Taylor George Augustine

Tod in der Levada


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kaum noch das Hotelzimmer. Ein Urlaub wie bisher wäre zu auffällig. Nur noch zum Essen geht er ins Hotelrestaurant. Er sitzt auf dem Balkon und schaut in die Ferne, denkt an Isabella. Mit einem Blick ins Leere grübelt er über das Geschehene nach. Die Erinnerung an Beate ist bereits verblasst, alles längst vergangen. Seine Frau war ihm wie eine Fremde gewesen. Er empfand noch nie etwas für sie. Ihr Geld hatte ihn dazu bewegt, sie zu heiraten. Seine Schauspielkunst hatte sie nie durchschaut. »Ich kann jede Frau bekommen. Vor allem die Dummen.« Er lacht vor sich hin. Gegenüber Beate verspürte er nur noch Verachtung. Jetzt war der richtige Zeitpunkt. Rationales Denken ist der Gefühlsduselei überlegen. Die Welt gehört Volker Lacom und seinesgleichen. Idealisten und Gutmenschen sind verpönt, alles Schwachköpfe. Fressen oder gefressen werden, die Natur lebt das wahre Leben vor. Sarah wird Fragen stellen, die konnte ihn noch nie leiden. Das weiß er von Beate. Aber er wird standhalten. Sarah wird ihm nichts anhaben können. Ein genialer Plan. Ein Unfall, von den Behörden bestätigt. Der Plan ist zu genial. Volker Lacom trinkt ein Glas Rotwein. Nur ein Glas, weil betrunken redet er viel dummes Zeugs. Das weiß er, aber er hat sich fest im Griff. Seine Gedanken schweifen ab nach Rom. Letztes Jahr war er mit Isabella für eine Woche in Rom gewesen. Die heißen Liebesnächte, unvergesslich. »Eine Geschäftsreise.« Beate glaubte ihm alles. Eine Nacht am Strand von Lido di Óstia, nur wenige Meter von der Promenade entfernt. Isabella liebt das Abenteuer, den Reiz des Verbotenen, die Blicke der Menschen, die sie im Mondschein sahen und dann schnell auf die andere Seite blickten. Der Strand war den Liebenden vorbehalten. Hinter jeder Hecke ein Pärchen. Liebkosungen, Stöhnen, sich umschlingende Körper. Die Promenade entlang wutentbrannte gehörnte, vor Eifersucht zu allem fähige Ehemänner und Ehefrauen auf der Jagd nach ihrem längst vergangenem Glück. Den Augenblick genießen ist das wahre Glück. Nicht lange zaudern und zögern, sondern handeln und das Glück am Schopf packen. Volker Lacom hat an alles gedacht. Er besitzt mehrere Mobiltelefone, für jeden Zweck ein eigenes Telefon. Isabella kann ihn unmöglich anrufen und auch er wird sie nicht anrufen. Das wäre zu verdächtig. Er hat an alles gedacht. Der Plan ist genial. Volker Lacom grinst vor sich hin und geniest das schöne Wetter. »Geld! Geld! Geld!«, strömt es ihm durch den Kopf.

      * * *

      Sarah Dobry sitzt in der Redaktion und bespricht mit ihrem Kollegen die bevorstehende Recherche über eine Korruptionsaffäre im Innenministerium.

      »Diesen Schweinehund bringen wir zur Strecke, koste es was es wolle. Die Hinweise sind eindeutig. Seine Frau kauft Grundstücke, wertloses Ackerland, Wiesen und Wälder, die später für die Erschließung eines Baugebietes vorgesehen sind und verkauft dann das ganze Jahre später zum fast hundertfachen Preis. Mein Gott Daniel, das stinkt doch zum Himmel. So dämlich kann ein Minister doch gar nicht sein.«

      »Du hast ein goldenes Näschen für faule Sachen, das muss ich schon sagen. Aber es gibt kein Gesetz, das einen solchen Deal verbietet. Die Grundstückskäufe waren bereits abgeschlossen, als das Bauprojekt der Öffentlichkeit bekannt gemacht worden ist.«

      »Eben.«

      Sarah Dobry ist eine Kämpferin für Gerechtigkeit aus Leidenschaft. Der Schreibtisch ist mit zahlreichen Dokumenten überhäuft. Manche Dokumente tragen den Stempel ‘streng geheim’. Doch Sarah Dobry weiß, wie man an Unterlagen herankommt, die nicht für die Öffentlichkeit vorgesehen sind. ‘Der Enthüller’ ist in den letzten Jahren durch die Aufdeckung zahlreicher Skandale und Affären in den höchsten politischen und juristischen Kreisen zum Informationsblatt Nummer Eins in Deutschland geworden - nicht zuletzt durch den unerbittlichen Einsatz einer Sarah Dobry.

      Der Telefonanruf aus Madeira mit der traurigen Nachricht, dass ihre Schwester tödlich verunglückt ist, trifft sie wie einen Schlag mitten ins Gesicht. Doch Sarah Dobry ist hart im Nehmen. Noch am selben Tag bucht sie einen Flug nach Madeira und bereits am nächsten Tag landet sie in Funchal. Volker Lacom ist von ihrem Besuch völlig überrascht. Als Sarah Dobry ihm gegenübersteht, läuft es ihm heiß und kalt über den Rücken.

      »Was verschafft mir die Ehre?«

      »Ich will Dir Beistand leisten, Volker. Dich in dieser schweren Zeit unterstützten.«

      Das Verhältnis zwischen Volker Lacom und Sarah Dobry ist alles andere als freundschaftlich. Seit der ersten Begegnung gibt es Reibungspunkte in allen Bereichen. Noch kein Gespräch kam zustande, das nicht bereits nach wenigen Sätzen die Konfrontation zum Vorschein brachte. Die gegenseitige Ablehnung und Verachtung ist für jeden Dritten spürbar. Zwei Charaktere, die keinerlei Schnittmenge haben und auch nicht den Wunsch haben, das Verhalten so zu ändern, dass ein Minimum an Sympathie entsteht.

      »Komm rein.«

      »Was ist denn genau passiert? Und wo ist Beates Leichnam?«

      Volker Lacom holt zwei Gläser aus dem Schrank und stellt sie auf den Tisch.

      »Apfelsaft, wie immer?«

      »Ja.«

      Sein Gehirn fängt an zu rotieren. Nichts falsches sagen. Die Hexe durchschaut eine Betonwand auf hundert Meter Entfernung. Cool bleiben. Was sagt der Plan? Wenn Sarah Dobry dir gegenübersteht, zuerst den trauernden Ehemann spielen, dann den Unfallhergang schildern und schließlich in Tränen ausbrechen.

      »Meine liebe Beate. Ich bin noch gar nicht richtig bei Verstand. Das kommt mir alles vor wie in einem Alptraum. Sarah, sag mir, dass es nicht wahr ist. Mein Gott, meine liebe Beate.«

      Volker Lacom verdeckt sein Gesicht mit seinen Händen und schluchzt kaum hörbar vor sich hin. Sarahs Augen durchbohren Volkers Körper wie Nadelstiche ein Kleidungsstück. Er spürt, wie sie ihn durchdringt, mit ihren glasklaren, blauen Augen und ihrem Blick, den nur eine Hexenmeisterin haben kann. Er weiß, dass sie jede Handbewegung, jede Mimik und Gestik registriert. Jedes Wort wird mit seinem Verhalten abgeglichen und in ihrem Gehirn unauslöschbar abgespeichert, solange sie lebt. Jede Kleinigkeit, auch die unscheinbarste, löst in ihr Denkprozesse aus und führt zu Schlussfolgerungen, die andere Menschen bereits dazu veranlasst haben, ihr telepathische Fähigkeiten zuzuschreiben.

      »Wir waren auf einer Wanderung. Wir hatten kurz vor einem Tunnel Rast gemacht, Beate wollte etwas essen und noch Fotos machen. - Dann gingen wir weiter, ich voraus und sie hinterher. Ich war fast schon auf der anderen Seite, - als ich bemerkte, dass sie nicht mehr hinter mir war.« Sarahs Blicke stechen Volker in die Augen. Er schaut verlegen nach unten, denkt an seinen Plan, konzentriert sich auf schärfste. »Ich habe nach ihr gerufen, - bin zurück gelaufen. Der Schein ihrer Stirnlampe konnte ich auch nicht sehen. Ich dachte, vielleicht ist sie zurückgegangen, weil sie etwas vergessen hat. Ich ging wieder zurück zum anderen Ende des Tunnels, - aber sie war nicht da. Ich war mir sicher, dass sie direkt hinter mir in den Tunnel gegangen ist. Ich war mir ziemlich sicher. Da wurde mir ganz mulmig. Ich suchte die Levada ab und - sah plötzlich etwas im Wasser liegen. Es war Beate. Mein Gott.«

      Volker Lacom kommen die Tränen und er wischt sie sich mit seiner Hand aus den Augen. Schluchzend fährt er mit seiner Schilderung fort.

      »Ich zog sie aus dem Wasser. Da kamen dann Wanderer, die haben mir geholfen sie rauszutragen, wollten sie wiederbeleben, - aber es war nichts mehr zu machen. Wir haben alles versucht. Nichts. Nichts war zu machen. Der Notarzt kam, aber auch der konnte ihr nicht mehr helfen. ... Herr, Gott im Himmel, - warum hast du mir das angetan, warum?«

      Volker Lacom bricht in Tränen aus und gibt sich keine Mühe, diese zu verbergen. Sarah Dobry schaut aus dem Fenster direkt auf das Meer. Mit Beate hat sie sich immer gut verstanden. Sie war nicht nur ihre Schwester, sondern auch ihre beste Freundin, die sich gegenseitig alles anvertrauten. Selbst die intimsten Geheimnisse. Der Blick auf das Meer lässt Sarah träumen und löst Erinnerungen an ihre Kindheit aus, an frühere Urlaube in Südfrankreich und Andalusien. Wie sie um die Wette schwammen und schnorchelten. Wie sie auf den Meeresgrund tauchten, um Muscheln und Seesterne zu sammeln.

      »Mama ist zusammengebrochen, als ich es ihr gesagt habe. Mein Gott, Beate. Beate.«

      Sarah Dobry erhebt sich, geht auf den Balkon, kommt nach einer Weile wieder herein.

      »Wo ist sie jetzt?«

      »In der Rechtsmedizin, zur Obduktion.«

      »Obduktion?