Maximilian Christis

homo connectus


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      Inhaltsverzeichnis

        Prolog

        Erwachen

        Den Alltag revolutionieren

        Transparenz für alle

        Alternativlos

        Freiheit und Sicherheit

        Des Menschen Freund und Helfer

        Auf dem Weg in eine neue Zukunft

        Erleuchtung und Fortschritt

        Glück

        Erwachen

        Epilog

        Danksagung

       Impressum neobooks

      Der Herr im Anzug räusperte sich, als er auf die Bühne trat. Sein imposantes Aussehen, die vorbereitete Rede, seine gewichtige Miene - irgendwie fehl am Platz. Und das, wo er eine Revolution zu verkünden hatte, welche die Welt in ihren Grundfesten erschüttern und ein neues Zeitalter einläuten sollte! Bei diesem Gedanken schoss sein Kinn gleich noch ein paar Millimeter in die Höhe, um anschließend ein wenig ernüchtert wieder zu sinken, während er seinen Blick über die Versammlung schweifen ließ. So hatten sich das die Denker und Idealisten der vergangenen Jahrhunderte wohl nicht vorgestellt. Vor zweihundert gelangweilten Leuten, die das Projekt sowieso schon in- und auswendig kannten, eine Rede zu halten, die weltweit an Menschen vor Bildschirmen aller Größen und Arten übertragen wurde… von einem jubelnden Volk konnte hier nicht die Rede sein. Aber genug davon, die Leute warteten schon, wenn auch eher auf das kalte Buffet nach der Ansprache.

      “Meine sehr verehrten Damen und Herren. Liebe Zuhörer.

      Ich übertreibe nicht, wenn ich hier und jetzt den Anbruch eines neuen Zeitalters für die Menschheit verkünde.”

      Das hatte hoffentlich genug gesessen, um die Menschen für einen Moment von dem, was sie gerade sonst noch schauten, abzulenken. Wobei das zu bezweifeln war - Revolutionen wurden ja jeden Tag irgendwelche verkündet, besonders gerne in den Schlagzeilen der Massenmedien.

      “Lange haben wir auf dieses Zeitalter gewartet, ein Zeitalter, das die Träume und Ideen der kühnsten Idealisten unserer Geschichte Wirklichkeit werden lässt. Wir nähern uns einer Utopie, einem Sieg der Menschheit über Leid und Ungleichheit. Wir befinden uns auf dem Weg in eine neue Zukunft. Dieser Weg beginnt mit der bahnbrechendsten Erfindung der Menschheitsgeschichte -”

      Eine erwartungsvolle Pause, in der die Begleiter des Mannes ihre “Wilder Applaus”-Schilder hoben.

      “- dem Zentralrechner!”

      Der Saal brach in fanatisches Jubeln aus. Manche der Zuhörer meinten das bestimmt vollkommen ernst, bei der ganzen Arbeit, die sie für dieses Projekt geleistet hatten. Der Mann wartete, bis die Leute sich einigermaßen beruhigten, was geschah, sobald seine Begleiter die “Beruhigen”-Schilder hochhielten.

      “Der Zentralrechner ist nichts weniger als das, was sein Name verspricht. Mit seiner künstlichen Intelligenz und seiner unbändigen Rechenkapazität ist er bestens gerüstet, alle Aufgaben, die ihm unsere Existenz bereitet, von Versorgung über Entscheidungsfindung bis zur Planentwicklung und Koordination, optimal zu lösen. Dieses Gerät, meine Damen und Herren, wird, während es Milliarden von Fahrzeugen auf der ganzen Welt vom Paketroboter über Ihr Auto bis hin zum Ozeanfrachter steuert, mehr Unterhaltung produziert, als Sie in Ihrem ganzen Leben konsumieren können, oder auf der anderen Seite der Erdkugel ein Fusionskraftwerk vor dem Zusammenbruch bewahrt, noch Zeit finden, um Ihre Toilette zu spülen!”

      Die zweihundert Leute im Saal erwachten auf ein Zeichen der Begleiter hin aus ihrem Halbschlaf und brachen in schallendes Gelächter aus, während die Hälfte von ihnen wohl nicht einmal den Bandwurmsatz entschlüsselt hatte. Loyal waren sie allemal.

      “Alle Aufgaben aufzuzählen, würde den Rahmen dieser Rede und wohl auch den meiner fünfzig-Stunden-Woche sprengen. Ich darf also abkürzen: Diese Maschine wird den Alltag revolutionieren. Man könnte nun Bedenken einbringen. Man könnte sagen: ‘Aber was, wenn der Rechner seine Macht missbraucht? Er könnte uns mit einem Rechenbefehl auslöschen!’. In vergangenen Zeiten eine berechtigte Kritik, man erinnere sich nur an die zahllosen Experimente, in denen künstliche Intelligenzen sich letztendlich gegen den Fortbestand der Menschheit aussprachen. Aber diese Zeiten sind vergangen, und das System, das wir aus den Erfahrungen dieser Experimente entwickelt haben, ist idiotensicher! Der Zentralrechner hat als einziges, ewiges und verbindliches Ziel Erleuchtung und Fortschritt der Menschheit.”

      Der Mann beobachtete, wie manche Leute im Saal von ihren Sitznachbarn ein anerkennendes Schulterklopfen erhielten. Ja, sie hatten ganze Arbeit geleistet, ihren Zentralrechner davon zu überzeugen, dass die Menschheit fortbestehen und sich entwickeln musste. Diesbezüglich war er sich manchmal selbst nicht sicher.

      “Das mag hochtrabend klingen, und das ist es auch. Im Grunde genommen wird der Zentralrechner einfach des Menschen Freund und Helfer sein. Die tragende Säule einer Gesellschaft, in der jeder absolute Freiheit und Sicherheit genießt.”

      So hatte man also den Widerspruch von Freiheit und Sicherheit aufgelöst. Einfach solchen Überfluss erzeugen, dass niemand mehr die Sicherheit des anderen gefährden musste, um sich alle Freiheiten der Welt zu nehmen. Ein pragmatischer Ansatz. Die Innovationsfreude des Rechners, seine ständige Selbstentwicklung und seine unglaubliche Verteilungskompetenz ließen es zu. Wie viele Menschen wohl noch geboren werden mussten, bevor der Rechner auch nur annähernd ins Schwitzen kam? Der Mann konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen.

      “Sie alle können an diesem Glück teilhaben. Lassen Sie sich demnächst in der nächstgelegenen neurochirurgischen Klinik einen Termin geben, um kostenfrei Ihr eigenes Gehirnimplantat zu erhalten. Vergessen Sie Smartphones oder Ihre Virtual-Reality-Geräte. Mit dem Implantat ist alles, was Sie brauchen, in Ihrem Kopf. Der Zentralrechner nimmt Ihre Gedankenbefehle entgegen und hält sich aus dem Rest brav heraus. Das Einzige, was er an Ihnen beeinflussen kann, sind Ihre Seh- und Hörnerven! Und das reicht vollkommen, um Ihnen die beste virtuelle Erfahrung zu bieten, die Sie sich vorstellen können.”

      Der Mann selbst hatte eigentlich keine Lust, ständig irgendwelche Fenster aus seinem Sichtfeld zu verscheuchen und nicht existente Geräusche wahrzunehmen. Aber er war schon alt. Die Jugend würde sich schnell daran gewöhnen. Seine Kinder kannten sich ja jetzt schon auf diesen ganzen Geräten besser aus als er, ein Implantat würde da auch keine große Hürde mehr sei, wenn sie erst mal erwachsen waren.

      “Die neue Zukunft, zu der wir aufbrechen, wird ferner lückenlos dokumentiert sein. Jede Interaktion wird der Rechner in seinem Speicher festhalten, um so das größte, interessanteste und vollständigste Geschichtsbuch der Geschichte zu schreiben! All diese Daten sind für jedermann abrufbar. Transparenz für alle - niemand hat etwas zu verheimlichen.”

      Das