Mathias Scheben

Ruhe. Ruhe! Ruhestand?


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warst schon du früher gelegentlich gerne alleine, in Büro oder Werkstatt.

      Womit kannst du dich nun beschäftigen? Du könntest dir digitale Accounts anlegen, etwa auf Facebook, Instagram und Twitter. Deine Enkel werden dir zeigen können, wie das geht und wie du damit umgehst. Du kannst es aber auch lassen.

      Du könntest dich im Internet als Blogger einrichten; ein Thema für deine Posts wird sich wohl finden lassen. Ob du die Dönerbuden der Stadt testest oder die feinen Restaurants, das ist womöglich eine Kostenfrage. Du könntest im Netz über die kommenden Jahre hinweg Handwerker und Autowerkstätten bewerten, Ärzte und Apotheker, Geschäfte und Marktstände. Du könntest dich als Hobbykoch positionieren, als Hundeversteher oder Katzenfreund, Wanderführer oder Schnäppchenjäger.

      Du kannst das aber auch alles sein lassen, weil es derlei Albernheiten im Netz schon überreichlich gibt.

      Akzeptanz, Relevanz und neue Wertschätzung, nach denen dein Rentner-Ego sucht, wirst du mit derlei Aktivitäten kaum erreichen. Lasse die anderen machen!

      Es genügt völlig, wenn du nach deinem Berufsleben alleine dir und den Menschen deines engsten Kreises nützlich und sympathisch bist. Darüber hinaus bist du nicht mehr wichtig. Basta. Freue dich darüber, das entspannt.

      Gönne dich dir selbst, tue dir Gutes. Zum Beispiel durch neue globale Anregungen und Erweiterung des eigenen Horizonts. Jetzt hast du die Zeit, durch die Reisebüros deines Vertrauens zu vagabundieren, dort Informationsgespräche zu führen und Prospekte fürs häusliche Durchblättern einzustecken. Parallel dazu durchkämmst du die Reise-Portale im Internet.

      Damit bekommen deine Visionen von der schönen fernen Welt konkretere Strukturen, diffuse Wünsche werden kanalisiert oder konterkariert. Die Überlegungen zum „wann wohin“ erlangen einen höheren Reifegrad.

      Ob am Ende eine Weltreise steht oder die Einsicht, am besten ist es daheim, ist zweitrangig: Du beschäftigst dich sinnvoll, weil neugierig, und gewinnst neue Themen für Selbstgespräche und deine Unterhaltung im Familien- und Bekanntenkreis.

      Wer Prospekte lesen kann, der darf sich an Zeitungen wagen. Und an deren Rubriken und Seiten, die bei der früher möglicherweise beruflich bedingten Lektüre zu kurz kommen mussten. Die Sportseiten wirst du schon im Job nicht überblättert haben, eher die Beiträge im Feuilleton, über Kulturelles, Berichte aus der Wissenschaft und über gesellschaftliche Probleme, Kommentare und Leserbriefe.

      Gab es für dich bislang keinen Grund, die am Ort verfügbare, seriöse Regionalzeitung zu abonnieren, so handle nun. Du hast jetzt Zeit und garantiert Gelegenheit, willst deine Synapsen in Funktion halten. Bestelle dir das Blatt deines Vertrauens werktäglich ins Haus. Dann kannst du künftig zumindest über Dinge aus dem Nahbereich deines Wirkungskreises mitdenken und mitreden. Es ist faszinierend zu erfahren, wie bekloppt es zuweilen in der Lokalpolitik zugeht.

      „Everybodys life is local“, jedermann lebt „vor Ort“ und in seiner Zeit. Lass diese Wirklichkeiten, die dich umgeben und mitbestimmen, nicht an dir vorüberziehen. Informiere dich und nimm Anteil. Schon der örtlichen Todesanzeigen wegen. Wo und wie möchtest du platziert werden, wenn?

      Du gehörst bitte nicht denen, deren Wissensdurst so dürftig ist, dass er sich mittels kostenlos verteilter Werbepostillen und redaktionell armseliger Anzeigenblätter wird stillen lassen.

      Getoppt wird dein Gehirntraining durch den täglichen Erwerb wenigstens einer überregionalen Zeitung. Da sind es weniger die aktuell gemeinten Artikel, die von Interesse sind, denn Radio, Fernsehen und Internet sind per „Breaking News“ den klassischen Printmedien systembedingt um Stunden voraus.

      Es geht um viel mehr - um kommentierende Hintergrundberichte und Meinungskolumnen, ausführliche Interviews, Reports und Reportagen. Du wirst sie bald nicht mehr missen mögen, die Artikel aus Deutschland, Europa und der Welt, die hinter die Kulissen schauen und unter die Haut gehen.

      Am vom Grossisten gut bestückten Kiosk oder im Tabakladen findest du eine Auswahl an journalistisch anspruchsvoll gemachten Titeln. Teste sie durch und du wirst das Blatt deiner dauerhaften Wahl schon finden. Man kann derlei Publikationen abonnieren, aber achte darauf, dass sie dann nicht erst nachmittags mit der Post kommen, sondern gemeinsam mit dem Lokalblatt ausgetragen werden und frühmorgens in deinem Briefkasten liegen.

      Wessen Zeitung nicht rascheln muss, der kann das Lokalblatt und die überregionale Zeitung meistens auch per E-Paper auf Laptop, iPad oder Handy empfangen. Das kostet deutlich weniger als die gedruckten Ausgaben, aber das Lesen vom Bildschirm ist nicht jedermanns Sache.

      Hinter einem kleinen Mobiltelefon kann sich kein kluger Kopf verstecken. Dazu brauchst du schon das Nordische, Rheinische oder Berliner Format aus Papier. Zur Not tut es Tabloid, das halbe Nordische.

      Wer Zeitungen lesen kann, darf sich an Bücher wagen. Die Werke, die ungelesen bei dir herumliegen, die hast du schon entstaubt. Du musst dich nicht zwingen, sie je zu lesen, wenn dich der vermutete Inhalt aktuell nicht interessiert. Beim Schlendern durch Buchhandlungen entdeckst du mit Sicherheit Titel, die dir Vieles versprechen und hoffentlich viel davon halten.

      Kaufe dir einen nicht zu dicken Schinken und gib dir einen Ruck. Beginne deine Lektüre gleich am Tag des Einkaufs; weggelegte Bücher sind bald aus den Augen und aus dem Sinn, und dann haben sie subjektive Verfallsdaten. Wer weiß das besser als du.

      Sinnvolles zu lesen, dies nur am Rande, ist die beste Alternative zu den nachmittäglichen Prekariatsprogrammen privater Fernsehsender. Hin und wieder in derlei Schund einmal gelangweilt reinzuzappen, mag ja ein Jux sein. So lange es noch kein RTL III gibt.

      Du kannst dann zumindest glaubwürdig zum Thema des Kulturverfalls mitreden, mit gebührender Distanz und gezügelter Arroganz: Denn wer weiß, wozu es gut ist, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen mit derlei Programmangeboten ruhiggestellt werden.

      Immer wieder krawallige Dokusoaps anzuschauen, führt bei dir wahrscheinlich zu Pickeln, Krätze und Fremdschämen. Die Billigprogramme des privat finanzierten Fernsehnachmittags sind halt immer wieder mal unendlich derb, doof und langweilig, schlicht, und schlichtweg skandalös.

      Da liegt nichts näher als der Ausknopf an der Fernbedienung, und die wertige Zeitung, das lesenswerte Buch. Wenn du sie als Ruheständler gerade zur Hand hast, kannst du deinen vom Firlefanz faszinierten Enkelinnen und Enkeln den Fernseher ausschalten und ihnen stattdessen etwas Interessantes vorlesen. Du wolltest dich ja nützlich machen.

      Was guckst du? Steht noch ein Kino in deiner Kommune, und wenn ja, was läuft da so? Es wird schwer werden, in den gängigen Verleihsortimenten für dich einen altersgerechten Film zu finden. Vielleicht ist es zum nächsten Programmkino nicht weit, da wirst du fündig. Ob ein, zwei Versuche sich lohnen, hängst sicher auch vom Publikum ab - ist welches da und wenn ja, kommst du damit klar, wenn du der Älteste vor der Leinwand bist?

      Die Frage, ob dein Alter passt, wird nicht aufkommen, wenn du dich ins Theater oder Konzert traust. Hattest du dir nicht immer wieder mal vorgenommen, „später“ ein Abonnement abzuschließen? Jetzt, wo du als Rentner sicher bist, abends früh genug bereit zu sein, ist die Zeit gekommen, den Stammplatz einzunehmen. In der großen Stadt kannst du mit einem sogenannten Anrecht vielleicht sogar die Angebote mehrerer Häuser vor Ort kombinieren. Kostenreduziert natürlich.

      Dazu verspricht man dir so allerlei: Zum Beispiel, dass du nicht an der Kasse warten musst. Du bekommst den immer gleichen Sitzplatz und Rabatte ergatterst du beim Besuch zusätzlicher Veranstaltungen des städtischen Kulturbetriebs.

      Es gibt Premierenabos, Weihnachtsabos im Geschenkformat, oder Abos für bestimmte Zielgruppen. Und ganz normale Abos. Schau auf jeden Fall vorher ins Programmheft: Das Abo-Publikum wird von den Machern hinter den Kulissen gemeinhin als eher konservativ gebrandet, entsprechend konventionell kann das Angebot sein.

      Als Theater- und Konzertbesucher erlebst du das, was dir dein Heimkino nur nach erheblichem Aufwand in die Gerätschaften ermöglicht: Total großes Bild mit Rundumsicht in 3 D und Ultra HD, mehr als OLED fürs Visuelle, Rundumton für die Ohren. Dazu ist alles livelive, also nicht aufgezeichnet und dann zeitversetzt vorgeführt oder gar zuvor zurechtgeschnitten. Und werbefrei.

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