D. G. Berlin

Fakten Wissen Denkblasen?


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von virtuellen Partikeln, die einen wilden Tanz aufführen, indem sie extrem kurzzeitig auftauchen und wieder verschwinden. Das kann man als Quantenvakuum definieren, als einen leeren Raum in dem Sinne, dass er ohne Partikel mit Masse ist, Aber das Nichts wäre er auf keinen Fall. Das Nichts ist die Abwesenheit von allem. Es ist also nicht nur ohne Raumerfüllendes, sondern es ist auch ohne Raum und sogar ohne Zeit.

      Man könnte vielleicht definieren, die Quantenfelder würden einem leeren Raum jene physikalischen Eigenschaften verleihen, die notwendig sind, damit sich der leere Raum vom Nichts unterscheidet. Felder gleich welcher Art repräsentieren physikalische Eigenschaften, sind also ein Etwas. Und sie verleihen dem Raum physikalische Eigenschaften. Ein solcher Raum aber wäre dann nicht Nichts, sondern schon ein Etwas.

      Der leere Raum aber kann und muss über mindestens eine physikalische Eigenschaft verfügen. Und diese muss sich herstellen, wenn der leere Raum aus dem Nichts hervorgehen soll. Wie aber soll das Nichts ein wie auch immer geartetes Etwas hervorbringen, wenn es in ihm nichts gibt, was sich in Etwas wandeln könnte? Die Frage ist unbeantwortet und niemand vermag zu sagen, ob sie überhaupt beantwortbar ist. Es ist leicht gesagt, das Universum sei aus dem Nichts entstanden. Das ist ein bloße Behauptung, die nichts erklärt.

      Einige Denker neigten zu der Haltung, es sei halt so, dass das Universum aus dem Nichts entstand. Es existiert doch, also hat es auch einen Beginn gehabt. Wer will daran zweifeln oder es gar bestreiten? Wie genau der Beginn von statten ging und warum? Wen interessiert das schon. Von uns war niemand dabei, nachträgliche Beobachtungen des Vorgangs sind uns versagt, also was soll’s; es hatte einen Anfang, einfach so, es konnte gar nicht anders, freut euch und gebt Ruhe!

      Also, so sagen die Wissenschaftler das natürlich nicht, sondern ihre Haltung in dieser Frage wird sehr viel wissender, vor allem wissenschaftlicher ausgedrückt. Der Anfang sei etwas ganz Unbeschreibliches, Besonderes, Einmaliges, gewesen, nämlich eine Singularität.

      Das mit der Singularität ist eine sehr clevere Begriffswahl, mit der dem Anfang ein ganz besonderer, aber auch ganz selbstverständlicher Status zugebilligt wird.

      Was hat es mit der Singularität auf sich? Was meint der Begriff genau? Er ist aus dem lateinischen singulus abgeleitet, was nichts weiter als einzeln bedeutet. Im Englischen hat der Begriff singular auch die Bedeutung von ungewöhnlich, sonderbar oder eigentümlich. Das bringt uns der Sache näher.

      Besonders die Mathematik ist den Umgang mit Singularitäten gewöhnt. Immer wenn Division durch Null notwendig wird, handelt es sich um eine Singularität; wenn eine Gleichung eine Kurve liefert, die einen Punkt aufweist, an dem sich keine Tangente anlegen lässt, ist das eine Singularität; überhaupt wenn eine Gleichung oder eine andere mathematische Prozedur irgendetwas Sonderbares liefert, ist es bestimmt eine Singularität.

      So wundert es nicht, dass es die Mathematik auch schon mit einem kleinen Arsenal verschiedener Singularitäten zu tun hat. Es gibt wesentliche und unwesentliche Singularitäten, hebbare Singularitäten, reguläre und irreguläre singuläre Punkte, Koordinatensingularitäten und Krümmungssingularitäten und bestimmt auch noch andere. Singularitäten grämen die Mathematiker kaum. Eine Gleichung versagt gewissermaßen an einem Punkt, obwohl sie ansonsten differenzierbar ist. Solche Formeln gibt es halt und solche Punkte in Kurven auch. Da kann man nichts machen. Das ist ja auch nicht weiter schlimm, damit kann man leben – als Mathematiker.

      Natürlich entdeckten auch die Physiker die Singularitäten. Im populärwissenschaftlichen Alltag wird häufig auf die Singularität verwiesen, wenn der Beginn des Universums beschrieben werden soll. Viel seltener wird näher erläutert, was das genau sein soll. Am Anfang war halt das Singulare, das Einzelne, das werden die mit dem nur so genannten gesunden Menschenverstand schon akzeptieren, denn was soll denn sonst den Anfang gebildet haben, wenn nicht das absolut Einzelne, das Alleinige, außer dem es nichts gab.

      Wenn sie doch erläutern, wie sie auf die Singularität kamen, dann so: Wenn man den Universum-Film bis zu Ende rückwärts laufen lässt, gelangt man in einen Zustand, da die Dichte der Materie unendlich groß, die Temperatur unendlich hoch und der Raum unendlich klein gewesen sein müssen.

      Ein unendlich kleiner Raum, also ein Raum ohne Ausdehnung, ist als Raum nicht mehr existent. Eine unendlich große Dichte verliert als Dichte ihren Sinn, ebenso eine unendlich hohe Temperatur, bei der sich die Teilchen mit unendlich großer Geschwindigkeit bewegen, also still stehen müssten. Das ist ohne jeden Zweifel ein ganz außergewöhnlicher Zustand, so ungewöhnlich, dass man es als eine Singularität ansehen kann.

      Manche Physiker sprechen davon, am Anfang sei das Universum ein punktförmiges Etwas gewesen. Mit dem Begriff der Punktförmigkeit muss man vorsichtig umgehen. Ein Punkt ist eigentlich etwas Ausdehnungsloses. Ein solcher aber existiert nicht als physikalischer Raum, sondern nur als eine mathematische Vorstellung bzw. als Abstraktion. Objekte, die keine räumliche Ausdehnung haben, sind keine Objekte einer physikalischen Realität, sondern in der Physik mathematische Konstruktionen, in den nichtmathematischen Vorstellungen Phantome und in der Realität nicht vorhanden.

      Mit dem punktförmigen Raum ist hier kein ausdehnungsloses Etwas, sondern ein Etwas ohne innere Struktur gemeint. Das löst das Problem jedoch auch nicht so richtig. Wenn der Ausgangspunkt der Evolution des Universums ein solches strukturloses Etwas gewesen sein soll, dann muss es trotzdem etwas physikalisch Reales gewesen sein. Aber ohne Raum und Zeit und ohne jede Struktur?. Eine solche Vorstellung würde voraussetzen und einschließen, diesen Punkt als etwas zu denken, was mit unseren Vorstellungen von einem Etwas nicht zu identifizieren geht. Er passt jedoch gut zu den Vorstellung vom Nichts und der Singularität. Das Nichts wird mit einer Singularität zu einem Etwas, aber dann schon in Raum und Zeit.

      Natürlich wirft das sofort wieder Fragen auf. Ist diese Etwas schon in Raum und Zeit? Dann muss es auch etwas Substanzielles sein. Wie aber konnte die Singularität aus dem Nichts etwas Substanzielles schaffen? Was löste die Singularität aus? Ging vielleicht dem Nichts schon etwas voraus, das ihm eine gewisse Potentialität verlieh, die sich in Form einer Singularität hervor drängte?

      Die Physiker müssten ohnehin die Singularität besser meiden wie der Teufel das Weihwasser. Singularitäten sind nämlich gewissermaßen „Krankheits-Symptome“. Wenn in einem physikalischen Modell der Gasdruck an einem bestimmten Punkt eines Prozesses unendlich groß werden muss oder die Temperatur unendlich hoch oder ähnliche Unendlichkeiten auftreten, was im Verlauf mathematischer Prozeduren gar nicht so selten ist, so sind solche Singularitäten doch ziemlich störend. Sie deuten nämlich darauf hin, dass mit dem Modell etwas nicht stimmen kann, es jedenfalls nicht für sich in Anspruch nehmen kann, Wirkliches vollständig zu beschreiben.

      Und um das klar zu sagen: Die Allgemeine Relativitätstheorie führt im reziprok laufenden Film zwangsläufig in eine Singularität. Das aber heißt, sie ist eine Theorie, die sich selbst tötet, denn in der Singularität verliert die Theorie ihre Gültigkeit. Singularitäten würden pathologisches Verhalten eines Modells definieren, schrieb Claes Uggla.

      (Claes Uggla, Raumzeitsingularitäten in: Einstein Online Vol. 02; 2006)

      Wenn die Physiker das wissen, warum operieren sie trotzdem mit der Singularität? Ist die Urknallvorstellung womöglich pathologisch oder gar das Universum selbst? Oder noch schlimmer – die Physiker?

      Einen solchen Verdacht nehmen die Physiker mit Gelassenheit hin. Und das aus gutem Grund. Eine Singularität ist etwas so Ungewöhnliches, Seltsames und Einmaliges, dass in ihr die uns bekannten Naturgesetze keine Gültigkeit haben. Dort müssen und können ganz andere Regeln das Geschehen bestimmt haben. Von diesen haben wir leider keine Kenntnis und können solche auch objektiv nicht erlangen. Die Singularität ist durch uns nicht erforschbar, nicht beschreibbar und daher auch nicht erklärbar. Deshalb müssen wir sie hinnehmen und akzeptieren.

      Das ist zunächst nachzuvollziehen. Die Naturgesetze, mit denen wir umgehen, sind alle in einem bestimmten Rahmen definiert. Sie beziehen sich immer auf Räumliches und/oder Zeitliches, sind also an Raum und Zeit gebunden. In der Singularität sind aber Raum und Zeit nicht definiert, es gibt sie nicht. Deshalb können in ihr auch die Naturgesetze unserer Art nicht wirken. Eine Singularität ist darum auch kosmologisch eine Singularität, eine Eigentümlichkeit, ein Punkt, in dem nicht