Stefan Frank

Der Kontrakt des Söldners


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Köln. Und nun werden diesem barbarischen Hunnenheer elftausend Jungfrauen avisiert, durch Vertraute in Rom. Was denkt das Heer?“

      „Ich fürchte: Massenvergewaltigung!“, sagte Zett.

      „Das ist wohl leider so in der realen Welt. Doch nicht in der Legende. Da sorgen sich die Verbündeten in Rom und die Hunnen in Köln um die Ausbreitung des Christentums. Huuh, da kommen unbewaffnete Jungfrauen und wollen uns Kriegern die rauen Sitten abgewöhnen! Schreckliche Bedrohung! Und darum hält sich niemand mit Vergewaltigung auf, sondern man schreitet direkt zum Mord ...“

      „Mit einer Ausnahme“, fiel ihm Zett ins Wort. „Ursula selbst kriegt den Antrag vom Sohn des Hunnenchefs ...“

      „In den »Legenda Aurea« vom Hunnenchef persönlich“, korrigierte Bucholtz.

      „Jedenfalls lehnt sie ab und teilt das Schicksal ihrer Jungfrauen und des Papstes und ihres Verlobten, der ihr entgegen gereist ist.“

      „Genau“, sagte Bucholtz. „Übrigens – Chapeau!“

      Hinter ihnen gellte ein Pfiff. Als sie sich umblickten, zeigte die Wache auf einen Butler im schwarzen Frack, der sich durch das kniehohe Gras der Salzwiese kämpfte, die zwischen ihnen und der imposanten Villa lag, einen halben Kilometer meerwärts. Der Diener balancierte ein Tablett.

      „Oh weh“, seufzte Bucholtz. „Das ist mir jetzt ein bisschen peinlich.“

      „Wieso?“

      „Wir haben diesen Leuten mal einen Gefallen getan, vor etlichen hundert Jahren. Seitdem huldigen sie uns als ihren Lehensherren.“

      In Zetts Gehirn brannten ein paar Sicherungen durch, aber bevor es knallte, war der Butler mit dem Silbertablett bei ihnen. „Zur Stunde der Ombra vielleicht einen kleinen Weißen für Sie Successore und Ihren Freund?“

      „Vielen Dank, aber das ist doch nicht nötig.“ Bucholtz wirkte tatsächlich verlegen. „Bügeln Sie nur gleich die Hosenbeine wieder trocken, Pietro, sonst erkälten Sie sich noch. Die Salzwiesen sind feucht, so spät im Jahr.“

      „So Gott will, bald nicht mehr“, strahlte der Butler. „In elf Jahren machen die Schotte zwischen den Lidi dicht.“

      „Zu viel Berlusconi-TV“, seufzte Bucholtz. „Dabei hatte ich Ihnen zum Geburtstag ein Buch über das Mosesprojekt geschenkt.“

      „Zwei Bücher, Successore!“

      „Richtig, ist doch gar nicht so schwer zu verstehen: Wenn Moses kommt, gibt es keine Überschwemmung mehr – aber die Frage ist, mein Lieber, ob Ebbe und Flut dann noch genügend Wasser durch unsere tausend Kanäle schieben. Wir brauchen den Wasseraustausch. Und den garantiert uns kein Professor vom MIT. Prost!“, sagte er.

      Zett schnupperte an seinem Wein. Er roch feuchtes Gras und Salz und Meer und Fisch, Schießpulver, uralten Stein, Gummi, Brackwasser unter Ölschlieren und stechende Sonne, woraufhin er das winzige Gläschen, das so betörend ehrlich duftete, schlürfend mit drei Schlucken leerte. Pietro nickte anerkennend.

      Bucholtz schwenkte sein Glas und musterte die Kirchenfenster aus alkoholischen Schlieren. „Was macht Neapel?“ fragte er.

      „Viel Müll. Wenig Deponie. Die Banden im Aufwind“, erwiderte Pietro.

      „Tja“, meinte Bucholtz, indem er nun auch sein kostbares Glas leerte und vorsichtig auf das Tablett zurück stellte. „Und die Familie?“

      „Hält aus“, sagte Pietro lakonisch.

      „Dann grüßen Sie mir einstweilen den Skipper! Er soll mich nächstens nicht bemerken, wenn ich über sein Land stromere. Oder besser noch, Sie verstecken ihm den Feldstecher.“

      „Mit Vergnügen. Und meine Komplimente an die Signora“, erwiderte Pietro.

      „Die richte ich nun wieder mit Vergnügen aus“, sagte Bucholtz, wieder mit diesem glückselig blöden Lächeln im Gesicht. Eigentlich ist es nur glücklich, analysierte Zett dieses Lächeln, wie er so manches Porträt analysiert hatte. Die Verzerrung ins Blöde kommt von den Narben. Tief wurzelnd. Weit verzweigt.

      „Elftausend tote Jungfrauen!“ resümierte Zett, der seinen Auftrag immer noch nicht ganz verstand, als sie wieder über den Hauptweg schlenderten. „Jungfrauen mit paramilitärischer Ausbildung!“

      „Komisch, oder?“, sagte Bucholtz. „Aber jetzt kommen wir mal zu Carpaccio und seinem Ursulalegendenzyklus. Schon lange war es ein Running Gag unserer Bibliothekare, Vittore Carpaccio sei einer der Unsrigen gewesen. Ein Hobby von mir und von Richard Lank. Doch als wir bereits schöne Zwischenergebnisse vorweisen konnten, zerstörte im Oktober 2001 ein Wasserschaden in unserem Zentralarchiv das gesamte Recherchematerial. Letztes Jahr dann war Lank zu einer Konferenz auf Malta. Nach deren Ende blieb er noch zwei Tage in La Valletta. Wir wollten im Nationalmuseum einen Detailentwurf Carpaccios sichten. Außerdem besitzt das Bistum Gozo Ursulareliquien. Und dort hat man Richard dann in Klump geschossen. Nicht aus erkennbaren beruflichen Motiven – da nehmen wir hohe Risiken durchaus in Kauf. Sondern quasi in Ausübung unseres gemeinsamen Hobbys. Verstehen Sie, dass ich ihm die Fortsetzung der Arbeit schuldig bin?“

      „Also nach Malta?“, fragte Zett.

      „Nein, die malteser Spur führte ins Leere. Venedig ist Ihr Einsatzort. Und Köln. Dort beginnt in den nächsten Tagen eine Konferenz, die ich leite – und bei der ich garantiert nicht erschossen werde. Unter den Teilnehmern sind allerdings ein paar, die auch auf Malta waren. Und denen möchte ich auf den ursulinischen Zahn fühlen, um es mal so auszudrücken. Deshalb brauche ich jemand im Team, der sich zwar leider nicht ganz so gut auskennt wie Lank, der aber, anders als Richard in seinem Rollstuhl, notfalls täglich zwischen Köln und Venedig pendeln kann. Sichten Sie zunächst einfach noch mal Carpaccio.“

      „Warum kein Profikunsthistoriker?“

      „Damit der dann mit sensationellen Entdeckungen an die Weltpresse geht? Sie Idiot! Außerdem sollte mein Kunsthistoriker, der für mich den Zyklus sichtet, ganz nebenbei auch schießen können und keine Skrupel haben, zu treffen.

      Schauen Sie sich also in der Accademia noch mal sehr genau Carpaccios Zyklus an. Vergleichen Sie alles mit meinen Randnotizen im Buch – Entschuldigung für die Handschrift! Sie werden dort zum Beispiel Marcus Vipsanius Agrippa finden, unseren Allerersten. Analysieren Sie Brücken, Türme, Spiegelungen, Pfeile – denken Sie an meinen Siegelring. Vielleicht interessiert es ja auch den Söldner, dass neben dem Colleonidenkmal einst die Scuola di Sant’Orsola stand, wo der Zyklus ursprünglich hing!“

      „Aber ...!“

      „Kein aber! Tun Sie einfach, was man Ihnen sagt. Randnotizen gibt es reichlich. Was unserem Privatdruck fehlt, ist eine Knallereinleitung. Vielleicht dreißig Seiten. Sie werden, jede Wette, bei der Recherche observiert ... nehmen Sie inzwischen Befehle von mir entgegen?“ Zett nickte. „Dann befehle ich, dass Ihnen alles wurscht ist! Sie sind Kunsthistoriker. Seien Sie naiv und leichtsinnig. Niemand observiert Kunsthistoriker. Sie merken nichts, schreiben nur in Ihr Notizbuch, immer schön emsig, mit gerunzelter Stirn. Spiegelungen. Brücken. Türme. Pfeile. Agrippas ...! Im Grunde müssen Sie nur meine Randnotizen zum Text verdichten. Will jemand Sie aushorchen, stellen Sie sich dumm. Stoßen Sie auf Gewalt, dann weichen Sie aus, wenn möglich. Wenn nicht, dann töten Sie.

      Flanieren Sie einfach durch die Welt dieser Bilder, so wie Cloerkes es seinen Lesern vermittelt hat. Wenn Sie was finden, was wir noch nicht entdeckt haben – wunderbar. Wenn nicht, erwartet Sie demnächst solide Leibwächterarbeit.“

      Zett konnte sich nicht verkneifen, leise aber zackig „Yes Sir, Successor Sir“, zu brummen, was Bucholtz zunächst wieder seine dreckige Lache entlockte, dann jedoch die Bemerkung: „Sie lernen schon noch die lateinischen Codes unserer Schwarzen Hände!“

      Schwarze Hände, dachte Zett, klingt verteufelt nach Balkan.

      „Und denken Sie, wann immer Sie aus meinem Mund von Schwarzen Händen hören, bloß nicht an faschistische Terrorbanden!“, warnte Bucholtz. „Unsere Schwarzen Hände gibt es seit zweitausend