Dieter Gronau /// AMEISE

E R S A N


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halblaut vor sich hin, nahm noch ein paar Schluck Wasser, legte sich der Länge nach auf den Rücken auf den weichen Grasboden, bettete seinen Kopf auf seinen kleinen Rucksack und blickte hinauf zum Himmel mit den unendlich vielen Sternen. Beim Betrachten der Sterne, schlief Ersan auch kurz darauf ein. Heute Nacht hatte er keinen Traum. Er war zu erschöpft von den vielen Eindrücken und Erlebnissen der vergangenen Stunden.

       Ein warmer Sonnenstrahl, der direkt in sein Gesicht viel, weckte Ersan etliche Stunden später wieder auf. Er setzte sich erschrocken auf und betrachtete seine Umgebung

      „Wo bin ich hier? Wieso bin ich nicht zu Hause bei Mutter und Vater? Was war mit ihm geschehen?“

       Langsam dämmerte es Ersan und er konnte sich die vergangenen Stunden zusammenreimen und erklären.

      „Was man mal anfängt, soll man auch zu Ende bringen! Also los!“

       Ersan schnürte seinen Rucksack auf, brach sich ein Stück Brot, Brot, gebacken von seiner Mutter, ab, biss zwei-, dreimal in den köstlichen frischen Ziegenkäse, nahm zwei Schluck Wasser, wusch sich im Tümpel das Gesicht, die welligen pechschwarzen Haare, benetzte mit dem kühlen Nass aus dem Tümpel Arme und Beine und machte sich auf den Weg in Richtung Norden. Natürlich nicht, ohne vorher in einigen besinnlichen Minuten sein Morgen Gebet gen Osten zu verrichten. Einen kleinen Gebetsteppich, wie es bei den Männern so üblich war, hatte Ersan noch nicht. So reich war seine Familie nun doch nicht. So musste ein verwaschenes rotes Thieshirt den gleichen Dienst verrichten.

       Von einer Anhöhe sah er vor sich im Tal eine Verkehrsstraße. Hin und wieder fuhr dort e

      Überschrift 3

       Lastwagen, Bus oder Pkw entlang. Mit schnellen langgestreckten Beinen, war Ersan am Straßenrand

      „Welche Fahrtrichtung? Wo stand die Sonne? Das ist Westen, dann ist da Norden und Izmir und noch weiter Istanbul.“ Erklärte er sich selber halblaut. Nachdem sich Ersan für die richtige Reiserichtung entschieden hatte, versuchte er durch winken am Straßenrand ein Fahrzeug anzuhalten. Es dauerte eine ganze Weile. Keiner wollte den einsamen Jungen mit dem kleinen Rucksack mitnehmen.

       Doch endlich, ein riesiger Lastkraftwagen mit einem Anhänger voller Tomatenkisten hielt mit quietschenden und laut jaulenden Bremsen etwa 50 Meter weiter neben ihm an. Ersan lief schnell den Rest der Strecke bis zum endlich stehenden Lastkraftwagen. Die Beifahrertür des Fahrerhauses wurde mit Schwung aufgestoßen und wippte im Wind leicht hin und her. Ein kugelrundes Gesicht von einem ebenso kugelrunden Mann blickte lachend zu Ersan herab.

      „Na junger Mann, wo soll es denn heute hingehen? Komm steig ein! Du kannst mir während der Fahrt alles in Ruhe erzählen.“

      „Oh danke guter Mann!“ Ersan war mit einem Satz im Fahrerhaus des Lastkraftwagens.

      „Toll haben sie es hier! Ich bin noch nie in so einem großen Auto mitgefahren. Vielen Dank! Ich will nach Norden zu meinem Vater, er wohnt in Istanbul,“ erklärte sich Ersan.

      „Na da hast du aber Glück, das ist auch mein Fahrtziel. Morgen Mittag soll ich die Tomaten dort in einer Fabrik abliefern. Dann können wir ja zusammen weiterfahren. Prima, so können wir ein wenig während der Fahrt plaudern und es ist nicht mehr so langweilig für mich. In diesem Fahrzeug ist leider das Radio defekt, habe versucht es zu reparieren, hat nichts gebracht, Pech! Muss vermutlich ein Fachmann in einer Werkstatt machen. Hast du vielleicht ein bisschen Ahnung? Ihr jungen Leute habt doch heutzutage alle ein so glückliches Händchen für technische Probleme, besonders was die Musik angeht.“

      „Klar, ich kann es mal versuchen!“ Ersan sah sich das Radiogerät in der Konsole an. Ich müsste das Gerät einmal rausziehen, um die Rückseite zu sehen. Strom bekommt das Gerät. Die Dioden leuchten alle. Mh, so geht es nicht! Hast du so etwas wie einen Schraubenzieher?“

      „Neh, mein Junge! Mit dem Bordwerkzeug haben sich schon alle meine Vorgänger eingedeckt. Mein Privatwerkzeug habe ich leider in aller Eile vergessen. Der Auftrag für diese eilige Fahrt traf mich nachts während des Schlafes, so habe ich die Hälfte vergessen. Sogar etwas zu Essen. Ich lebe seit acht Stunden nur noch von Tomaten und deren Saft. Hast du etwas Vernünftiges zu beißen dabei?“

      „Klar, dafür haben meine Eltern gesorgt. Ich habe frischen Ziegenkäse und Brot aus unserem Backofen, sowie frisches Wasser aus unserem Brunnen im Garten dabei.“

      „Lecker, wollen wir nicht mal erst eine kleine Pause einlegen? Dann ruckelt das Fahrzeug auch nicht so und du kannst dich leichter mit dem Radio befassen!“

      „Na gut, es ist fast Mittag. Ich habe zwar noch keinen großen Hunger, aber naschen, so zwischendurch, kann man eigentlich immer.“ Mit viel Geruckel und Gequietsche hielt der Lkw in einer Parkausbuchtung neben der Straße, die wie ein Rastplatz wirkte. Ersan kramte seinen Käse, das Brot und stellte beide Wasserflaschen neben sich auf die Sitzbank im Fahrerhaus.

      „Herrlich, das ist ja ein göttliches Essen. Lecker, der Käse, selbst gemacht?“

      „Ja, von meiner Mutter, auch das Brot!“

      „Du hast aber eine tüchtige Mutter. Wieso ist dein Vater nicht bei euch zu Hause?“

      „Er arbeitet in einer großen Fabrik bei Istanbul und schickt uns jeden Monat etwas Geld. Bei uns im Ort hat er keine Arbeit mehr gefunden.“ Ein seitlicher, nur für Ersan bemerkbarer Tritt gegen sein rechtes Schienenbein und eine tiefe Stimme sagte,“ Na, mein Junge, das wollen wir lieber nicht sagen, das ist doch nicht die Wahrheit, oder?“

      „Ja Vater, das ist keine Lüge, das ist nur eine Ausrede um das Ziel meiner Reise besser zu erklären.“

       nun gut, ich verzeihe dir diesmal, mein Sohn! Aber treibe es nicht zu doll!“

       Ersan hatte das Fahrerhaus verlassen, um draußen einen passenden Gegenstand zu suchen, womit er das alte Autoradio raushebeln konnte. Er fand auf der Straße ein plattgefahrenes stück Blech, das sich für sein Vorhaben eignete.

      „Na siehste, es klappt doch! Da haben wir den Übeltäter. Der Antennenstecker hatte sich gelockert und war fast ganz abgerutscht. Das haben wir gleich wieder in Ordnung. So jetzt! Kannst du jetzt einmal die Zündung einschalten, um Strom zu bekommen!“

      „Klar, das haben wir gleich!“ Sagte der auf beiden Backen mampfende dicke Mann und leerte noch schnell die zweite Wasserflasche von Ersan.

      „Juhu, es knackt und rauscht schon! Jetzt muss ich nur noch einen Sender einstellen. Dann habe ich mir aber einen tiefen Schluck Wasser verdient!“ Irgendein türkischer Sänger krächzte aus dem Radio durch das Fahrerhaus, der noch immer eifrig kauende Fahrer grinste und stellte die leere Wasserflasche neben sich auf seinen Sitz. ab.

      „Na wunderbar, jetzt haben wir keine lange Weile mehr. Wo ist mein verdientes Wasser?“

      „Oh je, mein Junge, ich habe ausversehen auch noch deine Wasserflasche geleert. Ich besorge dir bei nächster Gelegenheit neues Trinkwasser“

      „na schön, das ist aber eine schlechte Entlohnung bei dir! Machst du das immer so? Nur an sich selber denken, den Rest bekommt dann, wenn überhaupt noch etwas übrig ist, die andere Seite!"

       Schweigend fuhren beide bis in die Abenddämmerung. Nur das musikalische Geplätscher aus dem Autoradio verschönte die Atmosphäre im Fahrerhaus etwas. Ersan dachte mit etwas Trauer an sein Elternhaus. Da gab es immer genug für jeden und alle hatten Hochachtung vor dem anderen. Was war der Dicke neben ihm wohl für ein komischer Mensch? Hatte er auch ein vernünftiges Elternhaus