Jay Baldwyn

Wehe, wenn Santa kommt!


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…«

      Aus dem Nichts materialisierte sich plötzlich ein prall gefüllter Sack.«

      »Wow, guter Trick. Sind Sie nebenbei auch Magier?«

      »So könnte man es ausdrücken.«

      »Mit wem sprichst du denn, Janice?«, erklang plötzlich eine weibliche Stimme. Brenda Hunt, eine spindeldürre Blondine, deren dünne Haare vom Liegen auf einer Seite platt am Kopf anlagen, was ihr ein groteskes Aussehen verlieh, hatte einen sehr leichten Schlaf und war durch die Stimmen wachgeworden. Schamhaft hielt sie ihren Morgenmantel über dem nicht vorhandenen Bauch zusammen.

      »Mit jemand, der so tut, als sei er Santa Claus, Mom.«

      Brenda schaltete die Deckenbeleuchtung an und sah den fremden Mann in ihrem Wohnzimmer.

      »Wayne, kommst du bitte mal! Wir haben ungebetenen Besuch«, rief sie nach oben.

      Sekunden später erschien ein etwa achtundvierzigjähriger Mann mit angegrauten Schläfen im Pyjama auf der Treppe.

      »Wie sind Sie hier hereingekommen?«, fragte Wayne verärgert.

      »Durch den Kamin, wie es sich für Santa Claus gehört.«

      »Wir haben aber gar keinen Weihnachtsmann bestellt …«

      »Das macht nichts. Manchmal komme ich auch ungefragt. Vor allem, wenn es mehr ums Bestrafen als ums Schenken geht.«

      »Was soll das heißen? Unsere süße Tochter, die schon viel zu groß für solchen Unsinn ist, zeichnet sich durch besonders gute Manieren aus.«

      »Vielleicht, wenn Sie dabei sind. Ist sie allein, zeigt sie eine andere, unerzogene und grausame Seite. Zum Beispiel, wenn sie den armen Hund quält, indem sie ihm das Wasser wegnimmt oder ihn mit Tritten malträtiert. Das arme Tier ist nämlich nicht einfach tot umgefallen, wie sie euch weismachen wollte, sondern sie hat ihn vergiftet, weil er ihr lästig war.«

      »Das kann nicht sein. Sie müssen sich irren.«

      »Oh, ich irre mich äußerst selten. Sie ist eben so ganz das Produkt ihrer Eltern. Denn du, Wayne, bist ein gewissenloser Arbeitgeber, der seine Untergebenen bis aufs Blut schindet und ihre soziale Not ausnutzt.«

      »Unterlassen Sie sofort, mich zu duzen!«

      »Aber wer wird denn so empfindlich sein? Wenn jemand von deinem Personal einen lieben Angehörigen verloren hat, kümmert dich das wenig. Im Gegenteil, du schikanierst ihn noch zusätzlich.«

      »Was mein Mann für ein Chef ist, können Sie in keinster Weise beurteilen. Und es steht Ihnen auch keine Wertung seines Handelns zu«, sagte Brenda.

      »Doch, ich kann. So wie ich weiß, dass du, Brenda, deine Schüler ungerecht bestrafst. Du lässt sie stundenlang in der Ecke stehen und endlose Strafarbeiten schreiben, ohne ihnen auch nur die geringste Schuld nachgewiesen zu haben. Wenn die Eltern sich beschweren, streitest du alles ab und stellst die Kinder als notorische Lügner dar. Was in den meisten Fällen zusätzliche Strafen seitens der Eltern nach sich zieht. Du hast kein Herz für Kinder. Für dich sind es nur kleine Störenfriede, die man züchtigen muss.«

      Janice fing an zu weinen. Sie konnte nicht glauben, was sie da über ihre Eltern hörte.

      »Ist das wahr, Mom, Dad?«

      »Ach was«, sagte Wayne. »Glaub den Unsinn doch nicht. Das ist alles erstunken und erlogen. Wie wir auch nicht glauben, dass du schuld am Tod von Knuffi bist.«

      »So, ich bin also ein Lügner, wie es deine Frau von den Kindern behauptet? Möchtest du trotzdem dein Geschenk haben?«

      »Was ist es denn?«

      »Etwas, das du sehr gut gebrauchen kannst. Hier im Haus zum Heimwerken und in der Firma für kleine Quälereien. Schade, dass du es nicht mehr benutzen kannst. Oder nein, ich verbessere mich – zum Glück.«

      Santa holte einen Karton aus dem Sack, öffnete ihn und zielte mit der Nagelpistole auf Wayne. Der machte eine abwehrende Bewegung mit den Händen und drückte sich tief ins Sofa. Doch das nützte ihm nichts. Er wurde wie von unsichtbaren Fäden in die Höhe gezogen und flach an die Wand gedrückt. Dann drückte Santa in schneller Folge ab.

      Brenda und Janice schrien vor Entsetzen hysterisch auf. Eine einzige Bewegung des Fremden genügte, um ihre Münder offen stehen zu lassen, ohne dass auch nur ein Ton herauskam. In Waynes Körper steckten unzählige lange Nägel, die ihn aus zahlreichen Wunden bluten ließen. Doch auch bei ihm kam kein Laut über seine Lippen.

      »Na, was ist das für ein Gefühl, wenn man hilflos jemandem ausgeliefert ist, und derjenige keine Gnade kennt, sondern nur Hohn und Spott übrig hat? Ach so, entschuldige, dir hat es ja gerade die Sprache verschlagen. Dann werden wir uns mal um dich kümmern, Brenda. Du stopfst doch pfundweise Süßkram in dich hinein, um es anschließend auf der Toilette wieder auszukotzen. Heute sollst du etwas besonders Köstliches bekommen.«

      Die noch immer starr dastehende Janice veränderte sich von einem Augenblick zum anderen. Ihre gesamte Gestalt wurde plötzlich beinahe zweidimensional, und sie glich vom Aussehen her einer großen Pfefferkuchenfigur. Als sie umfiel, zerbrach sie in lauter kleine Stücke. Doch damit nicht genug. Die Teile flogen wie von Geisterhand bewegt in die offenen Münder der Eltern.

      »So, schön kauen und runterschlucken!«

      Brendas Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. Die Lebkuchenstücke drängten immer weiter nach, sodass sie schlucken musste, um nicht zu ersticken. Dabei vergoss sie heiße Tränen. Wayne, der sich unter normalen Umständen geweigert hätte, auch nur einen Bissen anzurühren, spürte, wie sein Kiefer sich von selbst bewegte und der Schluckmechanismus einsetzte. Als er auf ein etwas größeres Stück biss, füllte sich sein Mund mit Blut. Er hoffte nur inständig, sich auf die Zunge gebissen zu haben und nicht das Blut seiner Tochter zu trinken. Dabei fiel ihm auf, dass er das absurde Geschehen nicht infrage stellte. Aber wie konnte es angehen, dass ein neunjähriges Mädchen sich in eine Pfefferkuchenfigur verwandelte und anschließend wie Glas zerbrach? Entweder er hatte den schlimmsten Albtraum seines Lebens oder es war schwarze Magie im Spiel. Vielleicht war der Eindringling kein Psychopath, sondern ein Dämon?

      Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als die Gestalt des Santa wie bei einer Bildstörung im TV zu flackern begann. Zeitweise löste er sich ganz auf, um im nächsten Moment wie ein Fabelwesen auszusehen. Mit behaartem Körper, Hörnern, einem langen Schwanz und Hufen an den dünnen Beinen. Als die Gestalt sich wieder verfestigte, sah sie wieder wie Santa Claus aus. Nur hatte sie rotglühende Augen. Halluzinierte er oder brachten die Schmerzen, verursacht durch die Nägel, seine Sinneswahrnehmung durcheinander?, überlegte Wayne. Da ging der Spuk schon weiter.

      »Du bist sicher durstig nach der Leckerei, Brenda. Ich habe dir deinen Lieblingschampagner mitgebracht. Eine Magnumflasche mit fünfzehn Litern. Fast unbezahlbar. Ich hoffe, du weißt diese Gabe zu würdigen. Allerdings wirst du ihn nicht trinken, sondern darin baden. Jedoch nicht hier, sondern hinter dem Haus. Leider ist es nicht kalt genug, um dich anschließend zu Eis gefrieren zu lassen. Doch das sollte eine meiner leichtesten Übungen sein. Say goodbye to Wayne!«

      Brenda Hunt lief wie eine Marionette voraus in die Küche, öffnete die Hintertür und stellte sich abwartend auf den Rasen. Ein Plopp kündete über das Öffnen der Flasche. Santa musste sie gar nicht selbst in die Hände nehmen. Sie schwebte mit dem Hals nach unten über Brenda und ergoss ihren gesamten Inhalt über die Frau. Wie bereits angekündigt, bildeten sich mehr und mehr Eiskristalle, bis Brenda Hunt einer Eisskulptur glich und alsbald von einem dicken Eisblock umhüllt wurde. Für einen unbeteiligten Zuschauer wäre das der Beweis gewesen, dass hier übernatürliche Kräfte im Spiel waren. Denn die Außentemperatur lag bei Weitem nicht bei unter fünf Grad Celsius, dem Gefrierpunkt von Sekt und Champagner. Doch es war niemand da, der dieses absurde Schauspiel beobachten konnte. Die Nachbarn lagen friedlich in ihren Betten und schliefen den Schlaf der Gerechten.

      Santa wandte sich mit einem bösen, aber zufriedenen Grinsen ab und ging zurück ins Haus. Wayne hing noch immer an der Wand und war vor Schmerzen und dem hohen