Detlef Köhne

Heinrich Töpfer und die Jubelkugel


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davon, dass Einbruch in einen Computer strafbar sein kann, wüsste ich zu gerne, wie Sie das angestellt haben, weil ich das nämlich ungemein spannend finde. Und falls mich Ihre Erklärung zufriedenstellt, will ich gerne vergessen, was passiert ist, Herr ...«

      »Hagweed, einfach Hagweed«, antwortete Hagweed. »Frag mich lieber nicht nach dem Nupsikram, Mann. Ich kenne mich zwar einigermaßen damit aus, liege aber auch oft genug daneben. Ich habe mal eine halbe Stunde lang in eine Mikrowelle mit einem sich drehenden Hähnchen gestarrt, in der Annahme, es sei eine Ratgebersendung im Fernsehen über die Schädlichkeit von Bräunungscremes. McGummiball ist diejenige, die da mehr Ahnung hat. Sie hat das Zeug studiert, weißt du. Apropos McGummiball ...«

      »Moment, so einfach kommen Sie mir aus der Nummer nicht raus, guter Mann. Was hindert mich eigentlich daran, Sie zu ... Augenblick mal, was wollen Sie überhaupt hier? Ist ja ganz was Neues, das die Computerkriminellen nach begangener Untat persönlich an der Haustür des Geschädigten schellen und nachsehen kommen, wie zerrüttet die Nerven ihrer Opfer sind.«

      »Ja, also, wie gesagt, Professor McGummiball meinte, hier sei ein wenig Hilfe von Nöten und hat mich hergeschickt.« Er griff nach seiner Sonnenbrille und begann, sie mit dem Rand seines T-Shirts zu putzen. »In ein paar Stunden machen die Läden zu und morgen geht's ja schon nach Hochwärts. Da müssen wir uns ein wenig ranhalten.«

      Paul bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Noch mal: Das ist Heinrich und nicht Harry. Ja, ich weiß, dass das auf Englisch dasselbe ist, deshalb haben meine Frau und ich den Namen auch ausgesucht: damit sich die Leute in England oder den Staaten nicht mit neumodischen Zungenbrechern rumschlagen müssen, falls er dort mal studieren geht. Mein Gott, hätten wir ihn doch Hennes-Gideon oder Torben-Lauritz genannt, dann gäbe es solche Missverständnisse nicht! – War nur ein Witz, Heinrich.

      Also: Keine Ahnung, hinter wem sie her sind, aber er ist mit Sicherheit der Falsche und er wird nirgendwo hingehen. Falls Sie nach den Durstigs suchen, die sind vor einer Ewigkeit wegen plötzlichen Reichtums weggezogen. Nachsendeadresse unbekannt. Fragen Sie beim Einwohnermeldeamt nach. Und wenn ich von Ihnen schon nicht erfahren kann, was hier in der letzten halben Stunde gelaufen ist, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie einfach verschwänden und uns in Ruhe ließen. Bevor ich es mir anders überlege und die Polizei rufe. – Kommst du, Heinrich?« Damit ließ er den Besucher stehen und ging zurück ins Haus.

      Heinrich zuckte in Hagweeds Richtung entschuldigend mit den Schultern. »Tut mir leid. An sich ist er nicht so. Ist nicht unser bester Tag heute.«

      »Ist schon in Ordnung. So ersparen wir uns ein paar Diskussionen. – Ist das dein ganzes Gepäck?«

      Heinrich folgte Hagweeds Fingerzeig. Da standen sein Rucksack und das Notebook, das er gerade obenauf gepackt hatte. »Was? Ja, ist es. Das sind nur Klamotten für ein Wochenende und ein Notebook«, sagte er verwirrt. »Mehr brauche ich nicht.«

      »Na, wenn du meinst. Mir soll es recht sein. Das meiste kaufen wir ja ohnehin gleich erst ein. Hier, zieh eine.« Er streckte Heinrich ein Päckchen Spielkarten hin.

      »Wie bitte?«, fragte Heinrich und kam sich etwas einfältig vor.

      »Eine Karte«, versetzte Hagweed und fächerte den Kartenstoß ein wenig auf. »Zieh einfach eine. – Welches ist deine Jacke?« Er ließ den Blick über die Garderobe im Hausflur wandern.

      Heinrichs Verwirrung nahm allmählich kosmische Ausmaße an. »Die schwarze dort«, zeigte er automatisch. Dann griff er wie ferngesteuert zu dem Kartenstapel und zog aus der Mitte eine heraus.

      »Und?«, fragte Hagweed und grinste erwartungsfroh über das ganze Gesicht.

      »Was?«

      »Lies.«

      Mit zitternden Fingern drehte Heinrich die Karte um. Ereigniskarte stand in großen blauen Buchstaben darauf. »Mache einen Ausflug zur ›Winkel-Mall‹«, las er weiter. »Wenn du über Los kommst, ziehe 4000 Geld ein.«

      Sobald er die Aufschrift gelesen hatte, war Heinrich für eine Sekunde so, als habe jemand der Welt den Ton abgedreht. – Er hörte nicht mehr die ausgelassenen Schreie der Badenden hinter dem Haus, er hörte nicht das Gebrumm des Elektrorasenmähers von nebenan, er hörte auch nicht das Gebell des nervigen kleinen Foxterriers, der im Garten gegenüber hinter einem Radfahrer herkläffte. Er sah in Hagweeds fröhliches Gesicht, das sich eigentümlicherweise immer mehr in die Breite zog und dessen Lippen sich zu einem lautlosen Satz formten ... Im nächsten Augenblick drehte sich die Welt. Schneller und schneller. Farben verschmierten, Umrisse wurden unscharf. Heinrich taumelte. Dann war ihm, als zerre jemand an seinen Füßen und zöge seinen ganzen Körper in die Länge, als würde er durch einen riesigen Abfluss in einen viel zu engen Gummihandschuh hineingesogen. Die um ihn herumwirbelnde Umgebung zerfloss in blendender Helle und verschwand. Dann wich die Helle undurchdringlicher Schwärze und er fiel ... tiefer und tiefer ... Dann war es vorbei.

      12

      Die Welt stand still. Heinrich lag auf einem weichen Untergrund. Er spürte, dass nichts so war, wie es sein sollte. Alles war schwarz. Undurchdringlich. Dann drangen Geräusche an sein Ohr. Leise zunächst, dann deutlicher. Unter Aufbietung aller Willenskraft zwang er sich zurück ins Bewusstsein.

      »Hast du dem Kleinen was in den Kaffee getan?«, hörte er die Stimme eines Unbekannten sagen. »Der rührt sich ja überhaupt nicht.«

      »Es war seit über zehn Jahren seine erste Reise durch ein Dimensionstor«, antwortete die Stimme Hagweeds. »Gib ihm einfach ein Glas Wasser, oder noch besser, eine Dose Red Bull, dann ist er im Nu wieder auf den Beinen.«

      Heinrich stemmte die Augen auf und bereitete damit endlich der Schwärze ein Ende. Sein Kopf lag auf einem äußerst bequemen Kissen, das Kissen wiederum lag auf einer Couch, und die Couch stand, soweit er die Lage beurteilen konnte, im sehr gemütlich eingerichteten Hinterzimmer einer ziemlich lauten Gastwirtschaft. Der Lärm aus dem Gastraum drang nur gedämpft zu ihm, aber es schien eine Menge los zu sein und das schon am frühen Nachmittag. Wie ihm eine Uhr an der Wand verriet, war er nur wenige Minuten weggetreten gewesen.

      Hagweeds ewig grinsendes Gesicht erschien im Türrahmen. »Moin. Wasser, Red Bull oder Cola?«, fragte er Kaugummi kauend.

      »Wasser, wenn's recht ist«, stöhnte Heinrich und richtete sich auf. »Was ist passiert?«

      Ein zweiter Mann, etwas älter als Hagweed, ziemlich groß, aber dafür unglaublich schmal und klapprig, mit einem frischen roten Gesicht, schob sich an Hagweed vorbei und reichte Heinrich ein Glas Wasser.

      »Hallo, Kleiner«, begrüßte er Heinrich.

      »Heinrich, das ist Kalli, der Wirt des ›Leckenden Nachttopfs‹«, stellte Hagweed den Schmalen vor.

      »Hallo«, winkte Heinrich müde.

      Kalli, der Wirt, nickte ihm freundlich zu. »Sein Gepäck ist schon oben«, sagte er dann zu Hagweed. »Kommt ihr mit dem Rest allein klar? Ich muss mich wieder um die Gäste kümmern.«

      »Sicher«, nickte Hagweed. »Wir schaffen den Weg hinüber schon allein. Dank dir, Kalli.«

      »Beeilt euch lieber ein bisschen«, sagte Kalli im Hinausgehen. »Die Läden machen bald zu.«

      Hagweed sah zu, wie Heinrich sein Glas Wasser leerte. »Na, geht's wieder?«, fragte er sodann.

      »Ich denke schon«, sagte Heinrich, obwohl das nicht ganz stimmte. Er war furchtbar durcheinander und hatte trotz des Glases Wasser kaum einen Tropfen Spucke im Mund. Wo war er und wie war er hierher gelangt? Irgendwie überstieg das Ganze sein Begriffsvermögen. »Was ist eigentlich passiert und wo zum Henker sind wir hier? Ich war doch gerade noch zu Hause und ... Sind wir mit deinem Auto gefahren?«

      Hagweed schüttelte den Kopf. »Ich habe die Karre bei euch stehen gelassen. Man bekommt hier immer so schwer einen Parkplatz. Ich hole sie dann später.«

      »Aber wie ...«

      »Wir haben einen kleinen Sprung durch ein Dimensionstor gemacht«, erklärte Hagweed.