Stefan Frank

Der Kontrakt des Söldners


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spann Zett den Faden stillschweigend fort. Er begann zu denken wie sein Auftraggeber, stellte er mit Entsetzen fest. „Klar. Sicher. Zweitausend Jahre“, sagte er. „Seit wann auch sonst?“ Das letzte Stück Weges absolvierten sie schweigend. Als Peeters sie kommen sah, sprang sie auf, öffnete die Tür der Bootskanzel und bezog draußen auf dem Steg Position. Bucholtz nickte ihr zu. Zett riskierte ein freundliches „Hallo!“, das sie eisig überhörte.

      „Schön“, sagte Bucholtz, bereits aus der Kanzel heraus, „ich denke, wir haben uns verstanden, Doktor Zett. Sie setzen Richard Lanks Arbeit an Carpaccios Ursulalegendenzyklus fort und schreiben mir für den Anfang ... etwa dreißig Normseiten. Übrigens liegt in Ihrem Hotelzimmer der Vertrag auf dem Tisch. Unterschreiben Sie und lassen Sie ihn liegen. Um den Rest kümmern wir uns. Alsdann!“

      Ein Nicken, die Tür schnappte zu, und die Schraube des donnernden Bootsmotors, der jetzt bei der Abfahrt schamlos seine ganze Kraft ausspielte, zerwirbelte den Kanal zu einer Schaumlandschaft, in der sich nichts, aber auch gar nichts mehr spiegelte.

      4. Venedig. Mittwoch, 19.11.2003 bis Freitag, 21.11.2003

      Zett spielte noch am nächsten Morgen mit dem Gedanken, den Job abzulehnen, während er sich erfolglos bemühte, eine Randbemerkung in Bucholtz’ krakeliger Handschrift zu entziffern. Nachts hatte er sich in der allerödesten Discothek von Mestre die Kante gegeben. Jetzt wirkte das Aspirin nicht, weshalb er eisgekühlten Orangensaft kippte, den das Hotelpersonal mit nervtötender Langsamkeit immer erst vom Tetrapack in Glaskaraffen umfüllte. Die abgearbeiteten Sizilianer hielten bei der Plackerei streng ihre Routine ein – und wirkten dennoch fröhlich. Bei Zett lief das gerade umgekehrt: Er blies Trübsal im großen Durcheinander seines Lebens, angefangen bei den alkoholischen Exzessen, die ihn ganz ohne Spaßgewinn von Mal zu Mal heftiger ausknockten.

      Außerdem war es auf Dauer bestimmt nicht gesund, mit dem toten Cloerkes zu quatschen, als wären sie ein altes Ehepaar.

      Zumal der die entscheidenden Auskünfte für sich behielt. Wann hatte er mit Bucholtz über Zett gesprochen? Falls er ihn tatsächlich dem Merkwürdigen empfohlen hatte, musste das vor seinem Tod gewesen sein. Und der lag fast zehn Jahre zurück. Warum trat Bucholtz dann erst jetzt an Zett heran? Womit die Frage nach der Seriosität des neuen Auftraggebers auf den Tisch kam ... das alles drehte sich im Kreise und im Kopf herum.

      Taktische Analyse: dumpfer Schmerz hinter der Stirn, kein Schluck O-Saft mehr im Glas und wenig Vertrauen zu Bucholtz, geschweige denn Sympathie. Andererseits gab es gutes Geld und den klaren Befehl: Geh zur Akademie, sieh dir schöne Bilder an – was ja nun keine arge Zumutung war für dreißigtausend Euro.

      Zuletzt gab es da noch das DIN-A5-Blatt. Gestern Abend hatte Zett die digitalen Bibliotheken im Web nach Ausgaben der »Legenda Aurea« durchstöbert und tatsächlich die Passage über Kriegsübungen der Elftausend Jungfrauen gefunden. Bucholtz war also kein Banause. Nach Wegfall dieser Ausrede war Zett mit dem Wassertaxi zur Piazzale Roma gefahren und dort ins Autotaxi umgestiegen. In einer ehemaligen Chemiefabrik, die mit Theke, Riesenboxen und Flackerlicht hochgerüstet worden war, hatte er sich an das Teufelsgebräu aus süßem Prosecco und Grappa gehalten, das die Kids hier tranken. Zwischendurch hatte er ein wenig auf der Tanzfläche herumgestampft und einen Hänfling zusammengeschlagen, der einfach nicht aufhören wollte, ihm bunte Pillen zu verkaufen. Zett hatte mit der Faust geschlagen, obwohl eine Ohrfeige gereicht hätte, und wusste dabei ganz genau, dass er auf ein Problem mit unmotivierter Gewalt zusteuerte. Immerhin hatte ihn der Türsteher trotz seiner Überreaktion in Frieden gelassen, als er den Hänfling zwang, das Plastiktütchen mit den Drops herauszurücken. An seinem Ecktisch mit Blick auf die Schwingtür hatte Zett dann verworrene Zwiesprache mit Cloerkes gehalten, der ihn bedrängte, lieber ins Hotel zu fahren, bevor er auf dem Parkplatz sturztrunken dem rachsüchtigen Hänfling und seinen Kumpels in die Hände fiel. Auch eine Art von Risikomanagement!

      An die Heimfahrt erinnerte Zett sich nur noch verschwommen, abgesehen vom verächtlichen Blick des Nachtportiers. Dann ins Bett, viel zu kurz. Später eiskalt duschen und nun der allerletzte Tropfen O-Saft.

      Wenn er heute Morgen so unbedarft wirken sollte, wie Bucholtz ihm befohlen hatte, dann hieß es, ein Lächeln in die Mundwinkel zu schrauben und aufzupassen, dass sein Schlingergang weder Hauswände streifte noch über die Kante einer Riva ins Kanalwasser führte. Um zu verschnaufen, blieb er vor einem Schaufenster stehen, wo schön marmoriertes Papier auslag, beschloss dann jedoch, seine Notizen lieber direkt an den Rand der Kunstdrucke zu schreiben, neben und zwischen Bucholtz’ Gekritzel. Dort war der Platz großzügig bemessen, jedenfalls rings um die Detailansichten. Die kompletten Bildreproduktionen, neun an der Zahl, füllten jeweils ihre ganze Doppelseite.

      Folgte man ihm? Zett übte sich in Harmlosigkeit. Die Schlange vor dem Ticketschalter verschaffte seinem maladen Kreislauf eine halbstündige Gnadenfrist an frischer Luft, bevor er schließlich Saal XXI betrat, wo Vittore Carpaccios Ursulalegendenzyklus aus der abgerissenen Scuola di Sant’Orsola eine würdige Zuflucht gefunden hatte.

      Würdig, das hieß: Oberhalb des Marktsegmentes, in dem etwa ein Willem Cloerkes mitmischen konnte. Zwar kam bei aller Würde der internationale Kunstmarkt nie zum Erliegen, doch bevor die Accademia sich von Exponaten dieser Güteklasse trennte, musste schon mindestens Paolo Veronese von den Toten auferstehen. Andererseits nahmen es oft die würdigsten Player am Markt mit der Freiwilligkeit von Transaktionen nicht so genau, ja nahmen sogar die Dienste von Leuten wie Cloerkes in Anspruch. Zett hatte zum Beispiel eine ziemlich belastbare Theorie, betreffend den hochwürdigen Empfänger eines gewissen Altartryptichons. Cloerkes hatte den Namen nie ausgesprochen, doch Zett hatte neben ihm gestanden im Pritschenhaus bei Pilsen, vor den halb schon verpackten Tafeln aus bemaltem Ulmenholz, für die man dem Bürgermeister des Städtchens ein funkelnagelneues Feuerwehrauto aus dem Westen schuldete. Und natürlich exzellente Kopien. Cloerkes hatte Zett angestachelt: „Los, vergiss den Schulquatsch, sperr die Augen auf. Schau hin! Du weißt nichts, vertrau nur deinem Blick ...“

      Dann hatten in der Auffahrt die hydraulischen Bremsen des mächtigen roten Brummers gepufft und gezischt und schweren Kastanienduft durch das offene Rolltor in die Halle geweht. Und der Deal war perfekt.

      Cloerkes hatte im großen Stil mit fast allem gehandelt, außer mit Menschen, Drogen und Waffen. Kriegsdiamanten jedoch, Medikamente, Zigaretten ohne Steuerbanderole oder Kunst von mehr als zweifelhafter Provenienz hatten bequem in sein gemütliches holländisches Gewissen gepasst. Wofür zahlte man schließlich die fiktive Gardinensteuer?

      Die Kunst jedoch, sogar das Kunsthandwerk, waren ihm heilig geblieben. Nichts stieß ihn so ab wie der Genuss am bloßen Besitz. Vielmehr rang er mit ganzer Kraft um Verständnis, wobei er oft tief in die Materie eindrang und zu Ergebnissen kam, die quer standen zur herrschenden Meinung in der akademischen Welt.

      Eines Tages, viele Jahre, bevor er Zett begegnete, hatte Cloerkes sich dann ein Mal zu oft über das kunsthistorische Establishment geärgert und selbst zu schreiben begonnen, schmale, um Lesbarkeit bemühte Büchlein, die mit der Zeit immer ansehnlichere Auflagen erzielten. Insgesamt zwanzig Bände. An den letzten Sieben hatte Zett auf diese oder jene Weise mitgewirkt. Man hockte sowieso ständig beisammen. Da ergab sich das von selbst. Bei den letzten vier Büchern hatte Cloerkes ihn verdientermaßen als Co-Autor mit auf den Titel genommen. Heute litt Zett wie ein Hund, weil er aus seiner neuen Identität heraus nicht mehr an die Tantiemen herankam. Die flossen jetzt, weil der verstorbene Herr Zottnow weder Frau, noch Kind oder Geschwister gehabt hatte, auch beide Eltern tot waren, ausgerechnet an seinen fast hundertjährigen steinreichen Bankiersopa Ruffy in der Schweiz. Ein Treppenwitz, über den Cloerkes sich kaputt gelacht hätte.

      Willem hatte in Kunstdingen über eine profunde Bildung verfügt. Trotzdem kam die Vulgärversion seiner Methode ihrem Geheimnis am nächsten: „Vergiss den Schulquatsch, mein Junge“, hatte er doziert, als sie sich noch gar nicht lange kannten, „den ziehst du locker aus dem Ärmel, sobald du ihn brauchst. Aber zuerst schau hin, schau tief hinein und halte Einzug in das Bild wie sein rechtmäßiger Bewohner. Mische dich unter deine angestammte Nachbarschaft, mach mit, was das Zeug hält! Umgarne sie oder spuck ihnen ins Gesicht. Hasse und liebe, lache und weine, friss und saufe mit ihnen!