Rudi Kost

Die Nadel im Heuhaufen


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anfangen, gell?«

      Keller bot mir seine Thermoskanne an. Ich lehnte dan­kend ab. Wenn ich etwas hasse, dann ist es Kamillentee. Keine Ahnung, weshalb er den trank. Vielleicht half er bei der Ausnüchterung.

      Keller konsultierte seine Notizen.

      »Also zum Hergang. Gesehen oder gehört hat natür­lich niemand etwas. Die Nachbarn waren im Stall oder sonst wo beschäftigt. Ach ja, der Viehhändler war im Dorf, ein gewisser …« Er blätterte in seinen Unterlagen. »… ein gewisser Norbert Czichon. Der war übrigens auch bei Huber. Er hat ihn im Stall nicht gefunden, hat am Haus geläutet, aber keiner hat aufgemacht. Dann ist er wieder gegangen.«

      »Sagt er.«

      »Sagt er. Irgendwelche Zweifel?«

      »Es kommt mir seltsam vor. Ich habe ja auch in der Scheune nachgeschaut, als ich Huber nirgends gefunden habe.«

      Keller dachte nach. »Vielleicht hatte er es eilig. Vielleicht war es ihm nicht so wichtig. Er kommt ja regelmäßig vor­bei. Und er hatte keinen festen Termin mit Huber.«

      »Wann war er bei Huber?«

      »Nach seiner Aussage zwischen neun Uhr und halb zehn. Genauer weiß er’s nicht.«

      »Da war Huber vermutlich schon tot. Hat den Vieh­händler jemand gesehen?«

      »Im Dorf ja, bei Huber nein.«

      »Was ist mit der Frau und dem Sohn?«

      »Alle drei waren wie üblich im Stall. Von sechs bis etwa halb acht. Danach haben sie gemeinsam gefrühstückt. Wie jeden Morgen. Frau und Sohn haben sich umgezogen und sind gegen halb neun nach Schwäbisch Hall gefah­ren. Einkaufen. Huber ging nicht mit. Was er auf dem Hof vorhatte, wussten sie nicht. Sie haben ihn zuletzt gesehen, als er in die Scheune ging. Er wollte Heu hinunterwerfen. Sagen sie.«

      »Wozu er aber nicht mehr kam.«

      »Richtig. Auf dem Scheunenboden lag kein Heu.«

      »Das grenzt den Todeszeitpunkt zumindest ein, wenn die Hubers um halb neun weggefahren sind.«

      Keller schüttelte den Kopf.

      »Seit dem Frühstück haben sie den Huber nicht mehr ge­sehen.«

      Ich blieb hartnäckig.

      »Andersherum: Es könnte gleich nach dem Frühstück passiert sein, weil er nicht mehr dazu kam, das Heu hinun­terzuwerfen.«

      »Muss nicht so sein. Wer weiß, was er sonst noch getan hat?«

      »Was ist mit einem Motiv?«

      »Das einzige Motiv, das ich bisher sehe, haben Sie ins Spiel gebracht. Das mit der Lebensversicherung hat mich stutzig gemacht. Kommt es häufiger vor, dass die Ehefrau als Begünstigte gestrichen wird?«

      Ich schüttelte den Kopf.

      »Habe ich noch nie erlebt. Außer nach einer Scheidung.«

      »Stand da bei den Hubers etwas an?«

      »Keine Ahnung. Aber besonders mitgenommen haben Frau und Sohn auf mich nicht gewirkt.«

      Ich erzählte von meinem kurzen Gespräch mit den so eigenartig gefassten Hinterbliebenen. Mein Eindruck deckte sich mit dem von Keller.

      »Haben Sie die Hubers danach gefragt?«, wollte ich wissen.

      Keller tat unschuldig: »Noch nicht.«

      Ich merkte, worauf es hinauslief.

      »Haben Sie sich im Dorf schon umgehört?«, fragte Kel­ler nun mich wie beiläufig.

      Nun spannte es auch Berger.

      »Chef, das ist aber nicht in Ordnung, dass der Dillinger sich da einmischt!«, protestierte er.

      Keller und ich schauten uns an. Kellers Gesicht war un­durchdringlich, ich grinste.

      »Rein professionell, Berger«, sagte ich. »Schließlich geht es um meine Versicherung.«

      »Gudden Daach, de Härrn«, verabschiedete ich mich in meinem besten Sächsisch. Es war genauso grauenhaft wie Bergers Hochdeutsch.

      ***

      Im Büro duftete es nach Räucherstäbchen. Sonja legte die Handflächen aneinander und verbeugte sich.

      »Namaste«, sagte sie.

      Meine Partnerin sah umwerfend aus wie immer. Ich hätte mich jeden Morgen neu in sie verlieben können. Mit ihren zweiunddreißig Jahren hatte sie auch genau das richtige Alter dazu. Sie war einfach zum Anbeißen. Ein geschmeidiger, sportlicher Körper. Außerdem war sie blitz­gescheit, ungeheuer tüchtig, ausnehmend hübsch und lei­der unbelehrbar lesbisch.

      War vielleicht besser so fürs Betriebsklima.

      Sonja war derzeit auf dem Indientrip. Das war so, seit sie im hiesigen »Indian Forum« eine Ayurveda-Behandlung ausprobiert und dabei ein nettes Mädchen kennengelernt hatte. Tatsächlich, das gibt es in Schwäbisch Hall, ein »Indian Forum«. Sogar mit echten Indern, Restaurant, Yoga, Ayurveda und diesem ganzen Zeugs. Wir sind halt weltläufig, wir Hohenloher.

      Seitdem trug sie im Büro einen seidigen Hauch von Etwas. Türkisfarbene Pluderhosen, darüber eine Art ge­schlitzten Rock. Ein enges, kurzärmeliges Oberteil aus demselben Stoff, das den Bauch frei ließ, einen flachen, harten Bauch übrigens. Sie sah aus wie eine Tempeltän­zerin.

      Es stand ihr gut.

      Sie hatte schon die Zen-Phase hinter sich mit ausgiebi­gen Meditationen, einen Rückfall in die Hippie-Ära mit wallenden Gewändern und Zöpfchen im Haar und ebenso die vegane Periode, die mich allerdings zutiefst verstört hatte: Wie kann man von Gemüse allein glücklich werden?

      Irgendwie war das alles hormongesteuert und hing mit ihren jeweiligen Partnerinnen zusammen.

      Das war schon in Ordnung so. Nur hatte sie sich dies­mal die falsche Jahreszeit ausgesucht. Wir mussten die Hei­zung schon ganz schön hochdrehen. Hoffentlich legte sich dieser Fimmel wieder, bis der Winter kam.

      Ich erzählte ihr von Huber. Sie hatte schon die kurze Notiz in der Zeitung gelesen, ohne zu wissen, dass es uns betraf. Natürlich war kein Name genannt worden.

      Normalerweise hätte sich Sonja jetzt an den ganzen For­mularkrieg gemacht. Zuverlässig und schnell wie immer. Ich bat sie, damit noch zu warten.

      »Da ist etwas faul. Es war vielleicht wirklich nur ein Unfall. Es könnte aber auch ein Mord gewesen sein«, sagte ich.

      »Und wenn schon«, sagte Sonja. »Mord ist auch ein Unfall. Zahlen müssen wir so oder so, das weißt du ge­nau.«

      »Nicht wenn der Begünstigte der Mörder ist.«

      Sie sah mich überrascht an.

      »Mal wieder auf dem Kriegspfad?« Ich sah ein wohl­bekanntes Glitzern in ihren grünen Augen. »Nun erzähl schon«, sagte sie.

      Und ich erzählte, wie ich den Toten gefunden hatte, be­richtete von meinem Gespräch mit Keller und dem selt­samen Verhalten der beiden Hubers.

      »Hast du sie allen Ernstes im Verdacht?«, fragte Sonja.

      Ich zuckte mit den Achseln.

      »Ich will einfach wissen, was passiert ist. Irgendwo müssen wir ja anfangen.«

      »Was wissen wir über die Hubers?«, fragte Sonja.

      Ich fuhr meinen Computer hoch und öffnete unsere in­terne und höchst geheime Datenbank, in der wir alle Fak­ten, vor allem aber Klatsch und Tratsch über bestehende und potenzielle Kunden sammeln.

      Ich druckte den Datensatz in zwei Exemplaren aus und gab eines davon Sonja. Sie hatte mittlerweile einen Ayurveda-Tee aufgegossen. Er schmeckte furchtbar.

      ***

      Fritz Huber war siebenundfünfzig Jahre alt geworden. Er stammte aus dem Dorf. Sozusagen