Jasmin Adam

Felsenmond


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an den Wänden, die Rückenlehne bestand aus unzähligen bunten Kissen aus dem gleichen Stoff. Am Kopfende des schmalen langen Zimmers stand jedoch eine große Regalwand voll mit Büchern und CDs, ein ungewohnter Anblick. Und in einer Ecke des Zimmers lag eine dicke Decke auf dem Boden, und ein Korb mit buntem Spielzeug verriet, dass diese Kinder hier nicht nur mit alten Dosen spielten.

      Die beiden Mädchen hatten ihre Schuhe ausgezogen und sich gesetzt, während Sally in der Küche verschwunden war. Ihre kleine Tochter blieb im Türrahmen stehen und spähte ab und zu um die Ecke in das Zimmer hinein, um sich dann schnell wieder in den sicheren Flur zurückzuziehen. Die beiden Jemenitinnen hatten ihre Gesichtsschleier inzwischen gelüftet, und Sausan versuchte nun, mit dem zierlichen, etwa vierjährigen Mädchen zu schäkern.

      „Komm her, meine Süße“, sagte sie und streckte ihre Arme aus. Aber das Mädchen drehte sich schnell um und wäre fast in seine Mutter hineingerannt, die gerade mit dem Baby auf dem Arm ein Tablett mit Tee und Keksen hereinbalancierte.

      „Nochmals herzlich willkommen!“, sagte Sally, als sie alle saßen und an ihrem heißen süßen Tee nippten. „Ich freue mich sehr, dass ihr mich besucht. Ihr seid also Studentinnen meines Mannes? Ich hoffe, ihr könnt mich verstehen.“ Sally war eine kleine, etwas mollige Frau gegen Ende zwanzig. Sie hatte kastanienbraune, schulterlange Locken, braun-grüne blitzende Augen und ein warmes Lächeln.

      „Ja, doch“, antwortete Sausan, „wir sprechen zwar noch nicht so gut Englisch, aber wir möchten es gerne üben. Herzlich willkommen im Jemen! Wie lange wohnst du denn schon in unserer Stadt?“

      „Nun, in dieser Stadt sind wir erst seit drei Monaten“, erklärte Sally. „Aber vorher haben wir schon ein Jahr in Sana'a gelebt. Mein Mann hat dort Arabisch gelernt. Und ich habe es eigentlich auch versucht, bin aber nicht sehr weit gekommen. Diese beiden hier“, sagte sie mit einem lächelnden Blick auf die Kinder, die nun beide auf ihrem Schoß saßen und die Mutter kaum in Ruhe den Tee trinken ließen, „halten mich ganz schön auf Trab!“

      Nun ergriff Malika das Wort: „Wie gefällt dir denn der Jemen?“

      „Sehr gut“, erwiderte Sally. „Alle Leute sind hier sehr nett zu mir. Aber es ist leider recht schwer, wirklich Freunde zu finden, wenn man kein Arabisch spricht. Deshalb möchte ich die Sprache auch unbedingt lernen!“ Sie legte die Stirn in Falten und fügte dann zwinkernd hinzu: „Schweie, schweie – langsam, langsam, wie ihr so schön sagt!“

      Sausan lachte. „Oder yalla, yalla – schnell, schnell!“

      Nun lachte auch Sally. „Ja, wenn das nur so einfach wäre! Ich glaube, ich brauche dringend jemanden, mit dem ich mich regelmäßig treffe und der mir bei der Aussprache und dem Satzbau hilft. Ein Buch habe ich eigentlich, aber es liegt immer nur schön auf meinem Nachttisch und schaut mich vorwurfsvoll an. Schlimm ist das!“

      „Ach, das würde ich wirklich gerne machen“, ergriff Sausan die Gelegenheit. „Ich könnte doch ein-, zweimal in der Woche kommen und dir etwas beibringen. Dabei würde ich sogar noch besser Englisch lernen!“

      Sally freute sich sichtlich über das Angebot und wollte gleich Telefonnummern austauschen. Als Sausan ihr Handy aus der Tasche zog, um die neue Nummer einzuspeichern, sah sie, dass sie eine Sms erhalten hatte. Von Walid, ihrem Kommilitonen!

      Seit dem Tag, an dem er sie das erste Mal vor der Uni angesprochen hatte, standen die beiden regelmäßig miteinander in Kontakt, und während das Ganze für Sausan erst nur ein Spiel mit Nervenkitzel gewesen war, hatte sich nun längst mehr daraus entwickelt. In der Öffentlichkeit hatten sie zwar nur selten ein Wort gewechselt, aber trotzdem kannte Sausan Walid inzwischen besser als jeden anderen Mann, einschließlich ihres Bruders. So kam es ihr zumindest vor. Seinen ersten Anruf hatte sie erhalten, als sie gerade zu Hause mit ihrer Schwester in der Küche beschäftigt gewesen war. Sie war drangegangen, hatte jedoch sofort geantwortet, nein, einen Saleh gäbe es hier nicht, er müsse sich wohl verwählt haben, und hatte aufgelegt. Kurz darauf war sie in die Toilette verschwunden – den einzigen Ort, an dem man legitim einen Augenblick allein sein konnte – und hatte Walid eine Kurznachricht geschrieben, in der sie ihn bat, sie immer erst anzutexten und nur dann anzurufen, wenn sie ihm daraufhin grünes Licht erteile. Dann hatte sie sich die Nummer gut eingeprägt und sowohl seinen Anruf als auch ihre Mitteilung sofort aus dem Verzeichnis gelöscht. Während sich die ersten Anrufe tatsächlich nur um unispezifische Fragen gedreht hatten, begannen beide doch bald, sich gegenseitig von ihren Familien und deren Problemen zu erzählen, und das wiederum führte dazu, dass sie sich über ihre eigenen Frustrationen und Hoffnungen austauschten. Für Sausan war das absolutes Neuland. Noch nie hatte sie mit jemandem so offen geredet, denn wenn man etwas von sich preisgab, war das Risiko groß, dass es irgendwann gegen einen verwendet werden würde. Aber mit Walid war ihr nun ein Mensch begegnet, der selbst eine ähnliche Verzweiflung wie sie im Herzen trug und hinter seinem zurückhaltenden Wesen eine Fülle von Gedanken und Träumen, aber auch Ängsten und Sorgen verbarg, die Sausan nur allzu vertraut waren.

      Oft hatte Sausan abgewartet, bis ihre Schwester und ihre Eltern eingeschlafen waren, und war dann leise in die Küche geschlichen, um Walid zu schreiben, er könne jetzt anrufen. Und dann hatte sie in eine Decke gewickelt auf dem kalten Küchenfußboden gesessen, eine Schale Bohnenbrei vor sich, als Alibi, falls doch mal jemand aufwachen und sich über ihre Anwesenheit in der Küche wundern sollte. Leise flüsternd hatte sie mit Walid über Großes und Kleines geredet, gelacht, geseufzt und manchmal mit ihm geschwiegen. Wenn er sich einige Tage nicht meldete, wurde sie sofort unruhig, konnte sich kaum mehr konzentrieren und schaute ständig auf ihrem Handy nach, ob sie nicht doch eine Sms erhalten habe. Das war schließlich ihrem Bruder bei einem seiner Besuche am Wochenende aufgefallen. Er hatte ihr daraufhin das Handy weggenommen und sämtliche Funktionen und Verzeichnisse durchgeklickt, um zu sehen, ob er etwas Verdächtiges entdecken würde.

      Faisal, Sausans großer Bruder, besuchte in Sana' a die Militärakademie, worauf seine Eltern sehr stolz waren. Seitdem er nicht mehr zu Hause wohnte, war er seinen Schwestern gegenüber aber noch misstrauischer geworden und versuchte sie durch Einschüchterungen zu kontrollieren. Außerdem erwartete er bei seinen Besuchen nicht nur, von Kopf bis Fuß bedient zu werden, sondern kritisierte auch ständig das Verhalten der Mädchen, ihre Kochkünste, ihre Kleidung, sogar ihre Art zu lachen. Und wann immer sich eine Gelegenheit bot, betonte er, dass er nichts vom Studieren seiner Schwester halte, denn dadurch käme sie nur unnötig in Kontakt mit Männern.

      Auch Sausans Handy war ihm schon lange ein Dorn im Auge. Sausan hatte innerlich gezittert, als er ihr Handy untersuchte, sich äußerlich aber gelassen gegeben. Und tatsächlich hatte Faisal nichts Verdächtiges gefunden, denn im Löschen der Kontakte zu Walid war sie immer sehr konsequent gewesen. Wenn es ihr auch manchmal enorm schwergefallen war, vor allem, wenn er ihr ein paar selbst gedichtete Zeilen geschickt hatte.

      Als Sausan jetzt sah, dass sie eine Nachricht erhalten hatte, blieb sie noch einige Minuten sitzen, bat dann jedoch, die Toilette benutzen zu dürfen. Die kleine Tochter von Sally war inzwischen etwas aufgetaut und zeigte ihr bereitwillig den Weg. Sausan staunte, als sie das Badezimmer betrat. Hier gab es eine richtige Badewanne und einen seltsamen Stuhl aus Keramik, dafür aber kein Stehklo. Und in einem Regal standen bunte Flaschen und Dosen mit den verschiedensten Cremes und Lotionen. Überhaupt war die Toilette so eingerichtet, dass man es sich gerne hier gemütlich machen würde. Sogar ein Bild hing an der Wand! Wie komisch, dachte Sausan, denn sie war es gewohnt, beim Eintritt in das Bad immer eine religiöse Beschwörungsformel als Schutz gegen die dort hausenden Dämonen zu sprechen und darauf zu achten, stets mit dem richtigen Fuß zuerst hinein- und hinauszugehen. Nun, soziologische Überlegungen waren jetzt zweitrangig, Sausan wollte wissen, was in der Sms stand. Walid schrieb nur eine kurze Zeile, er habe ein großes Problem und müsse unbedingt so bald wie möglich mit ihr reden. Sausan löschte die Nachricht, klappte das Handy zu und ging zurück zu den anderen.

      Eine halbe Stunde später befand sie sich mit Malika zusammen auf dem Heimweg. Als Sausan in den Diwan zurückgekehrt war, hatten Malika und Sally sich tatsächlich in einem Gespräch über religiöse Fragen befunden! Malika hatte Sally davon überzeugen wollen, dass die Bibel von den frühen Christen verfälscht worden sei und Allah seine Botschaft deshalb noch einmal in Form des