Dieter Gronau /// AMEISE

E R S A N


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einen Kühlschrank plus Küche.“ Viele dieser Begriffe hörte Ersan das erste Mal in seinem noch jungen Leben. Aber er wusste, es waren bestimmt alles sehr nützliche Einrichtungen, um viele hunderte von Kilometer angenehm und sicher zu fahren. Ein wahres Paradies für Ersan!

      „Wo wohnst du Kleiner?“

      „In Eski-Datca, nördliche Türkei.“

      „Noch nie gehört. Ist mir vollkommen unbekannt. Ich fahre immer die Strecke von Ankara nach Bukarest mit landwirtschaftlichen Produkten. Heute habe ich 40 Tonnen feinster Mandeln geladen.“

      „Bukarest, das liegt doch in Rumänien, das ist doch, von hier aus gesehen, gleich hinter Bulgarien.“

      „Richtig Kleiner. Willst du etwa dorthin? weil du so gut Bescheid weißt?“

      „Jahhh!“ Antwortete Ersan langezogen und nachdenklich.

      „Mensch, dann hol deine Sachen und komm mit mir mit! Mein Beifahrer ist bei dieser Fahrt aus gesundheitlichen Gründen ausgefallen. So muss ich mich diesmal alleine durchschlagen. Etwas Gesellschaft könnte ich eigentlich gut gebrauchen. Was meinst du zu meinem Angebot?“

      „Das Angebot klingt nicht schlecht! Hatte eben auch schon im Stillen daran gedacht. Wie spät haben wir es? In einer Stunde wollten wir weiterfahren. Mein Fahrer ist sehr schweigsam und ein sehr komischer Kerl. Mit dir komme ich immerhin bis Bukarest, das ist noch erheblich weiter, als Istanbul.!

      „Wie, was, klingt alles sehr komisch bei dir! Kannst mir alles bei der Weiterfahrt erklären. Wegen dem Weckdienst brauchst du dir keine Sorgen machen, das übernehme ich mit Freuden. Wir lassen in einer Stunde solange unsere Fanfare erklingen, bis der Kumpel da vorne vom Sitz fällt. Das geschieht hier öfter. Richtig stundenlang in Ruhe kann hier keiner schlafen. Ständig fährt einer wieder los und verabschiedet sich mit seiner Fanfare von den anderen.“

       Ersan musste sichtlich schmunzeln bei der Vorstellung, der Hupe von diesem Kraftprotz an Lkw. Schnell war er bei seinem Tomaten Express, schlich geräuschlos ins Fahrerhaus, schnappte sich seinen Rucksack mit ein paar Büchern, seine ganzen Habseligkeiten, abgesehen von dem Stück Seife aus Olivenöl von seiner Mutter. Der einzigste Luxus für ihn aus seinem Elternhaus. Halt stopp, da war noch, nicht zu vergessen der alte Gebetsspruch von seinen Vätern. Ersan glaubte, endlich einen Glückstreffer gelandet zu haben, die Strecke bis Bukarest, ein Traum für ihn! Es war jetzt stark dunkel. Da hatte Ersan eine Idee. „Wie du mir, so ich dir, mein dicker Freund! Ich habe nichts Schlechtes gesagt, aber jeder Mensch ist eben, wie er ist, schlecht oder gut. Aber ein wenig Rache, musste schon sein!“ Daraufhin schlich Ersan noch einmal zurück zum Tomaten Express vom Dicken, lockerte die Verriegelungshaken der hinteren Ladeklappe des Anhängers, bei der ruckeligen Anfahrt musste die Klappe bei dem Gewicht der vielen Tomatenkisten, die dann nach hinten rutschen wollten, nachgeben und aufklappen. Viele Tomatenkisten müssten dann auf die Straße fallen und ihren Inhalt verschütten.

      „So, das hätten wir, mein guter Freund!“

      „Siehst du Ersan, jetzt hast du gelernt, man soll niemals dem Gesichtsausdruck eines Menschen trauen, auch wenn er freundlich lacht. Man sollte ihn lieber anhand seiner Taten beurteilen. So ist es richtig, merke es dir!“

      „Wer bist du und wo bist du? Ich kann dich nirgends sehen und dennoch sprichst du zu mir! Und lehrst mich Lebensweisheiten auf deine Weise!“ Ersan schaute sich noch einmal vorsichtig um, nichts, kein Mensch war zu sehen und keine weitere Antwort kam.

      „Rache ist nicht das richtige Mittel!“

      „Aber mein Vater, bist du es? Der Dicke macht das bestimmt nicht das erste Mal. Er sagt selber, Gerechtigkeit ist es nur, wenn es einem selber nützt. Und einem Kind das ganze Essen und Trinken wegzunehmen, ist das richtig und gerecht? Er nützte alle nur auf das Gemeinste aus, so ist es doch gerecht, wenn er auch mal etwas abbekommt, oder?“

      „Mein Sohn, deine Logig bringt mich zum Lachen. Wahrlich, du hast wirklich ein kluges Köpfchen, dann lass es so geschehen! Aber nur dieses eine Mal!“ Ein Windzug strich über Ersan sein Gesicht und bewegte seine vielen schwarzen Locken auf dem Kopf.

       Der neue Lkw-Kumpel von Ersan, war wirklich sehr nett. Ersan bekam in seinem Fahrzeug ein richtiges Bett zugewiesen, mit Matratze, einem Tuch darüber und einem herrlich weichen Kopfkissen und noch dazu, eine kuschelige Decke zum Zudecken, wenn es mal kalt wird. Sie saßen beide nebeneinander auf der üppig gepolsterten Sitzbank und sahen sich einen Spielfilm in englischer Sprache an. Ersan konnte sehr viel von dem Text verstehen und musste sogar einige Male unverhofft laut lachen. Er hatte schon lange nicht mehr so herzhaft gelacht.

      „So, mein Kleiner! Zieh bitte auf deiner Seite den Vorhang vor die Frontscheibe, das gleiche mache mit deiner Seitenscheibe. So jetzt kann dich niemand sehen. Erschreck nicht, gleich geht die Hupe bei uns los.“ Kaum ausgesprochen, da erbebte der leere Magen von Ersan. So gewaltig blies die Fanfare. In einigen Fahrerhäuschen wurde drinnen das Licht angeknipst. Rufe schallten über den Parkplatz. Durch einen Schlitz im Vorhang beobachtete Ersan das Geschehen in einem ganz bestimmten Lkw, seinem Tomaten Express nach Istanbul. Der Dicke fasste sich mit beiden Händen erschrocken an die Ohren, blickte um sich, machte das Licht im Fahrerhaus an, hantierte und kramte aufgeregt dort herum, als ob er etwas erschreckt suchte und nicht finden konnte. Die Fahrzeuglampen leuchteten auf, der alte Dieselmotor erdonnerte wieder zum Leben, eine riesige schwarze Rauchwolke hüllte den Platz um das Fahrzeug ein.

      „Du alte Sau, stell sofort dein Ding wieder ab! Du vergiftest ja die gesamte Türkei!“ Schrie ein anderer Lkw-Fahrer mit vor Wut sich überschlagender Stimme in türkischer Sprache.

       Der Dicke ließ sich aber nicht beirren. Sein Fahrzeug setzte sich ruckelnd und langsam in Bewegung. Alles schien gut zu verlaufen, noch. Dann kam eine enge Rechtskurve vor einer Steigung, es war die Auffahrt zur Autobahn, da geschah das Schauspiel, die Heckklappenverriegelung hielt dem Gewicht und dem Druck durch die Steigung nicht mehr stand und eine große Anzahl von Tomatenkisten begann zu rutschen und auf die Straße zu kippen. Bestimmt so an die vierzig solcher Kisten lagen da auf der Autobahnauffahrt. Die Tomaten kullerten in alle Richtungen und die Kisten verkeilten sich in einander und bildeten ein gefährliches Hindernis für alle noch folgenden LkW`s Der Dicke musste es wohl vorne in seinem Fahrerhaus mitbekommen haben, das sein Fahrzeug irgendwie wesentlich leichter geworden war. Er bremste, kullerte, wie es seine Art war, aus seinem Fahrerhaus auf die Straße, rannte an das Ende seines Fahrzeuges, schlug entsetzt beide Hände vor sein hochrotes Gesicht. Dann begann er wütend beide Hände in den Himmel zu strecken und begann die Heckklappe wieder richtig zu verschließen, um darauf eine Kiste nach der anderen auf seinen Hänger zu schleudern. Die Tomaten am Boden schoss er mit seinen Füßen rechts und links in den Straßengraben. Es dauerte bestimmt eine gute halbe Stunde. Jetzt sah man im Scheinwerferlicht eines anderen LkW`s, der ebenfalls weiterfahren wollte, die vielen Tomatenhaufen und Kistenreste noch rumliegen. Der Dicke wälzte sich wieder in sein Fahrerhaus und vernebelte und verrußte alles mit seinem Auspuffqualm beim erneuten mit aller Kraft anfahren. Der hinter ihm herfahrende Lastkraftwagen zermalmte und zerquetschte die noch kiloweise herumliegenden Tomaten. Und begann dabei etwas hin und her zu schlingern auf dem schmierigen Untergrund. Dann war auch er auf der Autobahn und zeichnete eine lange rote Reifenspur aus Tomatensaft. Ersan musste laut lachen, über das was er eben beobachtet hatte.

      „Steckst du dahinter, mein Kleiner? Der hat eine schöne Sauerei verursacht, altes Ferkel!“

      „Jaha, so ist es! Eine kleine Abschiedsrache von mir. Ich erzähle dir gleich alles.“

      „Lass uns noch ein wenig pennen! So gut 5 Stunden haben wir noch Zeit. Also ab in die Kojen!“

       So bequem, wie diese 5 Stunden, hatte Ersan noch nie in seinem bisherigen Leben geschlafen.

       Nach 5 Stunden Ruhe im Fahrerhaus