Edda Blesgen

Nächtliche Besuche bei Stefan Sternenstaub


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Eule heult. Lauert ein Räuber hinter der Tanne? Verstecken sich Kobolde im Gestrüpp? Sind das Bäume oder Riesen, die mit gefransten Zweigarmen nach ihm greifen? Wird es vom Geisterfressenden Würgegrusel verfolgt? Das Gespenstchen hat zwar bisher nie von ihm gehört, doch im selben Augenblick, in dem es ihn in Gedanken erschafft, beginnt es sich vor ihm zu fürchten. Es zittert.

      Der Mond geht auf. Weißes Mondlicht auf weißverschneiten Bäumen, schwarze Schatten, und in dieser weiß-schwarzen Welt ein einsames Nebelgeistchen.

      „Vielleicht sollte ich meine Farbe wechseln. Das wird mich ablenken und ich grusele mich dann nicht mehr so.“

      Es öffnet seinen Malkasten. Welchen Ton soll es wählen? Gold - nein, das ist etwas für ganz besonders festliche Anlässe. - Lila? Bei dieser Dunkelheit würde man es kaum von einem schwarzen Schatten unterscheiden können. Schließlich entscheidet das Gespenstchen sich für grasgrün. Der Bach ist noch nicht vereist; es schöpft ein wenig Wasser mit der hohlen Hand, löst die Farbe darin auf und trinkt. Nur schade, es hat keinen Spiegel, um sich darin zu betrachten. Meine spukenden Kollegen werden sich wundern, wenn ich so schick bei ihnen ankomme, denkt es stolz.

      Die Gespenster wundern sich nicht nur, sie erschrecken fürchterlich. Dieser grasgrüne Geist, der über den weißen Schnee der Waldlichtung dahergeschwebt kommt, ist ihnen entsetzlich unheimlich. Sie jaulen laut auf, fliehen in die alten Gemäuer, jagen hin und her, suchen nach einem Versteck und wimmern herzzerreißend.

      Und unsere kleine Spukgestalt? Geister haben bekanntlich kein Blut, das gefrieren kann, und keine Haare, die ihnen zu Berge stehen können, sonst wäre genau das passiert. Dieses fürchterliche Heulen und Winseln versetzen das Gespenst in Panik. Es eilt davon, zurück durch den dunklen Wald, wie von tausend Schatten gehetzt. Den Koffer mit der Taschenlampe und dem Farbkasten fest umklammernd stürzt es am Hof des Bauern Obersauer vorbei, durch die Straßen von Kleinmeindorf und reißt atemlos die Tür zur Wohnung des Nachtwächters auf. Dieser hockt recht einsam am Tisch und spielt allein Mensch-ärgere-dich-nicht. Wie ist er froh, als das Gespenst hereinkommt.

      Später sitzen sie wieder beisammen und trinken Glühwein und Himbeersaft. Mützenkater hat vom Dach aus das Gespenst vorbeihetzen sehen und ist neugierig hinzugekommen; er nippt an einem Schälchen Milch. Von der ausgestandenen Angst sieht das Spuknebelchen kreideweiß erbleicht aus, die grasgrüne Farbe ist total verschwunden. Selbst das Erzählen seines Abenteuers lässt es noch zittern und schlottern.

      „Wahrscheinlich waren es, wie du Nachtwächter auch bereits vermutet hast, die Geister von Ritter Klaus vom Großen Kloß und seinen Kumpanen. Doch am schlimmsten heulte der Geistergreifende Würgegrusel, der übelste Geselle von allen Unwesen.“

      „Wer ist das?“ wollen seine beiden Freunde wissen.

      „Ich habe ihn mir ausgedacht und seitdem gibt es ihn. Ihn muss man mehr fürchten als alle Gespenster zusammen, denn er ist ein Dämon. Dabei hätte ich mich so gerne umgeschaut, wenn mir nur nicht so gruselig gewesen wäre. Irgendwie sah es dort nämlich so vertraut aus. Plötzlich erinnerte ich mich an die Zeit, als die Burg noch nicht zerstört, als Ruine, dastand, sondern mächtig und stark den Feinden trotzte. Selbst das Innere des Gemäuers konnte ich mir vorstellen, hätte mühelos Rittersaal, Küche, Waffenkammer und Schlafgemächer gefunden. Vielleicht habe ich einst - vor drei- oder vierhundert Jahren, so genau weiß ich das nicht mehr - dort gelebt.“

      „Bist du etwa der Ritter Klaus vom Großen Kloß?“, fragt Mützenkater. „Im Wald, das wären dann deine Kumpanen, die ihr Heulen zu deiner Begrüßung angestimmt haben.“

      Jetzt ist das Gespenst entrüstet. „Glaubst du etwa, ich wäre so ein Bösewicht. Nein, ich irre nicht wegen irgendwelcher Untaten als Geist umher, sondern weil ich noch eine Aufgabe zu erfüllen habe. Aber welche?“ - Dann fällt ihm etwas Anderes ein: „Muss ich dir die Taschenlampe und den Malkasten zurückgeben?“, fragt es kleinlaut den Nachtwächter. „Es waren doch Abschiedsgeschenke und ich bin gar nicht lange fortgeblieben?“

      „Du darfst sie selbstverständlich behalten“, sagt Stefan Sternenstaub.

      Das tröstet den Geist ein wenig. „Einmal, irgendwann, gehe ich zurück zur Burgruine und dann bringe ich dir die Goldmünzen“, verspricht es.

      „Lass nur, wer weiß, ob überhaupt welche da sind.“

      Das Spuknebelchen atmet auf. Es hat nämlich gar keine Lust, noch einmal in den Wald mit den fransenarmigen Tannenriesen, dem Geisterfressenden Würgegrusel und den unheimlich jaulenden Gespenstern zurückzukehren.

      Quirin Qantler-Binder, der Bastler und Erfinder

      Mützenkater tritt kichernd ein: „Stell dir vor, Herr Balthasar Dromedar hat mir einen Job in seiner Fabrik angeboten.“

      „Einen Job?“ fragt Stefan Sternenstaub erstaunt.

      „Ja, ich begegnete ihm soeben im Hof. Er hatte wieder einmal Überstunden gemacht. ‚Willst du nicht als Mäusejäger in meiner Fabrik tätig sein?’ fragte er. ‚Als Lohn biete ich dir einen lebenslänglichen warmen Schlafplatz in den Werkshallen und täglich ein Schüsselchen Milch.’ Selbstverständlich kommt das nicht in Frage; ich kann keiner Maus etwas zuleide tun und - als überzeugter Vegetarier - erst recht keine auffressen.“

      Wenig später kommt das Gespenst hereingestolpert. „Überall auf den Bürgersteigen stößt man sich an altem Plunder. Da stehen Stühle mit drei Beinen, Sessel, aus denen die Sprungfedern hervorschauen; einen verrosteten Rasenmäher habe ich gesehen, eine durchlöcherte Zinkbadewanne, in der ich vorgestern noch auf dem Dachboden der Apotheke geschlafen habe. Auch vor deiner Tür häuft sich Trödelkram“, nörgelt das Gespenst, „ein Radio ...“

      „Es ist defekt“, unterbricht Stefan Sternenstaub. „Morgen wird der Sperrmüll abgeholt. Darum haben wir Kleinmeindorfer Keller und Speicher entrümpelt.“

      „Zum Glück übertagte ich in einer Gartenlaube, die jetzt im Winter niemand betritt. Stell dir vor, man hätte mich in der leeren Komposttonne entdeckt.“

      „Morgen früh, wenn du zu deinem Quartier schwebst, wird der größte Teil der alten Sachen bereits verschwunden sein. Der Sperrmüllwagen startet zwar erst gegen neun Uhr, doch vorher hat schon Quirin Quantler-Binder, der Bastler und Erfinder aus der Frühlingsduftstraße, so viel wie möglich in sein Haus geschleppt. Er sammelt alles, um daraus Neues zusammenzusetzen. Eines Tages, so glaubt er, wird er etwas ganz Tolles, noch nie Dagewesenes, herstellen, das ihn über Nacht berühmt macht. Einmal war es fast soweit, behauptet er jedenfalls. Aber ich weiß nicht recht, ob er wirklich das Pulver Machunsichtbar aus Tapetenkleister, Wäscheweichspüler, Nagellackentferner, Rheumasalbe, einem fast vertrockneten Rest meiner königsblauen Tinte und zwei oder drei Geheimnissen zusammengerührt oder ob er uns nur alle an der Nase herumgeführt hat.“

      „Erzählst du uns davon?“ bettelt das Gespenst.

      „Ich liebe Geschichten“, schnurrt Mützenkater.

      „Also gut“, sagt Stefan Sternenstaub.

       Quirin Qantler-Binder, der Bastler und Erfinder

      

       unterrichtete bis vor drei Jahren Chemie, Zeichnen und Werken am Gymnasium in Großkloßmoos. Seitdem er pensioniert ist, hat er viel Zeit für seine Hobbys. Er bast und erfindet leidenschaftlich gern. Ab und zu schließt er sich in seinem Haus ein. Tagelang sieht man ihn nicht.

      „Ich habe etwas Tolles ausgetüftelt“, sagte er einmal, als er wieder auftauchte.

       Ohle Sohlenmuster, der Schuster, der gleich neben ihm wohnt, wollte es ganz genau wissen. „Was ist es denn diesmal?“

       Quirin Quantler-Binder tat geheimnisvoll.