Jay Baldwyn

Wehe, wenn Santa kommt!


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von Coca Cola hielten – tatsächlich hatte Coca-Cola ihn in den 1930ern als Werbefigur benutzt –, stammte zwar dem Namen nach vom holländischen „Sinterklaas“, publiziert aber hatte ihn wiederum ein Deutscher – Thomas Nast ein Cartoonist des 19. Jahrhunderts, im pfälzischen Landau geboren und mit sechs Jahren mit seiner Familie nach New York gekommen. Er zeichnete einen gemütlichen, dicken Mann mit einem Sack voller Geschenke, der am Nordpol mit den Rentieren unterwegs war oder am Kamin die Socken füllte. Weit entfernt von einem Knecht Ruprecht, der mit der Rute die Kinder bestrafte.

      Im Hause Avens herrschte am Weihnachtsabend keine besonders festliche Stimmung. Sidney Avens ging der Trubel sichtlich auf die Nerven. Außerdem hatte er Stunden verbracht, um den Fehler in einer der Lichterketten zu finden. Seine Frau Lacy war von dem Chaos in der Küche genervt und die Kinder Pete und Melody quengelten herum, weil der versprochene Besuch von Santa Claus scheinbar ausblieb.

      Als es endlich an der Haustür läutete, ging Lacy aufmachen, nachdem sie ihre Küchenschürze abgebunden hatte.

      »Sie kommen reichlich spät«, sagte sie vorwurfsvoll.

      »Sorry, Ma’m, ich habe das Haus nicht gleich gefunden«, sagte der Mann, der dem Klischeebild eines Weihnachtsmannes voll und ganz entsprach mit seinem roten, mit Fell abgesetztem Anzug, dem weißen Rauschebart und einem gefüllten Sack auf dem Rücken. Die rosigen Wangen und die Nickelbrille gaben ihm etwas Groß-väterliches, Vertrauenerweckendes. Doch hinter den Gläsern blitzten wache, eiskalte Augen.

      »Dann kommen Sie rein. Ich gehe nur kurz in die Küche, den Ofen ausschalten.«

      „Santa“ ging in den großzügigen Wohnbereich, wo der Hausherr vor dem Fernseher saß, Pete auf sein Handy starrte und Melody in einem Comic blätterte. Sie war die Einzige, die dem Besucher Aufmerksamkeit schenkte.

      »Ho-Ho-Ho, ich komme von weit her und habe euch Geschenke mitgebracht«, ließ Santa seinen Spruch ab. »Wart ihr denn auch schön brav das Jahr über?«

      Keine Reaktion.

      »Pete, jetzt leg doch mal das Handy weg!«, sagte Lacy zu ihrem achtjährigen Sohn. »Und du, Schatz, mach bitte den Ton des Fernsehers einen Moment aus. Dann wollen wir doch mal sehen, was Santa uns mitgebracht hat.«

      »Als ob ihr das nicht genau wüsstet«, maulte Pete. »Ihr habt doch im Kaufhaus den Sack bestückt.«

      »Was haben wir denn da für einen vorlauten, kleinen Burschen? Da werde ich wohl gleich die Rute hervorholen müssen.«

      »Das wagen Sie nicht …«

      »Ganz recht. Meine Kinder werden nicht geschlagen«, brummte Sidney.

      »Ich habe den Eindruck, hin und wieder eine kleine Tracht Prügel würde ihnen guttun.«

      »Darüber steht Ihnen kein Urteil zu.«

      »Ich will endlich wissen, was in dem Sack ist«, quengelte Melody.

      »Dann wollen wir doch mal nachsehen.«

      Santa griff tief in den Jutesack, und von einem Moment auf den anderen stand ein riesiges Puppenhaus auf dem Teppich. Wie er das gemacht hatte, blieb sein Geheimnis, aber Lacy war tief beeindruckt.

      »Das war zwar so nicht abgesprochen«, sagte sie, »aber es ist wirklich hübsch, nicht wahr, Mel?«

      »Ich finde es ausgesprochen hässlich«, sagte die Sechsjährige. »Und die uralten Möbel … Gab es keine modernen?«

      Als Nächstes erhielt Pete ein hübsch verpacktes Päckchen, das er argwöhnisch beäugte. Als er achtlos das Papier abriss und mehrere Computerspiele zum Vorschein kamen, verzog er angewidert das Gesicht.

      »Was soll das denn? Die habe ich doch alle schon. Und wo ist die Cyberbrille, die ich mir gewünscht habe?«

      Santas Gesicht überzog ein Lächeln. Er war scheinbar durch nichts aus der Ruhe zu bringen.

      »Dann wollen wir doch mal sehen, was wir für Mommy haben.«

      Lacy erhielt eine schmale Geschenkbox, die ein glitzerndes Armband enthielt.

      »Igitt, das ist ja Modeschmuck der billigsten Sorte. Damit würde ich niemals vor die Tür gehen.«

      »Kommen Sie bitte einen Moment nach draußen?«, sagte Sidney und ging demonstrativ vor, um sogleich den Hobbykeller anzusteuern. »Hier liegt wohl eine Verwechslung vor. Kann es sein, dass Sie sich in der Adresse geirrt haben?«, fragte er im Schein einer einfachen Bauleuchte.

      »Keineswegs, jeder bekommt das, was er verdient hat. Ihre Frau ist keine echten Juwelen wert. Und Ihre unerzogenen Bälger sollten lernen, was Demut ist. Der Bengel muss in seinem Alter nicht über die neueste Technik verfügen, und andere Mädchen hätten sich angesichts des herrlichen Puppenhauses vor Freude nass gemacht.«

      »Sagen Sie mal, wie reden Sie denn mit mir? Verlassen Sie auf der Stelle mein Haus. Ich werde mich bei Ihrer Firma über Sie beschweren.«

      »Das bleibt Ihnen freigestellt. Nur fürchte ich, Sie werden nicht mehr dazu kommen.«

      Oben wurde Lacy langsam unruhig.

      »Ich möchte mal wissen, wo euer Vater so lange bleibt. Was hat er nur mit dem Mann alles zu bereden? … Ach, da sind Sie ja wieder. Und wo ist mein Mann?«

      »Ihr Gatte zieht es vor, sich im Hobbykeller zu beschäftigen.«

      »Aber das gibt’s doch gar nicht. Am Heiligen Abend. Wenn er nicht in fünf Minuten zurück ist, gehe ich ihn holen.«

      »Na, gefällt euch das Haus jetzt schon besser?«, fragte Santa scheinheilig.

      Melody schüttelte entschieden den Kopf, und Pete gab seine Art von Kommentar ab:

      »Wer spielt schon noch mit einem Puppenhaus? Mit so einem Quatsch konnte man früher mal kleine Mädchen beeindrucken. Heutzutage wollen sie mindestens eine Barbie Traumvilla.«

      »Aus Plastik, ja. Für Naturmaterialien hat eure Generation doch keinen Sinn mehr.« Santa räusperte sich. »Sehr schade, dass ihr das Haus nicht mögt. Es wird für längere Zeit euer Zuhause sein.«

      »Was soll der Blödsinn denn?«, fragte Lacy. »Machen Sie gefälligst den Kindern keine Angst.«

      »Ach, ich denke, die kleinen Satansbraten kann so schnell nichts erschüttern.«

      „Santa“ schnipste mit den Fingern, und im nächsten Moment waren Pete und Melody verschwunden. Stattdessen fiepten zwei weiße Ratten im Puppenhaus zum Gotterbarmen.

      Lacy war kurz vor einer Ohnmacht. Sie konnte einfach nicht glauben, was sie mit eigenen Augen gesehen hatte. Dann machte sie eine ruckartige Bewegung und rannte wie wild in den Keller hinunter. Sekunden später ertönte ihr markerschütternder Schrei.

      Unten, in der Hobbywerkstatt, hing ein unförmiges Gebilde an einem Fleischerhaken an der Wand. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte sie, dass es Sidney war, der vollständig in Lichterketten eingehüllt war. Sodass er wie ein leuchtender Kokon wirkte. Aber das Grausigste war, dass die Kette auch in seinen Mund führte und am After wieder austrat. Dadurch wirkte sein Körper auch von innen wie illuminiert. Seine starren Augen zeugten davon, dass er tot war.

      Lacy rannte wie von Sinnen die Treppe hinauf und holte im Schlafzimmer aus einem Wandschrank eine alte Pistole hervor, die sie mit zitternden Fingern mit Patronen befüllte. Dann lief sie zurück in den Livingroom und richtete die Waffe auf den falschen Weihnachtsmann.

      »Happy Christmas!«, sagte er grinsend. »Hat Ihnen das zweite Geschenk besser gefallen?«

      Lacy drückte ohne zu Zögern ab. Doch der Schuss ging ins Leere. Dort, wo eben noch Santa Claus gestanden hatte, gab es nur noch feinen Nebel, der sich alsbald auflöste. Die entsetzte Frau raufte sich die Haare und rannte aus dem Haus. Statt die Polizei zu rufen, suchte sie ihr Heil bei den Nachbarn.

      Detective Amos Snider freute sich auf den Weihnachtabend. Als er nach Hause kam, tönte aus dem Radio in der Küche „Wonderful Dream“ von Melanie Thornton. Ein Hit