Elke Maria Pape

Der Fall Bahran


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hinzusetzten.

      „Ja, ich weiß, Liebling, aber ich…!”

      „Also, gehen wir jetzt raus?”

      „Nein, hör mal. Es ist schwierig. Das was ich dir jetzt sagen muss, meine ich.”

      „Hans, ich kann es nicht ausstehen, wenn du mich so auf die Folter spannst. das weißt du!” Ihr Blick wurde ungeduldig und ihre Augen funkelten.

      Wie nur, wie die richtigen Worte finden. „Madame Bahran ist etwas zugestoßen.”

      „Was meinst du damit, ihr ist etwas zugestoßen?”, fragte sie, so als wäre diese Tatsache völlig undenkbar, als wäre diese Frau unverwundbar und natürlich unsterblich.

      So als könnte alles in der Welt passieren, wirklich alles. Nur das eben nicht.

      „Frau Bahran ist … Sie lebt nicht mehr, Schatz.”

      Ihre Augenlider zuckten und sie sackte augenblicklich zusammen, so als würden die Schmerzen in dieser Sekunde wieder kommen. In dieser schrecklichen Sekunde, in der sie es gehört hatte.

      „Was, was?”, stammelte sie.

      Tot. Hatte sie richtig gehört.

      Madame Bahran ist tot. Marianne Schieferstein schluchzte laut auf und Hans sprang vom Küchentisch auf, um möglichst nahe bei ihr zu sein, wie er es immer tat, wenn sie verzweifelt war und ihre Schmerzen so übermächtig wurden. Er streichelte ihren zusammen gekrümmten Rücken und ließ sie weinen.

      „Sie kann doch nicht sterben.” Seine Frau sah ihn mit verschwommenen Augen an. „Sie kann doch nicht einfach sterben, Hans. Wir alle brauchen sie doch so sehr.” Ihr ganzer Körper bebte.

      Er nickte mitfühlend und schlang seine Arme um sie. Zwei Tage hatte er Angst gehabt vor diesem Moment. Zwei Tage, in denen er alles versucht hatte, seine Frau davon abzuhalten, Fernsehen zu schauen oder Radio zu hören.

      „War sie denn selber krank? Und wir alle haben es nicht gewusst!”, weinte Marianne. „Stell dir das doch vor, Hans. Diese Frau hilft anderen Menschen, dabei ist sie selber schwer krank!”

      Er streichelte ihre Haare und blickte gequält zur Seite.

      „Sie war nicht krank, Liebling. Jemand anderes hat entschieden, dass sie sterben soll!” Er grübelte. Es würde nichts bringen, wenn er sich dermaßen umständlich ausdrückte, dachte er.

      Aber seine Frau hatte ihn sofort verstanden.

      Mit vor Schreck erstarrtem Gesicht sah sie ihn an. „Jemand hat sie umgebracht?” Sie zerrte verzweifelt an seinem Oberhemd. Ein Knopf löste sich und viel auf den Boden. „Jemand hat sie umgebracht?”, schrie sie.

      Hans Schieferstein nickte stumm.

      Er konnte nicht mehr weiter sprechen, so sehr musste auch er jetzt mit ihr weinen.

      Kapitel 6

      Freitag, der 05. August

      Das braune Notizbuch hatte Frau Bahran unter einem Haufen spitzenbesetzter Unterwäsche versteckt, wo es die Spurensicherung beim Durchsuchen des Hauses gefunden hatte.

      Es enthielt Namen und Telefonnummern ihrer Kunden. In einem anliegenden Terminkalender fand man diese Namen wieder. Einige nur ein einziges Mal, andere tauchten im Wechsel der Wochen immer wieder auf, einige wenige sogar mehrmals die Woche, was Zacharias und seinen Kollegen doch sehr erstaunte.

      Dass es Menschen gab, die anscheinend so viel Wert auf die Meinung einer Geistheilerin legten, dass das Ganze fast auf eine Art Abhängigkeit schließen ließ. Aber sie wollten nicht voreilig urteilen. Zacharias hatte sich entschlossen, die erste Kundin schon heute, Freitag, auf das Revier zu bestellen, auch wenn Karla noch nicht da war. Er musste zugeben, dass er ansonsten großen Wert auf das Urteil Karlas legte und dass er äußerst gespannt darauf war, was sie zu der ganzen Geschichte sagen würde.

      Hoffentlich verlief die Zusammenarbeit mit Steffen einigermaßen reibungslos, hoffte er. Sein Kollege neigte zu unwirschem Verhalten, wenn seine Kompetenzen beschnitten wurden.

      Er erkannte die Frau, die zögernden Schrittes ins Büro trat, sofort wieder. Zweiundvierzig Jahre alt, laut seinen Unterlagen. Montagmorgen am Tatort war sie nicht mehr Herr ihrer Lage gewesen, hatte getobt, geschrien und geweint, bis ein Pfarrer sich um sie gekümmert hatte. Jetzt wirkte sie erschöpft und schüchtern. Ihre Haut war trotz der anhaltenden Hitze blass, als hätte sie sich wochenlang nur im Haus aufgehalten. Zacharias nickte ihr zu. „Frau Vollmer, Mareike Vollmer?”

      Sie nickte und verschränkte ihre Arme vor ihrem Körper.

      „Bitte nehmen Sie doch Platz. Mein Name ist Zacharias Weinfeld.” Er rückte einen Stuhl an seinen Schreibtisch und sah zu Steffen.

      Der verstand. „Ich lasse Sie dann mit meinem Kollegen allein.”, sagte Steffen zu der Frau. „Wenn ich hier am Computer arbeite, stört das nur.”

      Die Frau warf ihm einen dankbaren Blick zu und Steffen Döber nahm sich ein paar Akten und verließ das Zimmer.

      „Ja, Frau Vollmer, jetzt sind wir ungestört. Sie haben das mit Frau Bahran ja leider direkt vor Ort mitbekommen. Hatten Sie einen Termin bei ihr an diesem Tag?”

      „Ja.” Ihre Stimme war nicht so schrill wie am Montag. „Um halb zwei hätte ich eine Sitzung bei ihr gehabt. Ich war etwas spät dran.”

      „Eine Sitzung?”

      „So nannte Madame Bahran das. Woher wissen Sie überhaupt meine Adresse?“ Zum ersten Mal blickte sie Zacharias ins Gesicht. Ihre Augen waren hellblau und schimmerten durchsichtig, so als würde sie jeden Moment wieder anfangen zu weinen. Ihr blondes, dünnes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengerafft. Es sah aus, als hätte sie dabei keine besondere Mühe aufgebracht und ihre Haare einfach nur auf die Schnelle mit einem Haargummi gebändigt.

      Überhaupt wirkte sie gestresst, man konnte fast sagen, gehetzt.

      „Frau Vollmer, wir haben ein Notizbuch gefunden. In Frau Bahrans privaten Räumen.”

      Sie erschrak aufs heftigste. „Was für ein Notizbuch?”

      „Bitte beruhigen Sie sich. Es handelt sich nur um einen Terminkalender und die Namen und Telefonnummern ihrer Kunden, oder soll ich sagen Patienten?”

      Sie schien die Frage zu überhören. „Sonst stand nichts drin?”

      „Nein!”

      Ihre Erleichterung war förmlich spürbar. Sie atmete schnaubend aus und lehnte sich mit dem Rücken an die Stuhllehne. Jetzt konnte das eigentliche Gespräch beginnen, dachte Zacharias.

      „Wir müssen Sie trotzdem fragen, warum Sie zu Frau Bahran gegangen sind. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich werde das in keiner Art und Weise bewerten. Wir wollen uns nur ein Bild machen, wie Frau Bahran gearbeitet hat und wie genau ihre Lebenshilfe aussah, die sie den Menschen entgegen brachte. Wie gesagt, die Kundenkartei gibt darüber keine Auskunft.”

      Sie schien Vertrauen gefasst zu haben. Ihre blassen Wangen röteten sich etwas. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Wie kommen Sie denn ausgerechnet auf mich? Weil ich am Tatort war? Das war doch Zufall. Ich meine, ich kann ja schließlich nichts dafür, dass….”

      „Nein, wir befragen alle Kunden von Frau Bahran. Alle, die in ihrem Notizbuch stehen, Frau Vollmer.” Das stimmte nicht ganz. Sie hatten sich darauf geeinigt, zuerst einmal alle die Leute vorzuladen, die am häufigsten zu Frau Bahran gegangen waren.

      Während sie ihren Stuhl etwas nach hinten rückte, rutschte der Saum ihres leichten Sommerkleids nach oben und Zacharias sah die bandagierten Knie der Frau.

      „Es ist einfach so.”, fing sie an zu erzählen. „Wenn man zwei kleine Kinder hat, dann der Job. Wir haben neu gebaut. Da kann es manchmal einfach zu viel werden.” Sie strich sich eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht.