: Herr Töpfer, wenn Sie darauf bestehen‹, setzte das Programm neu an. ›Auch wenn es bedauerlich ist, dass wir Ihnen die Durstigs nicht ersparen konnten, erschien uns eine Unterbringung bei den Nupsis unter den damaligen Umständen einfach am sichersten. Nachdem Sie allein durch den Umstand Ihrer Geburt die Macht von Dem-dessen-Name-mir-gerade-nicht-einfällt gebrochen hatten, hielten wir es für angebracht, sie vor möglichen Racheaktionen zu schützen.

       Wie dem auch sei, das Exil ist vorüber und es ist an der Zeit, dass Sie den Ihnen gebührenden Platz einnehmen. Und deshalb täten Sie mir wirklich einen großen Gefallen, wenn Sie sich einfach zusammenreißen, Ihre Einladung zur Kenntnis nehmen und sich um Ihre Einkäufe kümmern würden.

       Hagweed wird gleich bei Ihnen sein. Wir sehen uns dann morgen.

       Guten Tag und meine Empfehlung an Ihre Pflegeeltern.‹

      Der Cursor blinkte noch ein paarmal gleichmäßig am Ende der Zeile. Alsdann öffnete sich ein neues Fenster der Owl-Software und lud die Einkaufsliste. Noch während der Text sich aufbaute, hatte Heinrichs Vater zum Hauptschalter gegriffen und das Notebook ausgeschaltet. Das leise Surren des Gerätes erstarb. Er schaute Heinrich verstört an und atmete ungewohnt schnell. Kleine Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, und sie kamen nicht vom Zwiebeln schneiden. Immer wieder schüttelte er den Kopf.

      »Computer sind dumm«, sagte er schließlich und bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. »Sie führen nur aus, was ihnen einprogrammiert wurde und nichts weiter, stimmt's? Da muss jemand einen verdammt cleveren Virus entwickelt haben. Wir glauben doch nicht an den Weihnachtsmann, oder? Hahaha. Wir installieren die Kiste neu und schon ist alles in bester Ordnung.«

      Sein Vater klang bei dieser Aussage selbst nicht vollends überzeugt, und auch Heinrich hatte seine Zweifel daran, dass hier etwas zugange war, das sich mit einer simplen Neuinstallation beheben ließ.

      Wie zum Beweis begann das Betriebslämpchen des Notebooks plötzlich zaghaft zu blinken und der Startvorgang lief an. Heinrich spürte eine deutliche Gänsehaut seinen ganzen Körper hinabrieseln. Der Bildschirm blieb dunkel, doch dieses Mal – und das war weit schlimmer, als wäre erneut die Owl-Software erschienen – knirschte plötzlich in ziemlich miserabler Geräuschqualität eine scheppernde Frauenstimme aus den kleinen Lautsprechern und traf die beiden wie ein Faustschlag in die Magengegend.

      »Bevor Sie nicht nur meine, sondern auch Ihre Zeit verschwenden – schenken Sie sich das mit der Neuinstallation«, sagte die Stimme wie aus weiter Ferne. »Wie ich das so sehe, ist das Gerät tipptopp eingerichtet und absolut virenfrei. Könnte höchstens einen flotteren Grafikchip vertragen, sonst kriegen Sie ›Heroes of Night and Panic IV‹ damit nie vernünftig zum Laufen. Fragen Sie mich ruhig, falls Sie Hilfe beim Endgegner brauchen. Ach, und was ich noch loswerden wollte: Ich hoffe, die Mädchen auf Ihrer Netzwerkfestplatte im Arbeitszimmer sind alle über achtzehn.« Ein metallenes Lachen erklang. »Sorry, war nur ein Witz. Manchmal kann ich einfach nicht widerstehen.«

      Paul stürzte vor, drückte erneut den Ausschaltknopf, riss die Netzwerkkarte und den Akku aus dem Notebook und schob die Gegenstände zitternd von sich, als wären sie vergiftet.

      »Sohn«, sagte er mit flackerndem Blick und wischte sich fahrig die Stirn. »Ich glaube, wir haben beim Grill anzünden zu viel Rauchgas eingeatmet.«

      Ein Klappern ertönte aus dem nebenan gelegenen Arbeitszimmer und ließ sie beide aufhorchen.

      »Das ist dein Drucker«, sagte Heinrich mit tonloser Stimme.

      Deutlich vernahmen sie den Papiervorschub und das regelmäßige Hin und Her des Druckkopfes, der im Nachbarzimmer Zeile um Zeile Tinte auf das Papier sprühte.

      »Glaubst du, es hört von allein auf, wenn wir es ignorieren?«, fragte Paul unsicher, bevor er sich, ohne Heinrichs Antwort abzuwarten, zögernd Richtung Arbeitszimmer bewegte.

      Heinrich sprang von dem Barhocker und folgte ihm. Rechner, Akku und Netzwerkkarte nahm er vorsichtshalber mit. Besser er behielt das Zeug bei sich, bevor sein Vater es in den Backofen stopfte und auf Pyrolyse Selbstreinigung bei 400 Grad drückte.

      Der Drucker spie gerade das dritte bedruckte Blatt Papier aus, bevor der Druckkopf des Tintenstrahlers seine Tätigkeit einstellte und in die Bereitschaftsstellung zurückglitt. Mit spitzen Fingern nahm Heinrichs Vater die Blätter aus der Papierführung. Heinrich stellte sich hinter ihm auf die Zehenspitzen und las mit.

      ›Bevor Sie gleich auch noch anfangen Ihren Drucker auseinanderzubauen, nehmen Sie bitte noch zur Kenntnis, dass der Junge die Liste für seine Einkäufe brauchen wird. Verschlampen Sie sie also nicht. Hagweed ist bereits auf dem Weg. Er wird das Weitere veranlassen.

       Tut mir leid, wegen des Verbrauchs von Tinte und Papier. Stellen Sie es der Schule in Rechnung.

       Grüße, C. McGummiball.‹

      Auf den beiden anderen Blättern folgten abermals das Anschreiben mit der Einladung nach Hochwärts und ein doppelseitig bedrucktes Blatt mit einer Liste. Das musste die viel zitierte Einkaufsliste sein.

      Bücher- und Ausrüstungsliste, lasen Vater und Sohn gemeinsam. Hochwärts Akademie für Zauberei, Irrungen und Wirrungen – Ausgabe für das Erste Schuljahr

       Für das kommende Schuljahr benötigen die Erstklässler alle im Folgenden aufgeführten Ausrüstungsgegenstände und Lehrbücher.

      Ausrüstung:

       Mindestens zwei Schuluniformen (Kutte, Hut) sowie einen gefütterten Winterumhang in dunklen Farbtönen; bevorzugt Schwarz, Anthrazit, Schiefer, Hellschwarz, Dunkelschwarz, Pestschwarz oder sonst was. Hauptsache schwarz. Genehmigungsfähig sind auf Antrag auch ausgefallene Schwarzvariationen wie Tiefseedunkelgrün (ab 10000 Meter Wassertiefe), Mitternachtsblau (in einer Neumondnacht), Ebenholz, Steinkohle oder Teerlunge. Sollten Sie sich in Verdacht haben, zu Schwylerin zu gehören, sind ausnahmsweise altrosa oder ein dunkles Lila okay. Sind sie sich darüber nicht sicher, warten Sie mit dem Kauf