Dieter Gronau /// AMEISE

E R S A N


Скачать книгу

      Überschrift 1

       Dank, hab Dank!“ Betete Emine, auf den Knien stehend, ihren Sohn in die Höhe hebend neben der noch immer knienden und unentwegt betenden alten Frau, der Hebamme.

       Am Himmel zogen jetzt zwei Falken mit ihrem unverkennbaren Krächzen ihre steten Kreise am Himmel. Hatte das etwas zu bedeuten? Zwei Falken? Vorher war es nur einer, der etwas aufgeschreckt dort oben am Himmel seine Kreise zog. Woher kam so plötzlich der zweite Falke? War es ein Omen? Ein gutes oder ein schlechtes Omen? Wer wagt es schon, heute so viel zu wissen und eine Deutung zu wagen! Der Mensch macht es sich doch alles viel einfacher und nennt es einfach das Schicksal.!

       Als Jusuf, von der Ziegenweide nach Hause zurückkehrte, begann er zu taumeln. Seine beiden Knie schienen zu versagen. Er sank auf der Stelle nieder, als er das Geschrei eines Kindes hörte. Vielleicht ahnte er es auch, das es ein Sohn sein würde, den Wunsch hatte ihm Allah endlich erfüllt.

      „Oh Allah, du Allmächtiger, du Gnädiger hast mein Flehen erhört! Ein Sohn! Ersan, du Göttlicher, bist endlich da! Oh Allah, hab tausend Dank!“ Nahm seinen Sohn, hob ihn in beiden Händen haltend hoch, preisend und verneigend in alle vier Himmelsrichtungen

       Danach gab Jusuf seinen Sohn der Mutter wieder, küsste und umarmte beide liebevoll, tat das gleiche mit der alten Frau, der Hebamme, rannte in den Hühnerstall, ergriff seinen stolzen Hahn, der wild vor Angst schrie und mit den Beinen und Flügel wild um sich schlug, schlug ihm mit einer Axt auf einem Holzklotz den Kopf ab, ließ das warme Blut in seinen offenen Mund tropfen und reichte schließlich den noch immer zappelnden Hahn der alten Frau als Dank und höchste Anerkennung.

      „Hab Dank, gute Frau, du hast geholfen meinen Herzenswunsch zu erfüllen, einen Sohn, ein Ersan, mein und unser Ersan! Nimm das als Dank und kleine Anerkennung! Allah möge immer an deiner Seite stehen! Hab Dank! Hab Dank!“

      „Ach Jusuf, du hast ein zu gutes Herz, deshalb hast du es nie zu Reichtum und Ehre gebracht. Aber dein Sohn, Ersan, soll es besser machen. Du verschenkst deinen besten Hahn an mich? Ich fühle mich sehr geehrte!“

      „Gute Frau, reichst du eine Hand, so erhältst du tausende zurück! Ich bin damit bisher immer gut gefahren. Was bedeutet mir schon Reichtum? Ich habe meine Familie, stets ausreichend und gut zu essen und reichlich zu trinken, gegeben, das ist doch das höchste Gut auf Erden! Alle meine Töchter, meine Frau und ich und jetzt auch Ersan, wir alle sind gesund. Das ist mehr als alles Geld auf dieser Welt!“ Er kniete mit der alten Frau nieder und murmelte sein Dankesgebet. Ein Text, den nur er kannte und keiner mithören durfte und sollte, deshalb vernahm man immer nur ein Gemurmel und konnte kein einziges Wort, wie bei anderen Gebeten, verstehen. Diesen Gebetstext hatte Jusuf, kurz bevor sein Vater verstarb, von ihm übernommen. Das war in der Familie schon seit Jahrhunderten so Sitte. Dieses Dankesgebet, den Text, durfte nur der erstgeborene Sohn, erfahren und benutzen. Dieser Gebetstext soll magische Kräfte ansprechen und Fluch und Unglück von der Familie fernhalten. Jusuf wird auch, wenn die Zeit für einen Abschied kommt, den Text an Ersan weitergeben. Der Text stammt von Allah, so glaubte Jusuf und seine Familie. Und nur von ihm jeweils für den erst geboren Sohn bestimmt. Wenn dagegen verstoßen werde, soll Fluch und Krankheit über die gesamte Familie kommen und alle vernichten! nachdem Emine sich von den Strapazen der

       Geburt erholt hatte, bereitete Jusuf ein großes Fest vor. Es sollte, wie es so üblich war, die ganze Familie an dem Glück von Jusuf teilhaben. Die Familie bestand inzwischen von über 200 Menschen. Das war der halbe Ort Eski-Datca und sollte in der ersten Woche nach der Geburt geschehen. Jusuf war voll damit beschäftigt, alle zu verständigen und alles zu organisieren. In der Region Datca, war es üblich, bei so einem Ereignis, so eine große Feier, beteiligten sich alle weiblichen Familienmitglieder bei der Zubereitung der Speisen und Getränke. Somit könnten an so einem Fest noch wesentlich mehr Gäste teilnehmen. Es war eben eine Feier der Familie und alle halfen mit und trugen zum Gelingen bei. Eine schöne Sitte. In Deutschland wäre so etwas unmöglich oder würde ein kleines Vermögen kosten.

       Nach dieser Feier verging ein Jahr nach dem anderen. Ersan wuchs heran, kam in die Schule und wurde schnell zu einem der besten Schüler in seinem Alter. Er begriff alles sehr schnell und wusste manchmal schon die richtige Antwort bevor der Lehrer eine Frage ausgesprochen hatte. Ersan übersprang zwei Schulklassen und war nach kurzer Zeit wieder Klassenbester. Der Schuldirektor stand vor einem Rätsel. So einen Schüler hatte er in seinem ganzen Leben noch nie unterrichtet. Mit 12 Jahren wusste Ersan, wo es die besten Futterplätze für die Ziegen seines Vaters gab, wo es zu der betreffenden Jahreszeit, auch bei extremer Dürre, noch immer genug für die Ziegen seiner Familie zu fressen gab und immer noch ausreichend Wasser für die inzwischen große Ziegenherde gab. Einige Bauern befragten Ersan und holten sich Rat bei ihm. Ersan erhielt dann als Lohn frischen Ziegenkäse, einen Beutel Mandeln oder Obst aus dem Garten. Ersan war der Meinung, er brauchte nie lange nachzudenken, stellte man ihm eine Frage oder bat um Rat. Er verblüffte alle Bewohner von Eski-Datca und Umgebung. Eines Tages setzte sich Jusuf neben seinen Sohn und sprach:“ Ersan, mein Sohn! Eski-Datca ist bald kein Ort mehr für dich mein Sohn. Du bist zu Größerem geboren! Dir gehört die Welt! Das wirst du schaffen, was ich nie erreicht habe! Zieh in die Welt hinaus! Auf eine höhere Schule kann ich dich leider nicht schicken, selbst wenn die ganze Familie mithilft. Du hast dein Ziel und wirst es irgendwann erreichen. Du bist jetzt 13 Jahre und schon so klug, wie ich mit 30. Morgen Nacht, wenn es schön kühl ist, sollst du fortgehen, mein geliebter Sohn! Ich werde dann als dein Vater für dich hinscheiden, du erhältst das Familiengebet deiner Väter als kleinen Schatz und Schutz, behüte es gut und nutze es, genau wie ich es immer getan habe und alle meine Väter vor mir! Ich übergebe dich damit einem anderen Vater, nämlich Allah! Ab morgen hast du nur ihn als deinen Vater. Höre seine Worte und befolge seine Ratschläge!“ Unterwies Jusuf mit Tränen in den Augen seinen geliebten Sohn, Ersan.

      „Vater ist das wirklich dein freier Wille, oder hat man dich dazu gezwungen?“ Sinnierte Ersan halblaut vor sich hin.

      „Nein mein Sohn, es ist mein Wunsch und Allahs Wille. Es ist das Beste für dich! Zieh immer nach Norden, denn dort leben viele schlechte aber auch gute Menschen. Du bist klug genug und wirst sie schnell richtig unterscheiden können und deinen vorgezeigten Weg gehen! Denke an und nutze stets unser Gebet, denn so kannst du auch aus der Ferne unsere und deine Familie schützen.“

      „Vater, ich bekomme Herzschmerz und Kopfweh. Was erwartest du von mir alles? Ich bin doch noch ein kleiner Junge, erst 13 Jahre alt!“ Stammelte Ersan etwas verzweifelt, blickte seinem Vater in die Augen und begann ebenfalls laut zu weinen.

      „Sei still sonst hört uns noch deine Mutter und deine Schwestern!“

      „Weiß Mutter von dem, was du mit mir vorhast, von deinem Entschluss?“

      „Ja, sie weiß es und findet es richtig. Für Menschen, wie dich, ist hier kein Platz. Du würdest wie in einem Käfig hier leben und elendig verkümmern.“

      Überschrift 2

      „Also, mein geliebter Sohn, jetzt ist es mir leichter ums Herz. Ich fühle mich von einer großen Last befreit und bin glücklich, es dir endlich gesagt zu haben. Ich habe Tage und Nächte mit mir selber gerungen, mir bei Emine, deiner Mutter, Rat und Trost geholt, Allah angefleht um Unterstützung, aber keine Antwort erhalten, nur das gute Gefühl in meinem Herzen, es so richtig zu machen. Nun ist alles gesagt! Komm, lass dich noch einmal drücken, mein großer Sohn, Ersan!“

       Arm in Arm gingen Vater und Sohn hinter das uralte aus Lehmziegeln gebaute Haus. Unter vier Olivenbäumen war eine Plane gespannt, der Erdboden war mit alten Teppichen bedeckt. An einer Seite stand ein gemauerter offener Backofen, der einen herrlichen Duft von gebackenem Brot verbreitete. Im Sommer, den vielen heißen Tagen und Nächten schlief die ganze Familie Jusuf und Emine hier draußen im Garten. Im Haus konnte man sich nicht lange aufhalten, denn