Nathalie O'Hara

Das Vermächtnis der Kristallkönigin


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hatte. Die Tür öffnete sich und die Oberin zerrte Sarah aus der Kammer.

      „Ihr kommt beide mit!“, sagte sie streng, packte die Mädchen an den Händen und zog sie hinter sich her. Ihr Weg führte sie den Korridor entlang, über eine Stiege in den Keller.

      Die Oberin öffnete ein Verlies und stieß die Mädchen hinein. Als sie das Verlies hinter sich verschloss, wagten die beiden Mädchen sich nicht zu bewegen.

      Das Verlies war kalt und dunkel, da es kein Fenster hatte. Es roch nach Moder und Schimmel und fühlte sich unangenehm feucht an. Maya kauerte sich in eine Ecke. Ihr war kalt und sie hatte Angst. Die Wände waren dermaßen feucht, dass es nicht lange dauerte, bis ihre Kutte diese Feuchtigkeit aufgesogen hatte. Es war so dunkel, dass sie nicht einmal die Umrisse ihrer Hand erkennen konnte. Aus einer anderen Ecke des Verlieses vernahm sie ein leises Wimmern.

      „Sarah?“, flüsterte Maya aber Sarah antwortete nicht, lediglich das Wimmern wurde etwas lauter.

      „Sarah, sprich doch mit mir. Die Oberin ist weg!“, flüsterte Maya etwas lauter.

      „Ich habe solche Angst Maya“, schluchzte Sarah. Maya hatte zwar selbst Angst aber sie sprach ihrer Freundin Mut zu und begann den Boden des Verlieses abzutasten. Sie wusste zwar nicht genau was sie suchte, aber sie wollte sich ablenken und da viele Mädchen vor ihr schon in dieses Verlies gesperrt wurden, war die Möglichkeit groß, dass das eine oder andere Mädchen etwas verloren haben könnte. Etwas mulmig zumute war ihr, als sie ihre Hände über die kalten, rauen Steinfliesen gleiten lies. Schließlich konnte sie nie wissen, was sie genau ertastete. Beispielsweise eine eklige Spinne? Maya erschauderte bei dem Gedanken. Stück für Stück tastete sie den Boden ab, bis sie plötzlich auf etwas Weiches stieß. Sie zog ihre Hand reflexartig zurück. Was konnte das wohl sein?

      Vielleicht ein kleines Kissen? Maya tastete sich näher heran und nahm das weiche Ding in die Hand. Plötzlich quiekte es laut auf und das Ding begann zu zappeln. Vor Schreck ließ Maya los und sie hörte kleine Schritte durch das Verlies tapsen. >>Oh Gott, eine Ratte!<<, dachte sie aber sie sagte nichts, um Sarah nicht noch mehr zu beunruhigen.

      Mutig tastete sie sich weiter über den Boden, bis sie plötzlich einen länglichen Gegenstand fühlte. Sie hob den Gegenstand auf und ihre Hände fühlten, dass es sich dabei um eine Kerze handelte. Was aber sollte sie mit einer Kerze ohne Streichhölzer?

      „Sarah, ich habe eine Kerze gefunden! Wir brauchen nur noch etwas um sie anzuzünden.“, freute sie sich.

      „Ich habe ein paar Streichhölzer in meiner Kuttentasche“, sagte Sarah, die sich wieder beruhigt hatte.

      Die Mädchen zündeten die Kerze an und warmes Kerzenlicht durchflutete den kleinen Raum.

      Das Verlies war alles andere als einladend. Dicke Steinwände säumten den Raum. An einigen Stellen traten Rinnsale aus den Wänden und bildeten kleine Wasserlachen am Fußboden, der ebenfalls aus Steinplatten bestand.

      Die hohe Luftfeuchtigkeit bildete Nährboden für allerlei Gewächs. Moos wucherte in den Zwischenräumen der Steinplatten und vereinzelt wuchsen einige seltsame Pilze aus den Ritzen der Platten hervor. Dann gab es noch die schwere Eisentür, die nur von außen geöffnet und geschlossen werden konnte. Es gab keine Chance sie von innen zu öffnen, da sie auf der Innenseite weder Klinke noch Knauf besaß. Außerdem war sie ohnehin abgeschlossen. Ein großer, starker Mann würde es vielleicht schaffen die schweren Eisenscharniere zu lockern, mit denen die Tür fest in der Mauer verankert war aber für zwei Mädchen wäre dies ein Ding der Unmöglichkeit.

      Als Maya ihren Blick durch das Verlies schweifen ließ, bemerkte sie in einer Ecke einen kleinen Haufen Stroh. >>Daraus könnte man doch bestimmt eine kleine Schlafstätte für uns bauen<<, dachte sie.

      Sie kroch auf allen Vieren zu dem Strohhaufen und versuchte daraus ein kleines Bett für sich und Sarah zu basteln. „Was machst du da?“, fragte Sarah.

      „Ich bastle uns eine Schlafstätte. Der feuchte Boden ist unangenehm und wer weiß wie lange wir hier noch bleiben müssen“, entgegnete Maya während sie das Stroh gleichmäßig zu einem, etwa einem Meter breiten Viereck auslegte.

      „Da hinten glitzert irgendwas!“, rief Sarah.

      Maya schob etwas Stroh beiseite und bemerkte, dass sich in der Wand ein kleines Loch befand.

      Es schien fast so als hätte jemand, der sich vor ihnen in diesem Verlies befand, absichtlich das Stroh so drapiert, um das kleine Loch zu verstecken.

      Maya bückte sich und guckte in das Loch hinein. Tatsächlich! Im Loch schien irgendetwas zu glitzern und ganz leicht zu leuchten. Es kostete sie zwar einiges an Überwindung, da kleine Käfer aus diesem Loch heraus krabbelten, aber sie steckte die Hand in das ca. 10 cm große Loch hinein und zog einen länglichen Gegenstand hervor.

      Bei dem Gegenstand handelte es sich um ein tränenförmiges, kristallines Amulett. Es leuchtete bläulich und eine kleine Öse diente dazu, eine Kette daran zu befestigen. Auf einer Seite befand sich ein kleines Relief. Beim näheren Hinsehen erkannte man die Form einer Landschaft. Das Relief war extrem winzig aber man konnte trotzdem einen Wasserfall erkennen, der in einen kleinen Teich mündete. Darunter waren einige Schriftzeichen eingraviert, die Maya nicht entziffern konnte.

      „Was hast du da? Zeig es mir auch!“, rief Sarah neugierig. Maya gab ihrer Freundin das Amulett und Sarah begann zu grübeln.

      „Sesam öffne dich!“, kicherte Sarah. Natürlich geschah nichts aber sie hatte auch nichts erwartet.

      „Vielleicht muss man daran reiben“, sagte sie und rubbelte am Amulett und wiederum geschah nichts.

      „Wir sind hier nicht bei Aladdin in 1001 Nacht“, sagte Maya und tippte mit dem Finger auf die Stirn.

      „Nein sind wir nicht, weil es keine Märchen gibt und deshalb ist das auch nur ein stinknormaler Anhänger für eine Halskette“, antwortete Sarah und gab Maya das Amulett zurück.

      Maya nahm es wieder an sich und zuckte mit den Schultern. Sie war zu müde um das auszudiskutieren. Die ganzen Erlebnisse des Tages hatten sie sehr psychisch sehr mitgenommen und angestrengt. Deshalb kauerte sie sich auf ihr Bett aus Stroh, das sehr unbequem war aber sie war so müde, dass es sie nicht weiter störte. Sarah legte sich zu ihr und es dauerte nicht lange bis sie eingeschlafen war. Maya jedoch fand keinen Schlaf, obwohl sie sehr erschöpft war. Zu viele Gedanken beschäftigen sie. Sie dachte an die Oberin und das düstere Verlies, in dem sie beide jetzt schlafen mussten. Eine dicke Träne kullerte über ihre Wange. Maya wischte sich schniefend mit ihrer Hand die wieder Träne weg. Sie bemerkte jedoch nicht, dass die Träne das Amulett in ihrer Hand benetzte und es anfing bläulich zu leuchten. Das Leuchten war anfangs so sanft, dass man es kaum wahrnehmen konnte. Maya spürte wie ihre Augenlider immer schwerer wurden und schließlich zufielen. Sie sank in einen tiefen Schlaf, weshalb sie nicht bemerken konnte, dass sich das kleine Kellerverlies in gleißend blaues Licht tauchte.

      Kapitel 2

      Cerridwen

      Dicke Nebelschwaden durchzogen das gesamte Terrain und ließen nur selten Blicke auf die Landschaft zu. Selbst den Boden konnte man aufgrund des dichten Nebels nicht erkennen, vielmehr schien es so, als würde es hier außer Nebel nichts Anderes geben. Dieser mystische Ort wirkte fast unheimlich und die Stille war beunruhigend, da man die meiste Zeit aufgrund des dichten Nebels seine eigene Hand vor dem Gesicht nicht sehen konnte. Als sich der Nebel kurz lichtete, konnte man in weiter Ferne ein kleines Haus inmitten der Wolken erkennen. Das Häuschen war durch seine weiße Fassade kaum von den Wolken zu unterscheiden und man konnte nur dann Teile davon erkennen, wenn sich die Nebelschwaden kurz lichteten. Dieses Haus war die Heimat von Cerridwen, der Hüterin des Portals.

      Cerridwen, eine ältere kleine Dame mit mondweißen langen Haaren, eilte geschäftig durch die Küche um alles für ihren Besuch vorzubereiten. Eine würzige Pilzsuppe dampfte auf dem alten Steinofen und verströmte einen köstlichen Duft. Immer wieder zückte Cerridwen einen hölzernen Kochlöffel, der sich in einer