Stefan Frank

Der Kontrakt des Söldners


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neu – im Internat Schloss Salem, was ihn wenig später maßlos ärgerte, als ihm aufging: Susanne war dreizehn Jahre jünger als er – das hätte alles zufriedenstellend erklärt ... obwohl … genau genommen doch nicht, denn zwar kamen und gingen die Schüler, aber die Lehrer? Hattet ihr auch schon den ekligen Lohmann in Mathe? Nein, da war Salem doch die bessere Wahl. Dann Bundeswehr, vier Jahre Zeitsoldat, aber damit geriet er schon in den Grenzbereich des Verwertbaren. Die Einzelkämpferausbildung und das Training bei den Special Forces im Colorado Plateau waren heikel, passten schlecht zum Kunsthistoriker.

      Folglich konnte er mit einer Vergangenheit bis zum Alter von zweiundzwanzig Jahren aufwarten – dahinter gähnte das riesige Loch, das auch die Gegenwart verschlang. Einundvierzig Jahre alt, Kunsthistoriker, aber kein Lehrstuhl, keine Publikation, keine Betreuung einer noch so provinziellen Ausstellung, nicht mal irgendein Artikel in einer mickrigen Fachzeitschrift – ihm blieb nichts weiter übrig, als sich auf Papas Geld zu berufen. So schuf er das nächste Problem – dass sie immer neugieriger wurde, womit Papa denn so viel Geld verdiente in Überlingen. Außerdem musste er seinen Personalausweis gut verstecken, denn dort kam der Geburtsort Überlingen gar nicht vor. Dort stammte Herr Doktor Thomas Zett aus Köln.

      Sanne war demgegenüber erfrischend normal – und auch beschämend mitteilsam: Abitur, Studium Betriebswirtschaft und Design, kinderlos geschieden, die Agentur war ihre dritte Firma, das Schicksal ihrer Generation, der endlose Reigen unterbezahlter Praktika, war ihr erspart geblieben. Sie hatte drei, vier richtige Entscheidungen getroffen und leitete seit einem Jahr den Einkauf dieser Agentur für die exklusiven Events sehr reicher Leute.

      „Jetzt schnauf ich erst mal durch“, erzählte sie. „Weihnachten, Silvester und Karneval sind locationmäßig und mit Künstlern versorgt. Beim Catering soll mein Assistent sich ruhig die Hörner abstoßen, sonst lernt der nie, dass man Köchen ein Budget gibt – und dann die lange Leine.“

      Was sie hier im Urlaub erledigte, diente der Vorbereitung eines venezianisch gestylten Konzertabends im nächsten Sommer, dessen Gastgeber sie dann doch noch zum Geheimnis ausrief. Ihre präzisen Kenntnisse, welcher Squero noch die ganz seltenen Gondeln mit verhängten Kabinen baute, die so ungemein diskret auf dem Wasser schaukelten und an das lasterhafte achtzehnte Jahrhundert denken ließen, hingen offenbar genau damit zusammen. Das Konzert, soviel verriet sie immerhin, würde in einem Loireschloss gegeben und zu Demonstrationszwecken gönnte sie Zett eine Nachtrundfahrt in dem Prototyp Gondel, den sie in Auftrag gegeben hatte. Sie wurden von einem trittsicheren Gondoliere gerudert, der mit den unvorhersehbaren Schwankungen des Boots problemlos fertig wurde und laute Erklärungen abgab oder an Kanalecken Warnrufe ausstieß, wann immer Nebengeräusche übertönt werden mussten.

      Dann probierten sie einen Brunnen aus dem Trecento, der sich als erotisch durchaus tauglich erwies, vorausgesetzt, man war gelenkig und in aller Herrgottsfrühe sehr leise unter den vielen Fenstern. Aber man holte sich doch einen ziemlich kalten Hintern im November, und so beendeten sie ihre Eskapaden auf dem Zimmer.

      Japsend, während ihre Schenkel seinen Kopf umklammerten, interpretierte Sanne für Zett den tonlosen Bildschirm. Vom Waffenstillstand zwischen Indien und Pakistan sei die Rede, der die Kaschmirregion einschließe. Präsident Bush erscheine zum Plastiktruthahnessen in Bagdad und Hillary Clinton zeige ebendort ihr stählernes Lächeln.

      Einmal wurde sie misstrauisch, weil Zett den Designerpapst nicht kannte, den einfach jeder Kunsthistoriker kennen musste. Das war zum Glück vor Santa Maria Zobenigo, der Fassade mit den fünf Reliefs, unter anderem von Zara, dem jugoslawischen Zadar, aus dessen Bürgerkriegsjahren Zett viel hätte berichten können. So wie die Dinge aber lagen, beschränkte er sich darauf, zu erzählen, wie Zaras Bürger mit dem Untergang der Republik Venedig ganz und gar nicht einverstanden waren. Dramatisch zugespitzt gab er zum Besten, wie sie San Marcos Banner unter dem Altar bargen, während Napoleon Venedig vergewaltigte. Das toppte den nicht gewussten Designerpapst.

      Irgendwie half Zett sich Tag für Tag über die Runden. Halb hoffte er, ein Befehl von Bucholtz würde ihn endlich aus seinem prekären Dasein als Lügensoldat erlösen – halb fürchtete er sich vor dem Abschied am Aeroporto Marco Polo. Womit er jedoch am wenigsten gerechnet hätte, das war ihr Urlaub, ihr spontan zupackendes: „Sag mal, gibt es bei dir in Köln vielleicht ein zweites Kopfkissen? Paar Tage Zeit hätt’ ich noch.“

      Das Fax für ihn, dessen Empfang sie frühmorgens an seiner Zimmertür quittiert hatte, hatte Susanne offenbar gelesen:

      „Lieber Herr Dr. Zett, vielen Dank nochmals für unser Gespräch auf Torcello! Ich hoffe, Sie kommen voran, denn ich schulde meinem Freund Richard Lank die schlussendliche Abklärung der Ursulazyklen. Für Carpaccios Version in der Accademia hatten Sie inzwischen reichlich Zeit. Ich ermuntere Sie daher, auch die Kölner Zyklen einzubeziehen. Da der Bilderzyklus in Sankt Ursula und die Goldene Kammer derzeit wegen Restaurierungsarbeiten nach dem Wasserschaden schwer zugänglich sind, empfehle ich Ihnen, schnellstmöglich – wiederhole: schnellstmöglich!!! – den Kleinen Ursulazyklus im Kölner Wallraf-Richartz-Museum in Ihre Überlegungen einzubeziehen, nicht nur, um das zweifellos vorhandene Qualitätsgefälle zu verifizieren, sondern auch, weil Ihre Arbeit dort ganz neue Impulse erhalten dürfte. Einstweilen beste Grüße, Bucholtz.“

      Während sie packten, bemerkte Zett, dass der Anflug von Zweifel, dieser leichte Hauch von einem Anflug, den er oft in ihrem schönen Gesicht bemerkt hatte, wie weggewischt war.

      7. Kölner Archiv. Samstag, 29.11.2003

      Geschäftig mit Papieren raschelnd kam Peeters durch die Sicherheitsschleuse. „Ihr Fax an Doktor Zett ist raus, Successor ... soll das Original in den Reißwolf?“

      Bucholtz legte den Zeigefinger an die Lippen und musterte zwei Reihen gepolsterter Lehnstühle in dem ansonsten leeren Raum, der in spätestens drei Stunden fertig eingerichtet sein musste für die Konferenz. Um fünf in der Früh hatte Assad ihn rausgeklingelt. Ultimativ hatte der zweite Mann des Halbmondrats nach einem runden Tisch verlangt. Am langen Tisch gebe es immer zwei Enden, und selbst wenn, gemäß Bucholtz’ Vorschlag, die Sitzordnung der Delegationen täglich ausgelost werde, so sei es doch mit der Würde des Halbmondrates unvereinbar, auch nur eine Minute am unteren Tischende zu sitzen. Dabei hatte Assad durchblicken lassen, der Indienrat sei ganz derselben Auffassung und habe bisher nur aus falsch verstandener Höflichkeit geschwiegen.

      „Das Fax, Successor?“, hakte Antje Peeters nach, ein bisschen forsch, und erwischte ihren Chef damit prompt auf dem falschen Fuß.

      „Frau Peeters, den Reißwolf bedient für gewöhnlich mein Sekretär Rouvier, aber vergessen Sie nicht, eine Kopie meiner Privatkorrespondenz an Princeps Czartoryski zu schicken, da wir schon mal dabei sind. Wenn Sie dann anschließend vielleicht ihre Aufgaben als mein Majordomus und somit auch Majordomus dieser Konferenz wahrnehmen könnten! Frau Byron und die Herren erwarten einen Tisch für ihre Unterlagen – ich übrigens auch.“

      „Ich schicke nicht Kopien an den Princeps … und die Elemente sind noch unterwegs“, maulte Peeters, „samstags um halb neun laufen Einrichtungshäuser nicht gerade auf Hochtouren.“

      „Was denn für Elemente?“

      „Achtel, wie Tortenstücke, die wir zum runden Tisch zusammenschieben, oder erklären Sie mir, wie ein runder Tisch in dieser Größe durch die Sicherheitsschleuse passen soll! Knapp wird das sowieso. Die fünfzehn Herrschaften müssen zusammenrücken.“

      „Mit mir sechzehn“, sagte Bucholtz. „Hat Monica angerufen?“

      „Frau Ricasoli hat sich nicht gemeldet. Ist übrigens nicht Ihr Sekretär für die Entgegennahme von Telefonaten zuständig?“, fragte sie spitz.

      „Ans Telefon geht, wer am nächsten drinsitzt“, knurrte Bucholtz. „Mich würde schon beruhigen, wenn Sie Monica verlässlich zu mir durchstellten, doch das ist offenbar zu viel verlangt.“

      „Ich wollte Sie nicht stören. Sie waren in einer Besprechung.“

      „Ich würde es nicht Besprechung nennen, wenn ich ein Wort mit Richard wechsle.“

      „Aber