Jay Baldwyn

Wehe, wenn Santa kommt!


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»Wenn da nicht ein Umstand wäre, der mich zweifeln lässt. Sidney hing an einem Fleischerhaken an der Wand. Das hätte Lacy allein nicht bewältigen können. Es sei denn, sie hatte Hilfe. Zum Beispiel von einem Liebhaber. Könntest du dich nicht mal unauffällig im Drugstore oder im Supermarkt umhören, Fran? Vielleicht weiß jemand etwas darüber.«

      »So, ich soll also deine Arbeit machen? Nein, war ein Joke. Kein Problem. Sollte Mrs. Avens ihrem Mann untreu gewesen sein, zerreißt man sich bestimmt das Maul darüber.«

      Die Mordlust des unheimlichen Santa Claus war noch lange nicht gestillt in dieser Nacht. Deshalb steuerte er das nächste, etwas abgelegen liegende Haus an.

      »Ho-Ho-Ho«, rief er, als er an die Haustür pochte. »Santa is back in town!«

      Edgar Coolidge, ein übergewichtiger Enddreißiger, öffnete nach längerem Zögern. Seine Frau, Mary, verbarg sich schüchtern hinter seiner Leibesfülle.

      »Zu so später Stunde haben wir nicht mehr mit Ihnen gerechnet«, sagte Ed, wie ihn alle nannten.

      »Santa Claus gehört die Nacht. Das ist doch allgemein bekannt.«

      »Ja, aber die Kinder sind bereits im Bett.«

      »Umso besser. Ich kann die Geschenke in die Stockings stecken und darunter stellen. Oder soll ich alles wieder mitnehmen?«

      »Nein, nein, kommen Sie schon.«

      Das von außen vergleichsweise spärlich dekorierte Haus entpuppte sich innen als überladen dekoriert. In das Gold und Glitzern mischten sich zusätzlich die Weihnachtsfarben Rot, Grün und Weiß. Der bis zur Decke reichende Kunststoffweihnachtsbaum strotzte nur so vor bunten Girlanden, fetten, kleinen Engeln und blinkenden Lichterketten, die in den Augen wehtaten. Auf einer zerkratzten, alten Vinylplatte säuselte Bing Crosby etwas von „White Christmas“, die es 1942 noch gegeben hatte. Doch inzwischen war Schnee in der Weihnachtszeit eher eine Seltenheit.

      »Oh, wie aufmerksam«, sagte der Mann im Kostüm von Santa Claus, als er auf dem Kamin einen Teller mit Keksen und ein Glas Milch zur Stärkung stehen sah.

      »Ja, unsere Töchter wissen, was sich gehört«, sagte die Hausfrau. »Ein paar Möhren für die Rentiere liegen auch bereit.«

      »Ach, Rudi habe ich heute freigegeben«, lachte „Santa“, und die Coolidges stimmten ein.

      »Dann wollen wir doch mal sehen, was ich so alles in meinem Sack habe …«

      Der falsche Weihnachtsmann begann, die Strümpfe am Kamin mit Süßigkeiten zu befüllen. Als die größeren Geschenke zum Vorschein kamen, stapelte er sie darunter oder warf sie scheinbar wahllos Mary und Ed in den Schoß.

      »Ihr dürft ruhig schon auspacken. Ich denke, das, was da zum Vorschein kommt, ist eh nichts für die Augen von Priscilla und Charity.«

      »Woher kennen Sie die Namen unserer Töchter?«, fragte Ed irritiert.

      »Ein guter Santa Claus muss über alles informiert sein, nicht?«

      Als Mary ihr erstes Päckchen öffnete, wurde sie abwechselnd blass und rot, denn darin befand sich Reizwäsche der schamlosesten Art. BHs mit „Nippelalarm“ und hauchdünne, durchsichtige Slips, die vorne und hinten geschlitzt waren.

      »Na, meint es dein Ed nicht gut mit dir, Mary? Dabei dachte er wohl hauptsächlich an sein eigenes Vergnügen.«

      »Ich habe diesen Schweinkram nicht bestellt. Das muss eine Verwechslung sein«, stotterte Ed schwitzend.

      »Nein? Du siehst es wohl lieber an anderen, lockeren Frauenzimmern. Aber warum in die Ferne schweifen?«

      Als Ed seinen Karton öffnete, fand er eine Sammlung von Hardcore Porno Filmen vor, die man nur unter dem Ladentisch erhalten konnte. Sozusagen als Krönung lagen obenauf ein sogenannter Zungenvibrator und eine Penispumpe. Mary stieß einen spitzen Schrei aus, und Ed schnappte nach Luft.

      »Was soll das? Das haben wir nicht bestellt«, japste er.

      »Ich kann eben Gedanken lesen. So etwas habt ihr euch doch immer schon gewünscht, um etwas Pep in euer erkaltetes Liebesleben zu bringen. Kommt, probiert es nur gleich aus! Ich sehe auch nicht hin.«

      »Das kommt doch gar nicht infrage. Nicht außerhalb unseres Schlafzimmers …«, sagte Mary.

      »Wirst du wohl brav sein? Oder muss ich erst böse werden?«

      Die rotglühenden Augen des falschen Santa übten eine geradezu hypnotische Wirkung aus. Mary stand tatsächlich auf, entkleidete sich und zog die neue Unterwäsche an. Ed sah ihr fassungslos zu.

      »Und du legst jetzt das neue Spielzeug an, damit du endlich mal etwas Vernünftiges in der Hose hast.«

      Ed tat tatsächlich, wie ihm geheißen. Er öffnete seine Hose und legte die Penispumpe an.

      »Was macht ihr da? Mom, Dad?«, fragte die siebenjährige Charity, die plötzlich mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester an der Hand auf der Treppe stand.

      »Priscilla, Charity, geht sofort zurück in eure Zimmer«, schnauzte Ed und bedeckte seinen Unterleib mit seinem Hemd.

      Mary war blitzschnell aufs Sofa gehüpft und versuchte, sich mit ihrer Kleidung zu bedecken.

      »Tut, was Dad sagt«, krächzte sie mit rauem Hals. »Mommy und Daddy spielen ein neues Spiel. Aber das ist nur für Erwachsene.«

      »Wir wollen aber mitspielen. Und Santa Claus soll uns auch unsere Geschenke geben«, krähte Priscilla.

      »Na, dann kommt. Hier unten könnt ihr noch was lernen«, brummte Santa.

      »Was haben Sie denn noch so alles in Ihrem Sack?«, fragte Mary und zog hastig ihr Kleid an, während Ed im Bad verschwand, um sich endlich von dem Sexspielzeug zu befreien.

      Der Mann, der hier als Santa Claus auftrat, zauberte ein überdimensionales Dornröschenschloss hervor und erwartete leuchtende Kinderaugen. Doch die Mädchen reagierten anders als erwartet.

      »Sleeping Beauty ist doch ein alter Hut«, sagte Charity. »Wenn schon Märchen, dann hätte ich mir ein tolles Cinderella-Ballkleid gewünscht, mit dem ich in der Schule angeben kann.«

      »Sieh an, die Prinzessin selbst willst du sein. Ich könnte dir so ein Kleid herbeizaubern, aber wie im Märchen kann der Zauber plötzlich gebrochen werden, und dann stehst du in Lumpen vor deinen Klassenkameraden.«

      »Dann verzichte ich. So einen faulen Zauber will ich nicht. Haben Sie sonst nichts zu bieten?«

      »Du hast dir doch das Schloss noch nicht einmal richtig angesehen …«

      Mary, die froh war, von der peinlichen Situation abgelenkt zu werden, nahm ihre Tochter Charity an die Hand und besah sich das herrliche Spielzeug ganz genau. Priscilla, die keine Berührungsängste hatte, kletterte derweil auf den Schoß von Santa.

      »Du kannst den Bart jetzt ruhig abnehmen«, sagte sie. »Ich weiß, dass du es bist, Onkel Dan.« Damit zog sie kräftig an den langen, weißen Barthaaren.

      Santa heulte schmerzerfüllt auf.

      »Mach das ja nicht noch mal, du freches Ding. Sonst muss ich dich bestrafen.«

      »Hör, was der Onkel sagt!«, rief Mary. »Also, ich finde das Schloss einfach wunderschön. Vielleicht ein bisschen groß, aber sonst …«

      »Würdest du gern darin wohnen, Mary?«

      »Warum nicht? Wenn das ginge …«

      »Und ob das geht. Pass mal auf …!«

      Charity spürte, wie die Hand ihrer Mutter schrumpfte. Als das Mädchen zur Seite blickte, stand statt ihrer Mutter eine kleine Puppe neben ihr, die Marys Kleid trug. Santa hob Priscilla von seinem Schoß, stellte sie auf den Boden und setzte die kleine Figur in das Puppenschloss.

      »Den Trick habe ich im Television schon besser gesehen«, maulte Charity. »Mom, du kannst jetzt wirklich hinter dem Haus vorkommen. Mom? …«