Elke Maria Pape

Der Fall Bahran


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eine Weile, so als wollte sie ihren Erlebnissen in den Sitzungen noch eine Weile nachfühlen.

      Zacharias unterbrach die Stille.

      „Und wie viel haben Sie bezahlt?”

      Jetzt glänzte Schweiß auf ihrer Stirn und sie rutschte unruhig hin und her.

      „Ehrliche Antwort, bitte, Frau Vollmer.”, ermutigte er sie.

      „Zwanzig.”

      „Zwanzig Euro, pro Stunde?”

      Sie schüttelte leicht den Kopf.

      „Frau Vollmer?”

      „Zwanzig Euro.” Sie zögerte. „Im Monat!”, sagte sie schließlich.

      „Nur zwanzig Euro für mehrere Termine im Monat?”, fragte Zacharias ungläubig.

      „Ja, ich habe ja gesagt, Frau Bahran hatte versprochen, mir nicht viel abzunehmen. Daran hat sie sich in den ganzen Monaten gehalten. Sie hat nie mehr verlangt. Sie war zufrieden mit dem, was ich ihr gegeben habe. Und nur deshalb war mein Mann einverstanden. Zwanzig Euro hatte ich übrig. Dafür habe ich öfter auf den Friseurbesuch verzichtet.”

      „Und Sie sagen mir die Wahrheit?” Zacharias Blick war streng.

      Aber sie sah ihm direkt in die Augen und er glaubte ihr. „Ja, ich sage die Wahrheit.”

      „Also gut. Dann können Sie jetzt gehen, Frau Vollmer.”

      Sie war bereits aufgestanden und gab ihm eilig die Hand.

      „Aber Sie müssen damit rechnen, dass wir Sie erneut befragen.” Zacharias drückte ihre schmale Hand und sah sie eindringlich an.

      „Montag kommt noch eine Kollegin, die sich auch ein Bild machen muss. Es kann also sein, dass wir auch bei Ihnen zu Hause vorbei kommen.” Er wusste, wie sehr Karla es schätzte, Zeugen in ihrer direkten häuslichen Umgebung zu befragen.

      „Ja, natürlich.”, nickte sie. „Hören Sie, ich muss jetzt wirklich los, meine Kinder, sie warten nicht gerne.”

      Die Tür schlug zu und sie war weg. Zacharias dachte über sie nach. Frau Vollmer hatte ihr erstes Kind erst mit fünfunddreißig bekommen.

      Seine Frau Diana wünschte sich auch Kinder. Irgendwann. Sagte sie immer. Irgendwann. Auch sie war bereits dreiunddreißig. Würde sie auch eine dieser späten Mütter werden, die alles, was ihnen wichtig war im Leben, vorher erledigt hatten? Job, Karriere, Haus, oder in seinem Falle eine Penthouse- Eigentumswohnung?

      Würden auch sie dann überrollt werden vom Stress und dem Hinterherhecheln der alltäglichen Dinge, immer bemüht, alles richtig zu machen, und immer wissend, nicht alles schaffen zu können?

      Ist es irgendwann zu spät für ein Kind, überlegte er.

      Wenn man sich schon zu sehr daran gewöhnt hatte.

      An das wohlverdiente viele Geld.

      Die Reisen.

      Die Ruhe.

      Leben und Lieben, wie man wollte.

      Würde es dann zu spät sein für ein Kind?

      Er merkte, dass dieser Gedanke ihn traurig machte.

      Kapitel 7

      Freitag, der 05. August

      Hans Jürgen Michaelis legte die Zeitung zur Seite und widmete sich wieder seinem Milchbrötchen und dem halb warmen Kaffee. Eigentlich hatte er gedacht, gestern Nacht mal früher ins Bett zu kommen, aber es gab immer wieder den ein oder anderen Saufkumpanen, der einfach nicht nach Hause gehen wollte. Mit zunehmendem Alter ging es ihm immer mehr auf die Nerven, jeden Abend den sich dauernd wiederholenden Lebensgeschichten zu lauschen, bei denen ständig die gleichen Begebenheiten auf den Tisch kamen, und die Männer und auch ein paar einzelne Frauen mit glasigen Augen, in denen sich der jahrelange Alkoholkonsum spiegelte, ihm, versunken in ihrem Selbstmitleid, die Ohren voll stöhnten. Hörte das denn nie auf? Merkten diese Trottel nicht, dass sie, meistens jedenfalls, an ihrem eigenen Schicksal kräftig mitgebastelt hatten? Nein, anscheinend nicht. Er dachte in letzter Zeit häufiger daran, die Kneipe einfach dicht zu machen, das Geld zu nehmen, und irgendwo neu anzufangen. Aber mit neunundfünfzig war das auch nicht so einfach. Vielleicht sollte er die Kneipe früher schließen, dachte er müde. Die Leute einfach spätestens um elf nach Hause schicken und Schluss.

      Er kam sich bisweilen vor, als wäre er der Psychiater seiner Kundschaft. Unglaublich, was die ihm so alles erzählten. Die konnten froh sein, dass er so diskret war. Aber in diesem Fall. Er nahm sich erneut den Bericht in der Zeitung vor. In diesem Fall ist es etwas anderes, entschied er.

      Bei Mord hört der Spaß auf. In irgendeiner Weise musste er handeln. Sollte er sofort die Polizei einschalten?

      Er entschied sich, ihn zuerst zu Hause aufzusuchen. Schließlich wohnte er direkt um die Ecke. Hans Jürgen sah auf seine Uhr. Zehn Uhr dreißig. So viel er mitbekommen hatte, müsste er jetzt zu Hause sein. Heute hatte er Spätschicht. Der Bierlieferant würde erst in zwei Stunden kommen, also blieb ihm noch genug Zeit. Er schwang sich von seinem Barhocker, faltete die Zeitung zusammen und steckte sie in seine Lederjacke. „Bin mal eben kurz weg!”, rief er der Putzfrau zu. Diese nickte wie immer und rückte ihr Kopftuch gerade. Meistens verstand sie nicht, was er sagte und sie verständigten sich in einer Art Zeichensprache. Aber das war ihm egal, weil sie die fleißigste und zuverlässigste Putzfrau war, die er je hatte.

      Draußen zog er sich seine Jacke sofort wieder aus. Diese verdammte Hitze. Er machte sich zu Fuß auf den Weg und ging ein paar Hausecken weiter. Das Kneipenviertel, dass sein Zuhause ist, war um diese Uhrzeit wie ausgestorben. Lediglich ein paar Lieferanten parkten in den dafür vorgesehenen Buchten und trugen Getränkekisten und diverse Kartons in die Gaststätten. Neuer Nachschub für die feierwütigen Nachtschwärmer, die jetzt alle noch schliefen.

      Vor dem Haus, in dem der Typ wohnte, parkte ein Möbelwagen. Ein Mann und eine Frau, umringt von mindestens vier kleinen Kindern, packten schwitzend ihre Habseligkeiten in den offenen LKW. Immer mehr Familien verließen diesen Stadtteil seit die jungen, gut verdienenden Karrieretypen das Viertel für sich erwählt hatten. Das war einfach schade.

      Zuerst waren es die neuen, unkonventionellen Galerien gewesen, billig angemietet, um neuen aufstrebenden Künstlern eine Plattform zu bieten, die immer mehr die alten Kneipen verdrängt hatten. Dann kamen die vielen seelenlosen Bistros, ein wie das andere gleich aussehend. Anschließend waren die ersten Hausspekulanten hier aufgetaucht und hatten die alten Mieter der Wohnungen und Geschäfte mit horrenden Mieterhöhungen vertrieben. Der Charme des alten Viertels starb langsam aus, dachte Hans Jürgen Michaelis traurig. Im Moment lief seine Kneipe noch recht gut, aber wie lange noch?

      Er drückte die Klinke der alten Tür und ging ins Treppenhaus. Die Flure rochen muffig und staubig und es gab keinen Aufzug. In der vierten Etage schnaubte er ein wenig und drückte auf den Klingelknopf mit dem Namen Schlüter.

      Pascal öffnete. Wie immer sah er krank aus. Er war blass und um seine Augen lagen tiefe schattige Augenringe. Wortlos ließ er ihn in die Wohnung. Im Wohnzimmer legte er sich auf sein Sofa und zündete sich eine Zigarette an.

      „Was willst du?”, fragte er genervt. „Ich habe nachher Spätschicht und ich muss noch pennen, sonst bin ich nicht fit.”

      Hans Jürgen Michaelis kam sofort zur Sache. Das Ganze war ihm sowieso unangenehm, also wollte er so schnell wie möglich wieder weg.

      „Hast du´s gelesen, in der Zeitung?”

      „Was?”

      „Na, der Tod dieser Wunderheilerin?”

      „Geistheilerin.”

      „Ja, von mir aus. Und, hast du es gelesen?”

      „Natürlich hab ich es gelesen. Was interessiert dich das? Du hast das doch immer für Humbug gehalten.”

      „Das