Stefan Frank

Der Kontrakt des Söldners


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um die eigene Achse und sah insgesamt neun große Formate, zwischen 1490 und 1495 gemalt. Allerdings hingen sie nicht in der Reihenfolge ihres Entstehens, sondern in erzählerischer Abfolge, von der Brautwerbung bis zum Massaker und zur Apotheose Ursulas.

      Die englischen Botschafter bei der Brautwerbung. König Maurus und seine Kronräte empfangen sie im offenen, licht- und luftdurchfluteten Hafenpavillon. Im Gemach gleich nebenan spricht Ursula mit ihrem Vater. Gleichzeitigkeit verschiedener Erzählstränge und Episoden ist das gestaltende Prinzip des Zyklus’.

      Verabschiedung der Werber. Im denkbar repräsentativsten Thronsaal überreicht Maurus dem englischen Botschafter die diplomatische Note mit seiner Antwort. Der Hofchronist schreibt im Hintergrund mit, während das Volk zur offenen Tür hereinschaut.

      Rückkehr der Werber nach England. Hier ist der Hafenpavillon nicht ganz so prächtig wie bei Maurus. Auch könnte der englische König durchaus mal Unkraut zupfen lassen. Am anderen Kanalufer jedoch, zugänglich über eine venezianische Brücke, wirkt alles sehr proper: Türme, ein dreistöckiger Palast und ummauerte Gärten bilden den Hintergrund, in dem es von Publikum nur so wimmelt. Der kostbar gewandete Mann im äußersten Vordergrund, dessen Blickrichtung die Mittelachse des Bildes definiert, während er frech dem Betrachter den Rücken zuwendet, muss etwas zu bedeuten haben. Unbedingt!

      Aufbruch der Brautleute zur Pilgerfahrt. Das Bild mit den meisten Zeitebenen. Ursulas Bräutigam Ätherius wird von seinem englischen Vater verabschiedet – vor einer Hügellandschaft mit zwei mittelalterlichen Festungstürmen. Am selben Hafenbecken begrüßen sich die Brautleute zum allerersten Mal. Am selben Hafenbecken werden sie von Ursulas Eltern auch gleich wieder verabschiedet und schiffen sich ein – vor dem Hintergrund eleganter venezianischer Architektur. Und aus demselben Hafenbecken läuft schließlich ihr Schiff zur Pilgerfahrt aus.

      Ursulas Traum. Ein Doppelbett mit Baldachin. Ursula träumt in Rückenlage. Durch Fenster und zwei Türen dringt der helle Tag herein, und mit ihm kommt der Engel der Weissagung.

      Die Pilger in Rom. Zu Füßen der Engelsburg begegnen sich unter stürmischem Himmel zwei lange Menschenreihen: Der Zug der elftausend Jungfrauen, an seiner Spitze Ursula mit Ätherius. Und ein Zug von Klerikern, an dessen Spitze der eigens für die Legende erfundene Papst Cyriacus schreitet.

      Ankunft im belagerten Köln. Die Stadt liegt hinter mittelalterlichen Festungsmauern, über denen ein venezianischer Campanile aufragt. Davor zelten die hunnischen Belagerer. Ihrem König wird gerade das Warnschreiben aus Rom vorgelesen, während Ursulas Schiffe am Rheinufer vor Anker gehen – unbekümmert durch die bedrohliche Szenerie.

      Das Massaker. Links wird gemordet. Rechts zu Grabe getragen. Im Hintergrund Skutari von den Türken belagert.

      Ursulas Himmelfahrt. Über dem Gedrängel kniender weiblicher und männlicher Märtyrer fährt Ursula gen Himmel – in die weit geöffneten Arme des Rauschebartes. Vorbei an der immer noch dauernden Belagerung Skutaris durch die Türken.

      Was hatte Bucholtz ihm gestern aufgetragen? Nutze meine Notizen! Schreibe die Einleitung für den Prachtband über kriegerische Jungfrauen – Attila und Venedig – Hunnen – Pfeile – Agrippa – Spiegelungen – Türme...

      Schön, Türme gab es reichlich, zum Beispiel in der Rückkehr der Werber nach England. Da behauptete der Museumskatalog frech, die Türme gehörten zu Venedigs Arsenal – obwohl man sich in kaum zwei Kilometern Luftlinie bequem vom Gegenteil überzeugen konnte. Nicht mal mit den Kupferstichen Jacopo de Barberis im Hinterkopf ließ sich Übereinstimmung herbei fantasieren.

      „Schulquatsch“, hänselte Cloerkes.

      Naja, im selben Katalog hieß es auch, Jacopo de Voragines »Legenda Aurea« stammten von 1475, offenbar im gänzlich überflüssigen Bemühen, Zusammenhänge zwischen Carpaccios Literaturrezeption und seiner Motivwahl herzustellen. Wobei man großzügig Voragines Todesdatum im Jahr 1298 übersah. Solcher Art war der Stoff, aus dem sich Cloerkes’ Verachtung für das Establishment speiste.

      Nachdem Zett sich ein paar Mal um die eigene Achse gedreht hatte, meldete sich das Teufelsgebräu aus der chemischen Disco zurück. Heftiger Schwindel. Zett suchte den Druckpunkt am Nagelbett des kleinen Fingers, dessen Massage den Kreislauf in Schwung hielt. Akupressur half manchmal sogar im Krieg. In Bosnien hatte Zett die Blutfontäne aus einer zerschossenen Arterie gesehen, und der Sanitäter brauchte nur...

      „Vergiss den Schulquatsch“, rief Cloerkes. „Misch dich unters Volk!“

      Neben dem offenen Gittertürchen im Vordergrund stand ein junger Page. Der hatte schon in der Scuola di Sant’Orsola dort gestanden, bevor man an ebendieser Stelle eine Tür benötigte und den Ärmsten unterhalb seiner Schultern absägte. „Lass mich mal rein, Söhnchen“, drängelte Cloerkes taktlos, „kannst ja eh nichts anfangen mit all den Schönheiten hier, als Page ohne Unterleib.“

      Zett atmet ein, dann sehr tief aus. Dann schnuppert er Meer und nassen Hund. Das Windspiel tollt vom Hafenbecken heran und schüttelt Wasser aus seinem Fell, spritzt seinen Herrn nass und dessen Verhandlungspartner. Doch Herrchen feilscht erbittert um die Differenz zwischen einem Ballen chinesischer Tributseide und zehn Unzen Weihrauch, ohne Notiz zu nehmen von der muffigen Dusche, von Zett oder dem hoch zeremoniellen Empfang der Botschafter im Vordergrund: Die Briten wollen Ursula als Braut für ihren Thronfolger.

      Derweil gleitet ein Boot mit prallem Lateinersegel in den Hafen, wo das behäbigere Schiff der Diplomaten schon sicher beim Fahnenmast vertäut liegt. Nur – ankert da eine Karacke oder eine Cocha? Zett beschattet die Augen gegen das bleigrau stechende Mittagslicht: Einmaster jedenfalls, Segel gerefft und über dem galeerentypischen Heckkastell mit Laterne das Verdeck aus purpurnem Tuch.

      Hunde, wohin man blickt – der nasse Stinker, das angeleinte Windspiel links – Windspiele müssen groß in Mode sein am Hof von König Maurus. Nur die Jungfrauen machen sich rar, abgesehen von Ursula selbst, die rechts im Bild dem deprimierten Vater ihre Vision schildert. Ein blasser Backfisch, eher rührend als schön. Die Magd auf der Treppe vor dem Gemach so schön, wie eine fünfzigjährige Frau mit Krückstock eben sein kann. Dementsprechend ist Cloerkes längst weiter, während Zett sich dem Handwerkszeug seines Berufes widmet.

      „Großes Schwert, Kumpel“, schmeichelt er dem jungen Krieger.

      „Eine Schiavona, Signore. Oder eigentlich deren Vorform, ein Exemplar noch ohne Handkorb.“

      „Muss aber ziemlich schwer zu führen sein. Zweihänder?“

      „Noch ganz in der Tradition des europäischen Langschwerts, Signore. Wie ich schon sagte. Die richtige Schiavona hat dann den Handkorb, weshalb Ihr sie nicht als Zweihänder führen könnt. Aber auch sie kann man natürlich in der engen Mensur mit der zweiten Hand dicht oben beim Griff packen ...“

      „Ach – und oben ist die Klinge gar nicht so scharf?“

      „Aber nein, Signore!“

      „Heißt also, man kann den Griff auch als Hammer benutzen. Oder am Körper des Feindes reißen ... oder auch an seiner Waffe.“

      „Sehr wahr, Signore, doch in jedem Fall verlangt diese dalmatische Waffe viel Kraft. Was ja bei Euch, Signore, kein Hindernis darstellen dürfte. Wollt Ihr Fechtstunden?“

      „Danke, ich bin bei den Schützen“, sagt Zett. Denkt aber was ganz anderes. Denkt: „dalmatische Waffe“. Kaum bewege ich mich im venezianischen Bild, schon führt es mich zur Küste gegenüber. Paar Mal zu oft im Zwielicht über die Adria gefahren...

      Hier geht es einstweilen nur einen Steinwurf ans andere Kanalufer, wo Cloerkes den Turm bestiegen hat und aus den Fenstern über der astronomischen Uhr winkt. Auch Zett ist im Nu oben. Vom Stiegenhaus hört er das Tock, Tock, Tock des mächtigen Uhrwerks und riecht den Dunst ranzigen Öls, mit dem sie die Zahnräder schmieren. Zett spürt die leichte Vibration des Bodens aus Terrazzo Marmorin – in der Lagune, beim Gezeitenwechsel, keine Seltenheit.

      Cloerkes ist ganz in seinem Element: „Hier fühle ich mich wie in Mauro Codussis Uhrturm am Markusplatz! Obwohl das die Bretagne sein soll,