Detlef Köhne

Heinrich Töpfer und die Jubelkugel


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Jahre lagen lange hinter ihm und er bereitete sich offenbar innerlich schon auf den Ruhestand vor. Ein echter Projektverhinderer, der immer der Erste in der Reihe war, wenn es in der Kantine Rippchen gab (vom frisch aufgebrochenen Kadaver), aber dafür kaum aufzufinden, wenn es um das tägliche Schreckensherrschaftshandwerk ging. Mit Sicherheit würde er als Nächstes versichern, wie gerne er doch helfen würde und dann, warum ihm das nicht möglich war.

      »- und ich würde Ihnen wirklich gerne helfen, aber ...«

      Poloser seufzte. Als unterster Diener des Fürsten der Finsternis hatte man es wahrlich nicht leicht.

      Oberzerstörungsrat Schmelzer las nochmals den Text des Vermerkes in seinen Hufen durch. »Ziemlich große Nummer, die Sie da vorhaben, was? Etwas in der Größenordnung hatten wir seit der Sintflut nicht mehr. Naja, vielleicht noch die Pest damals, aber das war ein regional eng begrenztes Projekt. Im Wesentlichen gerade mal ein Kontinent.« Schließlich schüttelte er den Kopf und reichte Poloser das verschmierte Blatt zurück. »Klare Sache, Poloser: eindeutig eine Angelegenheit von Finsternis und Verderben. Ich kenn mich da aus. Und selbst Sie werden verstehen, dass ich den Kollegen da nicht einfach in die Zuständigkeiten pfuschen kann. Chaos und Zerstörung sind eine völlig andere Geschäftsgrundlage.«

      Alfred Poloser ergriff das ihm dargereichte Blatt nicht. So schnell durfte er nicht aufgeben. Dieses Projekt war sein großer Plan. Gut, wenn die Sache ein Erfolg werden sollte, würde sich die Lorbeeren dafür zweifellos jemand anders anstecken, jemand wie Dr. Schmelzer, er selbst war einfach noch ein zu kleines Licht, aber je größer das Projekt, desto mehr Lorbeeren gab es zu ernten, und falls er eine Teilprojektleitung bekam und seine Sache gut machte, könnte er am Ende wenigstens seinen Probestatus loswerden und vielleicht sogar befördert werden. Das hatte auch sein Chef, Direktor Hirnbrenner gesagt. ›Poloser‹, hatte er gesagt, ›Poloser, wenn Sie eine Teilprojektleitung bekommen und Ihre Sache gut machen, können Sie am Ende Ihren Probestatus loswerden und vielleicht sogar befördert werden.‹ Und wenn es um eine Beförderung ging, durfte man nicht zimperlich sein, selbst wenn der Preis dafür die Knechtschaft einer ganzen Welt war. Es war ja schließlich nicht seine Welt.

      9

      »Morgen, Heinrich! Warm, was?«

      »Kann man wohl sagen,« schnaufte Heinrich und setzte sich auf einen der Hocker an der Esstheke, an der sein Vater ohne aufzublicken damit fortfuhr, einen Berg Tomaten, Zwiebeln, Paprika und allerlei Grünzeug zu einem bunten Salat zu schnippeln. »Dürfte ich schon Bier trinken, würde ich jetzt eins wollen.«

      »Gute Idee«, grinste Heinrichs Vater, setzte seine Bierflasche an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck. »Aaaah«, machte er zungeschnalzend, als wolle er seinem Sohn unmissverständlich klarmachen, dass ein kühles Bier, genossen an einem heißen Augusttag wie heute, ein keinesfalls zu überbietender Genuss war, und welch riesige Entbehrung es für seinen Sohn sei, dass ihm dieser Genuss noch über Jahre hinweg verwehrt bleiben würde.

      »Sadist«, murrte Heinrich, nahm sich ein Malzbier aus dem Kühlschrank, öffnete es mit einem herumliegenden Flaschenöffner, trank einen Schluck und gab sich alle Mühe, den Genuss nachzuempfinden.

      »Und?«, fragte Heinrichs Vater schmunzelnd.

      »Süß und klebrig.«

      »Was zu erwarten war.«

      Sie stießen an.

      Heinrichs Vater, Paul, war ein gutmütiger und stets gut gelaunter Erwachsener. Seine Schlaksigkeit und seine etwas kränklich wirkende Blässe ließen ihn markloser erscheinen als er war, denn Heinrichs Vater, daran konnte kein Zweifel bestehen, trug einen nur schwer zu erschütternden Frohsinn in sich.

      »Was hast du da am Kopf?«, fragte er nun mit einem Seitenblick auf Heinrich.

      »Was? Ach, das.« Heinrich wischte sich ein paar Strähnen seines strubbeligen Haares in die Stirn. Er trug es gern ein wenig zerwühlt, damit es weniger auffiel, wenn er einmal vergessen hatte, es zu kämmen. »Ist nichts weiter. Ein Überbleibsel unserer Theaterprobe von gestern. Ich kriege das Zeug einfach nicht abgewaschen.«

      »Blättert bestimmt irgendwann mit dem restlichen Dreck von allein ab. Wie läuft's denn so in der Theater-Ag?«

      »Bin die Hauptrolle losgeworden.«

      »Und? Ist das gut oder schlecht?«

      »Hm, ich denke, eher gut. Weniger Sprechtext.«

      »Prima, dann hast du ja endlich mehr Zeit für die Hausaufgaben«, rief Paul Töpfer geradezu euphorisch. »Dazu noch das freiwillige Engagement in eurer Hausaufgaben-AG, die sich heute zu einer mehrtägigen, zweifellos hochengagierten Arbeitssitzung trifft ... Mann, das nimmt ja Formen an ... Und immer das Notebook als Hausaufgabenhilfe unter dem Arm. Sehr vorbildlich. Da bekommt man als Vater doch sofort das Gefühl, eine sinnvolle Investition getätigt zu haben.«

      »Oh, äh ja, ich ...« Heinrich spürte sein Gesicht heiß werden. Hastig begann er, hektische Betriebsamkeit um seinen Klapprechner zu entfalten, den er natürlich mitnichten aus seinem Zimmer mit heruntergebracht hatte, um sich um die Hausaufgaben zu kümmern, genauso wenig, wie es bei dem Treffen mit seinen Freunden um eine Hausaufgaben-AG ging. Er wollte vielmehr noch ein paar neue Spiele installieren, bevor er sich nachher auf den Weg zu Patrick und den anderen machte.

      Sein Vater beobachtete ihn grinsend aus dem Augenwinkel. Hatte er etwa etwas gespannt? Natürlich. Dem Alten war selten etwas vorzumachen. »Da fällt mir ein: Ich wollte dir ja noch ein neues Rechtschreibmodul einrichten«, sagte er beiläufig. »Wollen wir das jetzt gleich machen, oder nach dem Grillen?«

      »Öhm, nein, lass uns das lieber später machen. Es läuft gerade alles so gut. Und ich will nach dem Grillen gleich los.« Wäre er doch nur oben in seinem Zimmer geblieben! Aber er hatte einfach keine Lust gehabt, oben alleine zu hocken. Hereinwehender Holzkohlendunst vom allmählich in Gang kommenden Grillfeuer und das Gelärme vom Pool, wo seine Mutter, seine kleine Schwester Lena und einige ihrer Freundinnen zusammen mit deren Muttis ausgelassen planschten und mit gellenden Schreien der Begeisterung das Rasenmähergebrumm aus dem Nachbargarten zu übertönen suchten, hatten ihn nach unten gelockt.

      Ein bisschen schade war es schon, ein Wochenende mit solch idealem Badewetter dem Computerspielen zu opfern, aber es lag ideal: Montag war schulfrei und er hatte von seinen Eltern für zwei Nächte Ausgang bekommen. Außerdem war das Spielewochenende schon seit Wochen verabredet. Spätestens um drei wollte er sich mit seinem Rucksack, der gepackt mit ein paar Klamotten zum Wechseln an der Haustür bereitstand, auf den Weg machen. Hoffentlich waren sie bis dahin mit dem Grillen fertig. Schon jetzt lief ihm das Wasser im Mund zusammen, wenn er an Würstchen und Steaks vom Grill und dazu Vaters Salat und knuspriges Baguette dachte.

      Pool und Garten waren nur zwei der vielen Gründe, warum Heinrich sein Zuhause im Wegerichweg liebte. Als sie das Haus mit der Nummer vier vor Jahren gekauft hatten, war der Garten noch ein seelenloser Zierpark mit geharkten Kieswegen und penibel getrimmten Rosenbüschen gewesen. Erst seit die Töpfers hier wohnten, war daraus ein weitgehend naturbelassenes Gartenidyll geworden. HHHHhHhasödljkfjlakjsdfqweuuioreDie ehemaligen Besitzer des Hauses hatte Heinrich nie kennengelernt, er war damals noch ein Baby gewesen, aber von seinen Eltern wusste er, dass das eine ziemlich schräge Sippe gewesen sein musste, Wermut und Petunie Durstig und ihr fetter Sohn Diddl. Bei ihnen hatte noch ein zweiter Junge gewohnt, angeblich ein Neffe aus England, der dort irgendwann unter mysteriösen Umständen aufgetaucht war. Nachbarn hatten gemunkelt, ein geflügelter Motorradbote habe ihn gebracht. Kurz danach hatte es geheißen, die Durstigs seien quasi über Nacht zu einer Menge Geld gekommen. Sie hatten das Haus von jetzt auf gleich verkauft und waren Hals über Kopf aus der Gegend verschwunden. Das war jetzt bereits über zehn Jahre her und man hatte in der Nachbarschaft nie wieder etwas von den Durstigs und dem Jungen aus England gesehen oder gehört.

      Die Ansage »Sie haben neue Mails in Ihrem Posteingang« aus den kleinen Lautsprechern seines Laptops ließ Heinrichs Gedanken in die Gegenwart zurückkehren. Der Rechner war hochgefahren, das E-Mail-Programm gestartet. Mist, schon wieder alles voller Spam-E-Mails.