D. G. Berlin

Fakten Wissen Denkblasen?


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zu sagen. Vor der Singularität war nichts, nicht einmal Raum und Zeit. Die wurden erst mit und nach der Singularität. Alles was nach ihr kam, können wir erforschen, beschreiben und irgendwann vielleicht sogar irgendwie erklären. Nur die Singularität nicht. Schade, aber wir wären dann soweit erst einmal am Ende – mit dem Anfang.

      Das hätte tatsächlich eine saubere Lösung des Problems sein können.

      Die Verkündung, das Universum sei aus einer Singularität heraus in die Existenz getreten und in dieser hätten die uns bekannten Naturgesetze keine Gültigkeit gehabt, da sie in ihr versagen, ist jedoch gefährlich. Das Universum versagte nämlich nicht, sondern trat in die Existenz, was noch heute nicht übersehen werden kann.

      Die Berufung auf die Singularität ist so eine sich aufdrängende und manchem sehr willkommene Möglichkeit, einen noch anderen und ganz besonderen Vorgang ins Spiel zu bringen. Der mag uns unbehaglich stimmen, wir können ihn weit von uns weisen, ihn auch mit Gelächter quittieren, aber er zwingt sich uns notwendig auf:

      Wenn das Universum im Sinne der Naturwissenschaft ohne jede Ursache, also ohne eine natürliche Ursache aus dem Nichts heraus seine Existenz begann, dann müsste es dafür eine außer- oder übernatürliche Ursache gegeben haben.

      Die nahe liegende übernatürliche Verursachung, die wir uns dann, ob wir es wollen oder eher nicht, denken müssen, ist die einzigartige Kraft und Macht einer Schöpfung. Nur eine Schöpfung konnte das alles in Gang gesetzt haben. Das brauchte keine Substanzen oder Energien oder Gesetze, die schon existiert haben müssten, als die Schöpfung den Beginn setzte. Sie hatte die Macht, alles zu erschaffen. Vor dem Akt der Schöpfung gab es nichts, keine Materie, keine Energie, auch keinen Raum und nicht einmal die Zeit. Alles wurde erst durch die Schöpfung. Und diese war mit dann ziemlicher Wahrscheinlichkeit der Wille und die Tat einer ganz besonderen, allmächtigen Persönlichkeit, eines Schöpfers.

      Unversehens lief die Wissenschaft Gefahr, zur Religion zu werden. Mehr noch, der wissenschaftliche Rückgriff auf die geheimnisvolle Singularität bewegt sich auf der gleichen mythologischen Unerklärbarkeitsebene wie die Schöpfungslehren der Religionen.

      Und schon trat ein Vertreter der modernen Naturwissenschaft, der Physiker Frank Tipler, am 09. Mai 2007 vor die Kameras und Mikrophone eines amerikanischen Fernsehsenders und verkündete, die kosmologische Singularität – das sei Gott. Die Wissenschaft würde die Lehren der Religion überprüfen und herausfinden, dass Gott existiere.

      (Nachzulesen auch in Frank J. Tipler: Die Physik des Christentums)

      Nicht, dass nun alle Naturwissenschaft die Entstehung des Universums als die grandiose Tat eines allmächtigen Schöpfers propagierte, aber indem sie sie als wissenschaftlich nicht erklärbar definierte, machte sie den Weg frei für übernatürliche Erklärungen. Wenn die Naturwissenschaft nicht erklären kann, aus welchem Zustand heraus das Universum seine Existenz begann und warum das geschah, dann muss die Erklärung dafür außerhalb der Kompetenz der Naturwissenschaft liegen. Und wenn die Kompetenz der Naturwissenschaft die Natur ist, dann muss also die Erklärung auch außerhalb des Natürlichen liegen. Diese Logik ist nur schwer vermeidbar.

      Die Physiker wollten das nicht so einfach hinnehmen. Also dachten sie darüber nach, wie man die Singularität doch noch vermeiden und den Anfang anders erklären könne.

      Wenn der rückwärts laufende Film, so nun die Überlegung, dank Einsteins allgemeiner Relativität in einen solchen speziellen, allgemein viel zu speziellen Zustand führt, in dem die Allgemeine Relativität nicht mehr gilt, vielleicht hilft der andere Teil der Physik des 20. Jahrhunderts, die Quantenmechanik, den Film wieder vorwärts laufen zu lassen, ohne Gott bemühen zu müssen. Die beiden großen Theorien der modernen Physik passen zwar nicht zueinander, aber wenn beide zusammen nichts erklären können und einander widersprechen, vielleicht konnten sie sich wenigstens mal gegenseitig aus der Patsche helfen.

      Also überlegten sie, die Physiker, wie der Anfang aus der Sicht der Quantenphysik erklärt werden könnte. Und die findigen Wissenschaftler wurden auch schnell fündig. Es fiel ihnen die Unschärferelation ein, die Werner Heisenberg schon so ziemlich am Anfang der Quantenphysik, also vor längerer Zeit, beschrieben und plausibel begründet hatte.

      Irgendwann wird das Universum im rückwärts laufenden Film soweit geschrumpft sein, dass es nur noch einen Raum einnimmt, dessen Durchmesser sich in der Größenordnung von vielleicht einigen 10-33 cm, somit in der Region der Plancklänge, bewegt. Das ist natürlich ein sehr winziger Raum, kaum noch von einem Punkt zu unterscheiden und damit dem Nichts sehr nahe. Aber ein solcher Raum ist eben nicht ganz Nichts, sondern ein eindrucksvolles Etwas: die Spielwiese der unbändigen Quanteneffekte. Das war die Lösung.

      Wie das? Die aus der Unschärferelation resultierenden Quantenfluktuationen müssen die Evolution des Universums in seiner ganz ersten Anfangsphase maßgeblich bestimmt haben. Mit der berühmten Unschärferelation hatte Heisenberg nicht etwa die ungenaue Betrachtung der Natur durch die Wissenschaft gemeint, auch nicht eine unvollständige Beschreibung der Natur, wie es Einstein der Ältere, also der in die nörgelnden Jahre gekommene Miterfinder der Quantenphysik genau dieser dann vorwarf.

      Die Unschärferelation besagt eigentlich nur, dass wir – ich in Ermangelung der notwendigen Mittel, Geräte und Fähigkeiten sowieso nicht, aber auch nicht die Wissenschaftler – objektiv nicht in der Lage sind, Ort und Geschwindigkeit eines subatomaren Teilchens zu gleicher Zeit genau zu bestimmen. Wenn man die eine Komponente genau bestimmt, wird die andere unscharf sein – und umgekehrt.

      Bestimmt man also die Geschwindigkeit, mit der sich ein Teilchen bewegt, oder den sich aus Masse und Geschwindigkeit ergebenden Impuls, kann man nicht genau sagen, an welchem Ort sich das Teilchen bei der Messung befindet.

      Bestimmt man den Ort eines Teilchens zu einem bestimmten Zeitpunkt exakt, scheitert man glanzlos bei dem Versuch, Geschwindigkeit bzw. Impuls genau zu bestimmen. Das wird immer so sein. Der Umstand lässt sich auch mit den präzisesten Messgeräten, den akribischsten Untersuchungsmethoden und von den cleversten Wissenschaftlern nicht aus der Welt schaffen, denn er haftet den Dingen an, nicht den Messmethoden und auch nicht den Physikern. Die Quanten können spontan zwischen den Werten hin und her springen, sie sind irgendwie in Raum und Zeit verschmiert, weshalb man das Phänomen auch Unbestimmtheit nennt.

      Dieser Charakter der Quantenobjekte ist verantwortlich für einige merkwürdige Erscheinungen, die die Quantenphysik beschreibt. Eine davon ist eben die so genannte Quantenfluktuation. Sie definiert die Quantenwelt als ein Feld turbulenten Geschehens. Teilchen können spontan auftauchen, sich verwandeln, wieder verschwinden.

      Es ist vorstellbar, dass das Universum aus einem solchen brodelnden Etwas, nur wenig verschieden vom Nichts, hervorging. Das ist natürlich ein reichlich anderes Bild als die unendliche Dichte der zu einem Punkt zusammengequetschten gesamten Materie des Universums. Andererseits – so prinzipiell verschieden sind die beiden Vorstellungen auch wieder nicht. Das turbulente energetische Geschehen der unablässigen und spontanen Quantenfluktuationen hat schon auch etwas von einem schier unendlich ergiebigen Energiemeer auf kleinstem Raum.

      Die Unschärfe hängt mit dem Planck’schen Wirkungsquantum zusammen. Sie könnte durchaus eine Eigenschaft des Raumes oder besser der Raumzeit sein. Diese könnte als solche unscharf sein, irgendwie verschwommen, nicht unbedingt im Sinne einer recht schwammigen Idee, das vielleicht auch, sondern in dem Sinne, dass Raum und Zeit nicht klar getrennt voneinander betrachtet werden können.

      Die Vorstellung hat nur einen Haken: Wie können denn Quantenfluktuationen auftreten, wenn es Raum und Zeit gar nicht gibt. Das plötzliche Auftauchen eines Teilchens führt notwendig zu der Frage, wo es denn auftaucht? In einem nicht vorhandenen Raum? Wie das? Indem es den Raum schafft und die für das Auftauchen notwendige Zeit gleich mit. Und wenn das Teilchen gleich wieder verschwindet, sind dann Raum und Zeit auch wieder weg? Ist das frühe Universum ein Gewirr aus Raum- und Zeit- Blitzen. Wie werden dann der Raum und die Zeit, wie wir sie kennen?

      James Hartle und Stephen Hawking haben da, aus einer ganz anderen Richtung kommend, eine Theorie entwickelt, nach der der ursprüngliche Raum vierdimensional war; nicht in Form der Raumzeit, sondern räumlich vierdimensional. Die Zeit erscheint nach dieser Theorie nicht plötzlich,