Jasmin Adam

Felsenmond


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Latifa, als ob die Frauen ihr lautes Geschnatter in der Küche immer unterbrachen, wenn sie hereinkam. Doch die Anwesenheit der Cousinen war eine solche Freude für sie, dass Latifa ihr Unbehagen schließlich verdrängte und sich ganz den beiden Schwestern widmete.

      Die Nachbarinnen waren kurz nach Hause gegangen, um sich umzuziehen. Die Gäste aus der Stadt hatten inzwischen ihre dünnen schwarzen Baltos abgelegt und schillerten plötzlich in leuchtend bunten Kleidern. Nun konnte auch Latifa sich nicht mehr vor dem Umziehen drücken. Eben überlegte sie noch, ob sie sich vielleicht von Aischa etwas ausleihen könne, da wurde das Problem der Kleiderwahl plötzlich auf überraschende Weise für sie gelöst.

      „Komm her, Latifa“, rief Tante Fatima sie zu sich, als sie gerade den Tee servierte. „Ich habe etwas für dich.“

      Damit drückte sie dem jungen Mädchen eine große Plastiktüte in die Hand, aus der ein Stück dunkelgrünen Stoffes herausschaute.

      „Bei Allah, was ist denn das? Ist das tatsächlich für mich? Oh, vielen Dank, liebe Tante!“, rief Latifa und wollte der Tante gleich noch einmal die Knie küssen, was diese aber abwehrte.

      Lachend sagte sie: „Gerne, meine Liebe! Und nun, meine Töchter, geht mit und helft Latifa, sich hübsch zu machen!“

      So schnell war Latifa noch nie in ihrem Zimmer gewesen! In der Tasche befand sich tatsächlich ein eigens für sie geschneidertes Kleid! Ob es auch passen würde? Kichernd drängten sich mit den beiden Cousinen noch mehrere jüngere Nachbarmädchen in die kleine Kammer. Latifa zog rasch ihr schwarzes Überkleid aus, unter dem sie wie immer noch ein T-Shirt und eine lange leichte Stoffhose trug.

      „Dein Vater hat uns gesagt, wie groß und schlank du bist, bestimmt wird es dir passen“, schnatterte Hanna fröhlich drauflos, während Sausan schon dabei war, den langen Reißverschluss in Latifas Rücken zu schließen.

      „Bei Allah, du siehst wunderschön aus“, sagte sie dann bewundernd zu dem Mädchen, das schüchtern und stolz zugleich an sich selbst hinuntersah. Das elegant bis auf den Boden fallende dunkelgrüne Kleid war mit zierlichen Ranken aus dünnen Silberfäden bestickt. Doch was Latifa erröten ließ, war das tief ausgeschnittene Dekolleté und die ärmellosen Träger. Wenn der Vater sie so sehen würde! So etwas konnte sie unmöglich tragen, sie war ja fast nackt! Latifa spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Was sollte sie nur tun?

      Doch Hanna und Sausan waren ganz in ihrem Element und schienen Latifas Verlegenheit nicht zu bemerken. Die eine zog ihr das Kopftuch aus und kämmte Latifas lange rötlich-schwarze Haare.

      „Wie schaffst du es nur, dass deine Haare so lang und dick sind?“, fragte Sausan. „Meine fallen ständig aus!“ Zum Beweis nahm sie ihr Tuch ab und öffnete den dicken Knoten, worauf sich ihre lange schwarze Mähne bis zum Gürtel ergoss. Nur vorne hatte sie einige Strähnen kürzer geschnitten und blond gefärbt.

      „Ach was, deine Haare sind doch viel schöner als meine!“, antwortete Latifa und versuchte zu lächeln. Doch dann platze es aus ihr heraus: „Oh, Sausan, dieses Kleid ist wirklich wunderschön, aber ich kann mich doch so nicht sehen lassen! Nicht wahr, Aischa?“, wandte sie sich Hilfe suchend an ihre Freundin, die gerade die Kammer betrat, und zeigte auf ihre nackten Arme.

      Aber Sausan lachte nur und schüttelte amüsiert den Kopf. „Ach was, in der Stadt ist das ganz normal! Die Männer sehen dich doch gar nicht. Aber keine Sorge, Cousinchen, ich habe hier noch ein Tuch vom gleichen Stoff, das kannst du dir um die Schultern legen.“ Triumphierend zog sie aus der Tüte eine breite grüne Schärpe, die Latifa dankbar annahm.

      Aischa betrachtete das Treiben schweigend. Als sie bemerkte, wie Sausan ein kleines Schminketui aus ihrer Handtasche nahm und sich Augen und Mund in kräftigen Farben zu schminken begann, fragte sie erstaunt: „Du trägst Lippenstift? Das dürfen bei uns nur die verheirateten Frauen.“

      „Ich weiß“, erwiderte Sausan und zwinkerte den Mädchen zu „aber zu besonderen Anlässen kann man wohl auch bei euch mal eine Ausnahme machen, oder? Die modernen Mädchen in der Stadt schminken sich alle. Die Alten fangen schon an, sich daran zu gewöhnen. Mama meckert inzwischen auch nicht mehr. Seitdem ich auf dem College bin, ist sie sowieso nur noch damit beschäftigt, mit mir anzugeben. Und inzwischen möchte sie selbst auch nicht mehr so altmodisch sein. Ich bin mal gespannt, ob sie womöglich noch auf die Idee kommt, Jeans zu tragen!“

      Hanna und Latifa prusteten los. Unvorstellbar, Tante Fatima mit ihrem mächtigen Busen und den breiten Hüften in Jeans!

      Aischa lächelte verhalten und blickte besorgt zu Latifa hinüber.

      Als sie wenig später zu viert mit einer Traube kleiner Mädchen im Schlepptau in das Frauenzimmer zurückgingen, fühlte sich Latifa doch wieder beklommen. Irgendetwas stimmte mit Aischa nicht. Außerdem war es Latifa fremd, so im Mittelpunkt zu stehen. Diese ganze Aufmerksamkeit war ihr unangenehm. Tatsächlich löste ihr Eintreten in dem nun schon wieder gut gefüllten Raum ein großes Aha aus. Sie musste sich vor der Tante nach allen Seiten drehen, und auch die fremde Frau, die, wie Latifa nun erstaunt bemerkte, ein Kleid aus dem gleichen Stoff und trotz ihrer Fülle sogar mit dem gleichen Schnitt trug, schien sehr zufrieden zu sein. Mit einer kurzen Handbewegung deutete diese nun einer neben ihr sitzenden Frau an, sich einen anderen Platz zu suchen und zog Latifa zu sich. „Komm her, mein Kind. Ja, so ist’s recht. Wie geht es dir?“

      „Allah sei gelobt!“, erwiderte Latifa verlegen. „Und dir?“

      „Allah sei gelobt. Ich freue mich, heute hier zu sein! Ich heiße übrigens Mariam. Dein Vater hat uns schon so viel von euch erzählt, Latifa. Er ist oft bei uns, wenn er in der Stadt ist. Mein Mann und er kennen sich schon lange und machen Geschäfte zusammen. Dein Vater ist wie ein Sohn für mich.“ Sie hielt kurz inne und fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Ach, weißt du, ich habe nur noch zwei Söhne. Mein ältester Sohn ist vor einem Jahr als Soldat im Bürgerkrieg gefallen. Diese verdammten Huthis, Allah möge sie strafen!“

      „Amen“, erwiderte Latifa leise. So etwas hörte sie nicht zum ersten Mal. Der Bürgerkrieg zwischen den sogenannten Huthi-Rebellen und den Regierungstruppen flackerte schon seit Jahren regelmäßig im Norden des Landes immer wieder auf und forderte auf beiden Seiten eine wachsende Zahl an Opfern. Doch ein Ende schien nicht absehbar.

      Latifa blickte die ältere Frau mitleidig an, aber ihre Gesprächspartnerin hatte sich nach einem tiefen Seufzer schnell wieder gefangen und legte ihre kräftige Hand auf Latifas Arm.

      „Du bist ein nettes Mädchen. Und deiner Mutter sicher eine große Hilfe. Die Arme! So viele kleine Kinder. Und sieht so dünn und schwach aus. Sicher nimmst du ihr viel Arbeit ab.“

      „Ja, ich helfe ihr gerne“, antwortete Latifa höflich, obwohl ihr die Bemerkung über ihre Mutter nicht gefiel. Ihre Mutter war zäh, unglaublich fleißig und alles andere als schwach! Aber, und das musste Latifa der Fremden zugutehalten, heute sah sie wirklich angegriffen aus.

      „Morgens hole ich das Wasser von der Quelle im Tal und gehe dann die Ziegen hüten“, begann Latifa zu erzählen. „Nach dem Mittagessen kümmere ich mich um das Geschirr und bereite den Brotteig für das Abendessen vor. Dann wasche ich die Wäsche und hole noch mal Wasser.“ Latifas Blick fiel aus dem Fenster auf die steilen Berghänge ringsum. „Ja und im Sommer machen wir natürlich alle zusammen Heu. Ach, es gibt wirklich immer etwas zu tun.“ Mariam nickte bedauernd und Latifa fühlte sich verpflichtet, hinzuzufügen: „Aber zwischendurch habe ich immer wieder mal Zeit, meine Freundin Aischa zu besuchen, sie wohnt direkt neben uns.“

      „Nun, da ist das Leben in der Stadt wesentlich einfacher“, erklärte Mariam mit wichtiger Miene. „Du wirst sicher bald einmal kommen und uns besuchen. Es wird dir bei uns gefallen!“

      „Oh“, erwiderte Latifa zweifelnd, „ich glaube nicht, dass der Vater mich mit in die Stadt nimmt, das hat er noch nie getan. Und Mutter wäre dann ja ganz alleine mit den Jungen. Die sind ihr keine Hilfe: Spielen nur mit der Steinschleuder herum und machen sich dreckig. Oder fangen Streit mit den Nachbarskindern an, wenn sie nicht gerade gemeinsam irgendeinen Unsinn aushecken!“ Latifa musste über ihre eigenen Worte lachen. Denn obgleich sie sich oft