Dieter Gronau /// AMEISE

E R S A N


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Osten und vielen Verbeugungen, sein Morgengebet verrichtet. Bebe sah das, störte ihn aber nicht dabei, denn er erkannte diese wichtige Zermonie. Der Lkw setzte sich mit einem tiefen Röhren und Dröhnen in Bewegung, die Fanfahre ertönte laut und war im nu auf der Auffahrt zur Autobahn, wo gerade einige Männer damit beschäftigt waren, die Tomatenreste mit Besen, Schaufel und Wasser aus einem Tankwagen, zu entfernen. Im Straßengraben, auf der rechten Fahrbahnseite, lagen noch immer zahlreiche halbgefüllte Tomatenkisten. Langsam und sicher rauschte der große Skandia über diese schmierige, nasse Fahrbahndecke, die Anhöhe hinauf und war ohne Schwierigkeiten auf der Autobahn. Bebe bediente einen Hebel zwischen den Sitzen und der Lkw wurde merklich schneller und schneller. Vom Motor war jetzt nur noch ein leises Brummen zu hören. Aus dem Radio und den vier Lautsprechern ertönte ein Klavierkonzert an Ersans Ohren.

      „So ist Lkw fahren ein wahrer Genuss, Bebe! Da kann man leicht 100 und 200 Kilometer und mehr ohne Stopp fahren.“

      „Wer gut arbeitet, der muss es auch guthaben. Das ist die Parole von meinem Chef in Bukarest. Er nennt mich immer den Orient Expreß weil ich in drei Jahren noch nie unpünktlich meine Ware abgeliefert habe. Mir macht es riesigen Spaß, diese Strecke, Rumänien – Türkei, zu fahren.“

      „Du bist wirklich zu beneiden! Es gibt wirklich noch andere Arbeit auf der Welt, als Ziegen zu hüten, Hühner, Enten und Truthähne zu züchten und Oliven und Mandeln zu ernten. Da hatten meine Mutter und mein Vater schon Recht. Es sind eben kluge Menschen!“

      „Es ist schade, das du in deiner Heimat nicht mehr bleiben kannst. Du wirst einmal bestimmt, das glaube ich, ein sehr reicher Mann und wirst viel Gutes für die Mitmenschen tun. Ich wünsche dir schon jetzt dabei viel Glück und alles nur erdenklich Gute, Ersan!“

      „Oh danke, es wäre zu schön, hättest du Recht, Bebe!“

       So fuhren sie schweigend, nur der Musik im Radio lauschend auf der Autobahn in Richtung Istanbul.

      „Schau mal da vor uns! Ist das nicht der Tomaten-Express?“

      „Tatsächlich, das sieht von hinten genauso aus im Dunst der schwarzen Auspuffwolke.“

      „Wie fährt der komisch. Wollen wir dem mal etwas aus der Straßenverkehrs Ordnung zeigen?“

       Tatsächlich der vor ihnen, war der Dicke mit seinem Tomaten-Express. Ersan erkannte ihn jetzt an seiner noch immer verschobenen Tomatenkistenladung auf dem Anhänger.

      „Er fährt so, als ob er ganz alleine auf der Autobahn wäre. Die kleinen Pkw`s kommen noch leicht an ihm vorbei, aber ein Fernlaster wie wir, noch dazu so schnell und stark, der braucht schon bißchen mehr Platz, mein Dicker da vorne. Der muss uns doch in seinem Rückspiegel

      Überschrift 6

       schon längst entdeckt haben.“ Sinnierte Bebe halblaut und für Ersan verständlich, vor sich hin.

      „He Dicker, man sieht, du ernährst dich mal wieder nur von deinen Tomaten!“ Lästerte Ersan.

      „Wollen wir ihm mal einen fürchterlichen Schreck einjagen, Ersan, was meinst du? Hier hast du eine rote Pudelmütze, setze sie auf, ziehe sie dir ordentlich in die Stirn, damit der alte Fettsack dich nicht wiedererkennt, wenn wir ihn gleich überholen. Wenn du direkt neben ihm bist, lass das Seitenfenster runter und schimpfe und schreie laut mit ihm! Erst einmal Pieschen wir ihn mit unseren vier Fernscheinwerfern von hinten an. Wenn er dann noch immer nicht ordentlich rechts fährt, bekommt er unsere Fanfare solange in den Arsch geblasen, bis er endlich Platz macht!“

       Bebe war richtig angriffslustig und wütend auf den Dicken da vor sich.

      „Ok, den Scherz mach ich mit Wonne mit!“ Stimmte Ersan dem Vorschlag von Bebe zu. Der vor ihnen fahrende alte und auch vermutlich vollkommen überladene Lkw wurde von hinten so stark von den Scheinwerfern angestrahlt, das Ersan deutlich jeden Nagel, jede Schraube in der Holzverkleidung des Anhängers deutlich sehen konnte.

      „Nichts, absolut nichts! Du Fettsack, hast du uns noch immer nicht bemerkt? Oder stellst du dich nur stur? Na warte mal!“

       Eine gewaltige Fanfare, in mehreren Tonlagen, dröhnte von hinten zu den vorne fahrenden und in einer schwarzen Auspuffwolke gehüllten Lkw

      „Kannst du uns wegen deiner Gestankswolke nicht sehen? Das wird es sein.“

       Aber jetzt, ganz plötzlich, zuckte der vor ihnen fahrende Lkw ruckartig nach rechts an den Straßenrand. Der Anhänger schlingerte, von dieser plötzlichen Fahrtrichtungsänderung, hin und her und drohte fast umzukippen. In wenigen Sekunden waren Bebe und Ersan direkt neben ihm. Jetzt sah Ersan den Fahrer vom Tomaten-Express, seinen dicken Kumpel, den Fresssack. Mit hochrotem Kopf, mit den Armen wild an irgendwelchen Bedienteilen am Armaturenbrett rumhantierend, blickte er kurz zu Ersan hinüber und grinste auch noch unverschämt.

      „He, du, alter Fettsack, was suchst du hier auf der Straße mit deinen schon stinkenden Tomaten? Fahr lieber einen Traktor, aber lass dich nicht selber von deinem Traktor überholen, wenn du schläfst!“

       Ersan hatte selber einen hochroten Kopf bekommen, so angestrengt schrie er durch sein runtergekurbeltes Türfenster und spukte dem Dicken neben ihm auf die Fensterscheibe.

      „Gut, mein Kleiner! Dem hast du es aber gegeben. Schau nur, schau nur, der hat noch immer große Schwierigkeiten seinen Tomaten-Express auf Kurs zu halten. Ich möchte nicht seine Reifen sehen, die haben bestimmt schon lange kaum noch ein Profil. In Rumänien würde man diesen Lkw sofort von jeder Straße verbannen und verschrotten.“

       Im Seitenspiegel konnte Ersan tatsächlich gut beobachten, wie der Anhänger hin und her pendelte und kein Pkw-Fahrer sich traute, ihn zu überholen, aus Angst, vom Anhänger getroffen zu werden. Der Dicke, hinter ihnen, wurde im Rückspiegel von Ersan immer kleiner und kleiner und verschwand nach einer Kurve vollends aus dem Sichtfeld. Gute Reise, mein dummer Dicker, dachte Ersan im Stillen und Fairerweise, er war ja schließlich auch nur ein Mensch, auch wenn er viele unangenehme Erfahrungen mit ihm gemacht hatte.

      „Na, biste zufrieden mit unserer Aktion?“

      „Klar, das war ein voller Erfolg, ich werde öfter noch daran denken, es wird mich jedes Mal erneut amüsieren!“

      „In etwa sechs Stunden, bei unserem guten Tempo, werden wir in Istanbul sein. Dann geht es weiter in Richtung bulgarischer Grenze. Ersan, ich fahre bis zur Grenze in einem Rutsch durch. Gegen Mitternacht sind wir dann am Grenzübergang. Um die Nachtzeit sind die Kontrollen dort auch nicht mehr so gründlich. Mich kennen dort schon die meisten Kontrolleure, weil ich fast jede zweite Woche den Übergang passiere. Letztes mal haben die mich einfach durchgewinkt. Ich brauchte gar nicht zu stoppen und mich auszuweisen. Hast du einen Ausweis, Ersan? Na klar, du bist noch zu jung dafür.“

      „Bebe, ich habe ein Schreiben von der Verwaltung in Mugla, der Kreisstadt, über meinen Geburtsort und Tag. Das ist alles, was ich bei mir habe!“

      „Nicht schlimm, ich kriege dich schon sicher über die Grenze!“ Schweigen und Nachdenken erfüllte das nobel ausgestattete Fahrerhaus von Bebe und Ersan. Nur das Autoradio mit seiner Stereoausstattung sorgte für weitere Unterhaltung.

      „Ja, Ersan, ich habe es! Die Schlafkoje, hat einen mit Stoff bespannten Himmel, an der Vorderseite ist da eine Konsole von etwas 30cm Breite. Du bist ein so dünner Specht und kannst dich dort gut für eine Stunde lang drauflegen. Auf mein Bett werde ich einen Teller mit zwei Brötchen, belegt mit stark riechender rumänischer Salami, abstellen. So riecht ein Spürhund nur die Wurst in der Schlafkoje und nicht dich, oben unter dem Dach. Du reibst dir vorher