Stefan Frank

Der Kontrakt des Söldners


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      Egal: Auf Torcellos erstem Bischofsthron, vulgo „Sede di Attila“, auf diesem unkippbaren Stuhl hockten einträchtig beisammen der Inselhund Dingo und – eine getigerte Katze. Das Alter, dachte Zett kopfschüttelnd mit jäh aufsteigender und diesmal ganz ziviler Furcht, so muss das Alter sein!

      Hinter Santa Maria Assunta umfingen ihn wattige Stille und ein Haufen Müll, rings um den Hinterreifen eines Traktors. Der Unterschied betrug nur wenige Meter, doch fast nie verirrten sich Touristen in diese verwunschene Lagunenlandschaft, deren einzelne Bestandteile nichts hermachten, in ihrer Komposition jedoch überwältigend wirkten. Matschige Wiese. Eine menschenleere öffentliche Fondamenta, frisch gepflastert mit istrischem Bruchstein. Der private Anleger aus Holz mit einer Gittertür, die beim ersten Schubs gut geölt aufschwang. Fünf, sechs hohl klingende Schritte. Zett bedauerte, kein Maler zu sein. Vor ihm lag die völlig unbewegte Wasserfläche eines breiten Kanals. Obwohl, ganz still war sie auch wieder nicht, denn am anderen Ufer ragte ein Strommast kerzengerade empor, während das Wasser ihn gekräuselt spiegelte. Je weiter der Blick aber nach rechts schweifte, spätestens beim ersten Reusengestänge, war das Wasser einfach nur noch glatt und zeichnete ein perfektes Abbild der schiefen, krummen Holzstangen und der herbstlichen Baumgruppe, die jeden ferneren Blick versperrte. Mitten im Kanal spielte sich ein Ölfilm als Regenbogen auf, doch wenn man wie Zett nach rechts blickte, stur nach rechts, dann wurde dieses Eiland magisch, denn was an Land vergilbt und rostbraun an den Bäumen hing, das Herbstlaub vor dem Blätterfall, spiegelte sich im überdüngten Kanalwasser saftig grün, wie der junge Frühling, gerahmt vom knorrigen Totholz der Reusenstangen.

      Das Wummern eines starken Bootsmotors, der sehr gedrosselt fuhr, näherte sich, und als Zett das Gefährt sah, bekam die Paranoia sofort wieder Futter: Viel zu kleines Boot für den mächtigen Motor! Der Motor fünfmal so viel wert, wie das Boot. Im Bug ovale Vertiefungen: Schächte! Zett hatte sowas auf dem Rio Magdalena in Kolumbien gesehen oder später am Mittellauf des Kongo, bei der Flussvilla eines lokalen Warlords, der das Edelholz ganzer Urwälder verschob. Mit dem hatte Zetts Libanese einen Deal gehabt. Pro Holzfrachter wurde in Monrovia ein Beutel Diamanten abgezweigt, persönlich für den Libanesen, ohne Hisbollah zu beteiligen.

      Die sahen nach nichts aus, solche Boote, rammten sich aber problemlos den Weg durch schwimmende Baumstämme. Oder sie überstanden einen Sturm drei Seemeilen vor der Küste. Und die zerkratzten Ovale im Rumpf, das waren Klappen, die bei Bedarf aufplatzten um Schnellfeuerläufe zu entblößen. Manchmal auch schlanke Raketen.

      Dieses Teil hier auf Torcello hatte man heruntergeschminkt bis auf den Charme eines verbeulten Fischkutters. Trotzdem musste man schon Eier haben, um so etwas durch die Adria zu steuern. Während der Balkankriege hatten Schnellboote der Zigarettenmafia, die im albanischen Durres die Marken Kent und Winston fälschte, unter der Persenning am Bug vielleicht ein MG aufgebockt, aber das war auch schon alles. Mehr hatte sich nie jemand getraut. Ein Boot, wie es hier sanft herabglitt, im Mittelmeer zu fahren, deutete entweder auf einen kompletten Schwachkopf hin oder auf einen Eigner, den jede NATO-Marine kannte, ohne ihn je in die Zieloptik zu nehmen.

      Im Cockpit saß eine Frau. Zett war sicher, er würde höchstens einen Quadratzentimeter milchweißes Panzerglas produzieren, wenn er auf sie schoss. Sie stoppte präzis am Anleger, ohne die Lupa Cinque zu vertäuen. Hinter ihr wuchtete sich ein sonderbarer Mensch aus dem Ledersessel, dessen Fuß im Kabinenboden verschraubt war. Der Mann warf der Bootsführerin den Schnellhefter hin, in dem er gelesen hatte:

      „Neue Konten für die gemarkerten Stellen, Frau Peeters!“ Sie nickte, machte Anstalten, ihre Uzi unter der Lederjacke zu verstauen, doch der Merkwürdige sagte barsch: „Danke, Frau Peeters, die neuen Konten bitte gleich“, womit er an Deck stieg und überraschend leichtfüßig auf den Anleger sprang. „Ich brauche hier keinen Bodyguard, oder was meinen Sie, Herr Doktor Zett?“

      Zett, auf Deutsch angesprochen, verneinte auf Deutsch.

      „Das ist aber lieb, dass Sie an meine Zahnpasta gedacht haben!“ Der Merkwürdige warf die Tube ins Cockpit. Peeters fing sie auf. „Unseren Privatdruck mit dem Ursulazyklus bitte, Frau Peeters!“ Sie reichte ihrem Chef einen Prachtband – goldgeprägte Lettern auf rotem Leinen, den der Merkwürdige sogleich an Zett weitergab. »Der Ursulalegendenzyklus des Vittore Carpaccio in der Accademia zu Venedig«. „Besten Dank Frau Peeters! Und passen Sie auf, dass niemand unser Bötchen klaut!“

      Zett war nicht ganz sicher, doch er glaubte, von ihren Lippen ein „Arschloch!“ zu lesen, bevor die Tür der Kanzel zuschlug – oder eben nicht, weil die Frau das mit einem Vorschnellen ihres Fußes verhinderte. Ein Spalt blieb offen, was dem Chef scheinbar entging.

      Trotz des ruppigen Umgangstons glaubte Zett, dass die Frau sich für diesen Mann notfalls in Fetzen schießen lassen würde. Offenbar wusste das Arschloch ihre Loyalität gar nicht zu schätzen. Zett fand ihn ekelhaft. Ein breitschultriger Mann, der an der Brust früher wahrscheinlich Muskeln gehabt hatte, inzwischen aber Brüste. Bauch, mächtig viel Bauch und Arme, die ein bisschen Hanteltraining verrieten ... nichts, was man nicht mit einem Schlag an den Kehlkopf erledigen konnte. Und doch – dieses Gesicht: Zett wusste aus eigener Erfahrung, wie sich Operationsnarben im Gesicht entwickelten. Entweder hatte auch dieser Mann einmal sein Aussehen chirurgisch verändern müssen und war dabei einem Metzger in die Hände gefallen oder ihn hatte etwas Böses, ungemein Feindseliges im Gesicht getroffen. Und so etwas zu überleben – das wiederum nötigte Zett Respekt ab.

      „Herr Doktor Zett, nachdem Frau Peeters uns nicht länger stört und nachdem Sie nun freier Publizist sind und ... Kunsthistoriker ... und außerdem ein Junge vom Kölner Eigelstein ...“, er lachte leise und dreckig. Das Hängebauchschwein kicherte. Zett hätte ihm ohne weiteres einen Finger zwischen den Rippen ins Herz bohren können, aber das Schwein gluckste unverschämt, wohl wissend, dass Zett weder Doktor war, noch vom Eigelstein stammte, auch wenn er inzwischen dort wohnte. Dort hatten sie ihm schließlich die zweieinhalbtausend Euro unter der Wohnungstüre durchgeschoben. Der mutmaßliche Geldgeber spielte Theater. Aber für wen? Wohl kaum für Zett, der alles besser wusste, angefangen beim Eigelstein. Von der Doktorarbeit ganz zu schweigen. Also spielte der Merkwürdige Theater für die Frau hinter der spaltweit offenen Kabinentür. Er hatte folglich durchaus mitgekriegt, dass die Tür nicht ins Schloss gefallen war und wartete jetzt ebenso wie Zett auf die Reaktion der Lauscherin. „Mein Name ist Bucholtz“, fuhr er fort, „und Sie, mein lieber Doktor Zett, als Kind vom Kölner Eigelstein, kennen natürlich die Ursulalegende in- und auswendig.“ Offenbar war er hochmütig weit jenseits aller Selbstkritik. „Diese Legende wird Ihr erster Einsatz. Sie setzen den Schlussstein in die Arbeit meines armen Freundes Richard Lank. Keine ganz ungefährliche Aufgabe übrigens, aber dafür engagiert man schließlich Söldner. Vor einem Jahr lief Richard noch den Halbmarathon. Dann hat man schlecht auf ihn gezielt. Heute sitzt er im Rollstuhl. So kann’s gehen. Oder rollen, wie man’s nimmt. Also passen Sie gut auf sich auf!“

      Dingo und seine Katze waren ihnen entgegengekommen und spielten Verstecken in dem mächtig profilierten Hinterreifen des Traktors.

      „Das Leben bringt merkwürdige Paarungen hervor, nicht wahr?“, fragte Bucholtz. Er reckte sich und wirkte nun, als liefe er normalerweise gestaucht umher. Mit begradigtem Rücken gewann er einen knappen Viertelmeter Körpergröße hinzu. Das Hängebauchschwein bekam plötzlich die Konturen eines ziemlich bulligen Kerls.

      Zett nickte erlöst – definitiv nicht Hisbollah! Aber diesem Arschloch den Gefallen tun, ihm zuzustimmen, um sich dann hochnäsig abkanzeln zu lassen – ausgeschlossen! Da fragte er doch lieber: „Was sollte das Theater gerade an der offenen Kabinentür?“

      „Ach, das!“, sagte Bucholtz wegwerfend. „Das war für Peeters. Sie ist ein raffiniertes Biest. Jetzt sind wir erstmal wieder quitt.“

      „Trotzdem lassen Sie sich von ihr bewachen.“

      „Stimmt!“

      ...

      Stimmt? ... Hallo? ... Kam da noch was?

      Kein Wort kam da.

      Der Mann erklärte nur, was er erklären wollte.

      Bucholtz schmunzelte. „Nicht böse sein! Aber Willem Cloerkes