Elke Maria Pape

Der Fall Bahran


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Mein Mann fragt sich, wie das passieren konnte.”

      „Das mit Frau Bahran?”

      „Nein, dass ich hingefallen bin. Und mir die Knie aufgeschlagen habe.” Sie senkte traurig ihren Kopf. „Dass ich mich so gehen lassen konnte, das kann er nicht verstehen.”

      Zacharias tat die Frau leid. „Das war doch eine Ausnahmesituation, Frau Vollmer. Da kommt so etwas häufiger vor.”

      „Wirklich?”

      „Ja, ganz bestimmt!”, antwortete er mitfühlend. „Sagen Sie das Ihrem Mann.”, fügte er schnell hinzu.

      Sie nickte nachdenklich. Und Zacharias ahnte, dass sie wahrscheinlich nichts zu ihrem Mann sagen würde.

      „Ich nehme an, Frau Bahran war so etwas wie eine Freundin für Sie. Kann man das so sagen?”

      „Ja, eine Freundin, das war sie wirklich.”

      „Wie haben Sie sie kennen gelernt?”

      „In einem Schuhgeschäft.”

      Zacharias Weinfeld hob interessiert die Augenbrauen. War Frau Bahran so auf Kundenfang gegangen?

      Als hätte sie seine Gedanken erahnt sagte sie: „Das war Zufall. Sie wollte gerade Schuhe kaufen und ich auch. Sie merkte, wie unkonzentriert und gestresst ich war. Meine beiden Kinder waren dabei. So kamen wir ins Gespräch.”

      „Sie haben zwei kleine Kinder, nicht wahr?”

      Sie nickte und zum ersten Mal erschien der Anflug eines Lächelns um ihre Mundwinkel. „Vier und sieben Jahre alt.”

      „Und dann?”

      „Ja, wissen Sie, manchmal ist es ja so, dass man einem Fremden oft etwas erzählt, was man mit Freunden nicht bespricht. Und Frau Bahran, sie hat einfach gespürt, wie angespannt ich war. Ich musste den Tag auch noch zur Arbeit, ich arbeite in einem Drogeriemarkt, und die Kinder haben wieder einmal rum gequengelt, aber ich musste unbedingt für den Kleinen Schuhe kaufen, und ich wollte mir endlich auch mal wieder ein Paar gönnen, obwohl gar kein Geld dafür da ist. So kam eins zum anderen. Ich war in Zeitdruck. Eigentlich hatte ich gar keine Lust, mich mit ihr zu unterhalten, aber irgendwie strahlte sie so eine Ruhe aus. Wissen Sie, es tat einfach gut, mit ihr zu sprechen.”

      Nickend reichte Zacharias der Frau ein Glas Wasser. „Ich verstehe. Und dann hat sie Ihnen einen Termin vorgeschlagen?”

      „Nicht direkt. Sie hat mir eine Karte gegeben. Eine Visitenkarte mit ihrer Nummer. Ich könnte mich ja mal melden, hat sie ganz lieb gesagt.”

      „Haben Sie sofort zugesagt?”

      „Nein, ich habe ihr gesagt, dass ich mir so etwas nicht leisten kann. Schließlich hört man allgemein, wie teuer so etwas ist. Und mein Mann wäre damit sicher nicht einverstanden gewesen.”

      „Wie hat sie reagiert? Enttäuscht?”

      „Nein, gar nicht. Das hatte ich auch befürchtet. Aber sie hatte viel Verständnis. Sie deutete an, dass ich nicht viel bezahlen müsste. Sie wollte mir nur unbedingt helfen, ja, das sagte sie. Unbedingt helfen. Richtig dringend klang das. Können Sie sich das vorstellen?”

      „Und Sie haben sich gleich verstanden gefühlt?”

      „Ja, das muss ich zugeben. Obwohl ich keine bin, die schnell auf etwas herein fällt.”, betonte sie deutlich.

      „Wann war das?”

      „Im November. Aber ich habe dann drei Monate gebraucht, bis ich mich bei ihr gemeldet habe.”

      „Gab es einen besonderen Anlass?”

      „Nein, das nicht. Außer vielleicht, dass ich wieder diese starken Gelenkschmerzen hatte. Und ich musste ja zuerst mit meinem Mann darüber sprechen.”

      „Und wie hat er reagiert?”

      Sie zögerte. „Zuerst skeptisch. Unsere Probleme gehen andere nichts an, sagte er. Obwohl wir ja eigentlich keine Probleme haben. Es ist nur dieser wahnsinnige Stress. Ich habe mich durchgesetzt und gesagt, da gehe ich mal hin. Einfach mal sehen, wie das ist. Da hat er schließlich zugestimmt. Als er dann hörte, wie wenig ich bezahlte, hat er sich nicht weiter darum gekümmert.”

      „Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen, Frau Vollmer.” Zacharias blätterte mehrere Seiten in dem braunen Notizbuch hin und her, das vor ihm auf dem Tisch lag. „Ich sehe hier, dass Sie ziemlich oft da waren, drei bis viermal im Monat, manchmal sogar zweimal die Woche.”

      „Ist es das? Ist dass das Buch, von dem sie sprachen?”

      „Ja!”

      „Es stimmt, ich war oft da, und...” Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und schniefte. „Es hat mit sehr geholfen, sie hat mir sehr geholfen, Herr Weinfeld.”

      Er nickte mitfühlend. „Das glaube ich Ihnen.”

      „Und in dem Buch steht wirklich sonst nichts drin? Über das, was die Menschen, die zu ihr gegangen sind, geredet haben, meine ich?”

      „Nein, ganz sicher nicht.”

      „Bin ich denn eine Verdächtige? Sie können sich nicht vorstellen, was die Frau für mich war. Ich könnte ihr nie, niemals…!” Ihr Blick war ängstlich.

      „Nein, Frau Vollmer. Sie sind keine Verdächtige, um Gottes Willen. Es geht uns erst mal darum, uns ein Bild zu machen. Wie gesagt, wir laden alle Personen vor, deren Namen in diesem Buch stehen.” Zacharias hob das verschlissene Notizbuch in die Höhe. „Sie sind nur zufällig eine von ihnen.”

      „Aber ich bin die Erste, stimmst? Mich haben Sie als Erste kommen lassen?”

      Zacharias schüttelte den Kopf. „Das ist nur ein Zufall, Frau Vollmer, glauben Sie mir.“, beruhigte er sie. „Die anderen hatten Termine, aber alle werden zu uns kommen in den nächsten Tagen.”

      Sie schien erleichtert und machte Anstalten auf zu stehen.

      „Frau Vollmer, eines muss ich Sie noch fragen. Dann war’s das erst mal für heute.”

      „Ja?”, fragte sie unsicher. Wahrscheinlich konnte sie es nicht mehr abwarten, hier raus zu kommen. Er konnte es verstehen, bei der Luft, die hier vorherrschte. Allerdings war es draußen nicht besser. Die Vierziggradmarke war heute geknackt worden und laut Wetterbericht war keine Ende der Hitzeperiode in Sicht.

      „Wie viel haben Sie Frau Bahran bezahlt, sagen wir mal, für eine Stunde? Oder wie lange waren Sie jedes Mal bei ihr?”

      Frau Vollmer sah auf ihre Uhr. „Hören Sie, ich muss meine Kinder abholen. Sie sind bei einer Nachbarin.”

      „Wir sind gleich fertig. Also?” Zacharias blieb hartnäckig.

      „Ja, eine Stunde war ich immer da. Konnte auch schon mal länger dauern. Aber meistens eine Stunde, das ich richtig.”

      „Was ist in dieser Stunde passiert?”

      „Wie meinen Sie das?”

      „Was hat Frau Bahran getan?”

      „Meistens hat sie mir ihre Hände aufgelegt. Man spürte dann so ein komisches Kribbeln und eine unglaubliche Wärme. Direkt unheimlich war das manchmal.”

      „Hatten Sie denn immer starke Schmerzen?”

      „Ab und zu. Aber meine Hausärztin konnte sich keinen Reim drauf machen. Wahrscheinlich psychosomatisch, sagte sie. Aber das sagen die Ärzte ja immer, wenn sie nicht weiter wissen.”

      „Aber vielleicht hatte sie Recht. Schließlich haben Ihnen ja die Sitzungen bei Frau Bahran geholfen. Hat sie ihre Hände auf die schmerzenden Gelenke gelegt, oder wie muss ich mir das vorstellen?”, fragte er neugierig.

      „Ja, genau. Und sie hat nichts gesagt dabei. Und man selber musste auch ganz still sein, darauf hat sie Wert gelegt.” Frau Vollmers Augen begannen zu leuchten, so real waren plötzlich ihre