D. G. Berlin

Fakten Wissen Denkblasen?


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vom Standardmodell handeln, sondern schlicht um Fehler in der Interpretation von Daten oder um „statistische Ausreißer“, aber als Hinweise auf ein neue Physik könne man die Anomalien trotzdem noch nicht ganz ausschließen.

      Das lässt alle Möglichkeiten offen. Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist.

      Noch einmal zum Genießen: Bei den Anomalien könnte es sich um Interpretationsfehler handeln oder um statistische Abweichungen, weshalb die gültige Physik nicht in Frage gestellt wäre; vielleicht handelt es sich aber doch um neue Physik. Die Hintergrundstrahlung lässt sich also hinbiegen, wie sie gerade gebraucht wird. Geht ja auch!

      2015 war der Cold Spot wieder da. Jedenfalls berichtete Welt der Physik ganz selbstverständlich darüber. Die größte Struktur, die die Astronomen im Kosmos bisher beobachten konnten, sei ein Gebiet von 1,4 Milliarden Lichtjahre Ausdehnung im Sternbild Eridanus in der südliche Hemissphäre mit einer auffälligen Materiearmut.

      Leerräume, so genannte Voids, sind in der großräumigen Struktur des Kosmos allerdings keine Seltenheit. Die Galaxien sitzen mehrheitlich in den Randgebieten blasenartiger Strukturen, dazwischen ist der Raum zwar nicht leer, enthält aber auffällig weniger Galaxien als die Ränder der Voids. Dieser Supervoid im Eridanus ist nicht nur sehr viel größer als die üblicherweise etwa 100 Millionen Lichtjahre umfassenden Voids, er enthält auch 15 % weniger Materie als der Raum im kosmische Durchschnitt.

      Da der Supervoid in der Position am Himmel mit der des Cold Spot übereinzustimmen scheint, vermuten die Wissenschaftler, er könnte seine Quelle im Cold Spot haben. Ohne Zweifel würde sich hier eine heute zu beobachtende Tatsache mit einem Zustand im frühen Universum erklären lassen. Das wäre für das Verständnis der universalen Entwicklungsprozesse von hohem Stellenwert. Allerdings wäre es noch immer und noch stärker eine Abweichung vom Standardmodell, denn eine Anomalie wäre es auf jeden Fall, ob nun als Cold Spot oder als Supervoid.

      Angesichts der bunten Baby-Bilder des Universums und der kategorischen Verkündungen sollte man nur noch den Kopf schütteln. Es ist schon sehr erstaunlich, was die Physiker daraus alles ablesen wollen. Das Alter des Universums, die exakten Anteile normaler und dunkler Materie wie auch der Dunklen Energie, die Quellen der Galaxien und Sterne, wie wir sie heute beobachten, sogar den Beweis für die Inflation, für ein oszillierendes Universum und anderes mehr.

      Beispiel: Alter des Universums. Früher genügten den Astronomen bei den Angaben zum Alter des Universums grobe Zeitspannen. Man definierte es zwischen 10 und 15 oder auch zwischen 15 und 20 Milliarden Jahre. Damit konnten alle ganz gut leben. Mit den Messungen der Hintergrundstrahlung wurden die Altersangaben erstaunlich präzise. Eine Zeitlang überschlugen sich die Angaben dazu förmlich: 13,7; 13,73; 13,78; 13,8; 13,81. Es schien sich ein Wettbewerb entwickelt zu haben, das Alter immer noch ein wenig genauer bestimmt zu haben, als die zuvor veröffentlichte Zahl. Einmal las ich im Internet sogar diese Altersangabe: 13 Milliarden 780 Millionen 807 Tausend 626 Jahre. Schade, dass der Künstler auf die Angabe der Monate und Tage verzichtet hatte. (Ist nur Spaß.)

      Obwohl alle diese präzisen Angaben im ”Brustton der Überzeugung” verkündet wurden, sucht man nach der konkreten Erläuterung, wie genau sie aus den Daten der Strahlungsmessungen eigentlich abgeleitet werden, vergeblich. Gibt es dafür irgendeine geheime Formel? Steht in den bunten Bildchen irgendwo etwas, was die Physiker als Altersangabe erkennen können? Und was muss ich mir da vorstellen?

      Einen allgemeinen Hinweis liefern die Physiker dazu schon. Die Ableitung des Alters aus den Daten der Hintergrundstrahlung erfolge auf der Basis des Lambda-CDM-Modells. Das klingt erst einmal gut, wer will dann noch an der Exaktheit der Altersangaben zweifeln, wenn ihnen doch das bedeutende Lambda-CDM zu grunde liegt.

      Nur muss man dazu wissen: Lambda steht für eine kosmologische Konstante, die auch in direkter Beziehung zur Dunkle Energie stehen soll; und CDM heißt ausgeschrieben cold dark matter, was nichts anderes als kalte Dunkle Materie bedeutet. Da haben sie ja nun was gekonnt. Die tatsächliche Größe der kosmologischen Konstante ist noch immer relativ unsicher, gibt es bei ihr doch die bisher größte Differenz zwischen einem theoretisch zu bestimmenden Wert und dem aus Beobachtungen abzuleitenden. Und über die Dunkle Energie wissen sie nur, dass es sie geben könnte, mehr aber nicht. Und die Dunkle Materie ist den Physikern in der kalten ebenso komplett unbekannt wie in einer eventuell heißen Version.

      Das heißt, aus Komponenten, über die sie absolut nichts Konkretes wissen, wollen sie ernsthaft etwas so Konkretes wie die Altersangabe für das ganze Universum ableiten. Bewundernswert, dieser Mut. Oder sollte ich besser von Unverfrorenheit schreiben?

      Das Problem beginnt schon bei der Form der Grafik. Welche Form hat das Universum? Ist es eine Kugel, oder vielleicht ein Ellipsoid, oder ein Torus oder doch ein Dodekaeder, wie es manche Forscher kühn vermuten?

      Sollte es eine Kugel sein, kommt die Ellipse als 2-dimensionalen Darstellung dem 3-dimensionalen Innenraum einer Kugel schon nahe; würde ihn aber trotzdem erheblich verfälschen. Hat das Universum aber andere Formen, wären die Grafiken wohl recht weit weg von der Möglichkeit, die Temperaturverteilung im Frühstadium des Universums in elliptischere Form so zu erfassen, dass man daraus alles das ableiten kann, was man vorgibt, ableiten zu können. Es würde zu völlig falschen Vorstellungen führen, wenn die Ellipse einer Innenansicht des Universums nicht sehr nahe wäre.

      Dabei muss man sich einmal vor das nur wenig kritische Auge halten, wie die Daten der Hintergrundstrahlung-Messungen zu Stande kommen. Sicher, an Bord der Raumsonden und Höhenballons waren bestimmt hochempfindliche Geräte. Aber die zu untersuchende Strahlung stammt aus der Frühzeit des Universums, genauer aus der frühesten Zeit, aus der wir Informationen ergattern können. Ein noch früherer Informationsträger steht uns nicht zur Verfügung.

      In den Milliarden Jahren seit ihrer Entstehung ist die Strahlung aber den verschiedensten Einflüssen ausgesetzt gewesen. Wenn die Standardmodelle der Teilchenphysik und der Kosmologie zutreffen, entstand sie, als sich Strahlung und die noch immer superheiße Materie voneinander trennten. Es folgte eine Phase, da die Galaxien und Sterne erst entstehen mussten. Darüber wissen wir nur wenig.

      Dann noch die schon Milliarden Jahre andauernde Entwicklungsphase mit dem teils sehr turbulentem Geschehen um Quasare, Schwarze Löcher, Galaxien, Sternentstehung, Sternenzyklen und Supernovae. Das alles überlagert die nur noch schwach strahlende Hintergrundstrahlung und erzeugte und erzeugt eine allgegenwärtige und sehr viel stärkere Vordergrundstrahlung. Das filigran auseinanderzuhalten dürfte eine Aufgabe gigantischen Ausmaßes sein.

      Um mal die "Größenordnung" anzudeuten: Es geht hier um Inhomogenitäten in einer Differenz von 2,7281 zu 2,7280 Kelvin oder -270,4219 zu -270,422 Grad Celsius. Um die aufzuspüren, muss man alle Vordergrund-Strahlungsquellen sauber eliminieren. Das mag ja bei der Sonne und den bekannten Galaxien und Quasaren vielleicht noch einigermaßen möglich sein, obwohl selbst da schon Zweifel angebracht sind, ob das vollständig oder nur sehr grob gelingt. Aber da sind ja auch schwach leuchtende Sterne, Braune Zwerge, Galaxien mit geringer Helligkeit, Wasserstoffwolken, interstellarer Staub, deren Lage und Stärke man gar nicht oder nicht genau kennt und zudem unbekannte Strahlungsquellen, mit denen man immer rechnen muss.

      Bei der Interpretation der WMAP-Daten sollen 700 extra-galaktische Punktquellen maskiert, also ausgeblendet worden sein. Warum 700, warum nicht 2000? Wurde das geschätzt? Und dann emittiert unsere Galaxie ja auch noch eine Eigenstrahlung, die herausgerechnet werden muss. Die Bewegung der Erde durch den Mikrowellenhintergrund sorgt zudem für Verzerrungen.

      In der ersten Phase nach der Entkopplung von Materie und Strahlung soll es eine Ära der Monstersterne gegeben haben; massereiche – 300- bis 1000- fache Sonnenmasse – helle Sterne mit Strahlung im Ultravioletten und starker Neigung zu Supernova-Explosionen. Diese Riesensterne hatten nur eine kurze Existenzzeit. Es muss sich also um eine Etappe recht turbulenten Geschehens und zahlreichen Strahlungsausbrüchen in Folge von Supernovae gehandelt haben. Über diese Periode wissen wir nichts Genaues, wir nehmen nur an, dass es sie gegeben haben muss, da anders die Metallizität der heute zu beobachtenden ältesten Sterne nicht erklärbar wäre.

      Alle diese Faktoren fügen sich zu einer recht diffusen Vordergrund-"Verunreinigung"