Brigitte Martin

Die Abenteuer des Henry Himmelblau


Скачать книгу

sah.

      „Meinetwegen, okay, wir behalten die Katze“, brummte er. „Du weißt genau, dass ich dir nichts abschlagen kann.“

      Lotti fiel ihm um den Hals. Sie drückte Theo einen Kuss auf die Backe und tanzte mit dem Katzenbaby auf dem Arm im Kreis herum. Wenn Lotti tanzte, sah das sehr fein aus. Sie tanzte wie eine Ballerina auf Zehenspitzen. Bog ihren schweren Bärenkopf anmutig in den Nacken und spitzte dabei den Mund.

      „Du wirst bestimmt ein guter Papa werden! Es wird wunderbar! Es wird wunderbar!“, rief sie immer und immer wieder.

      Da fiel Theo etwas auf. Er bemerkte, dass noch etwas im Körbchen lag.

      Es war ein Brief.

      „Vielleicht klärt sich nun alles auf!“, sagte Theo. „Vielleicht wird das Baby bald wieder abgeholt.“

      Lotti hielt die Luft an, während Theo den Brief mit seinen großen Tatzen öffnete und die Zeilen überflog.

      „Und was ist? Lies doch schon vor!“, rief sie.

      „Das ist Henry“, las er.

      „Wir haben einen Jungen! Wir haben einen Henry!“, murmelte Lotti.

      „Wir haben vor allem ein Problem!“, brummte Theo.

      „Wieso Problem? Was steht denn noch in dem Brief?“ rief Lotti.

      „Er ist in großer Gefahr, steht hier“, sagte Theo. „Bitte passt gut auf ihn auf und hütet euch vor dem Himbeerwald und vor dem schwarzen Eichhörnchen“, las er vor und starrte finster auf die zierlichen Buchstaben, die aussahen, als ob sie in großer Eile geschrieben worden wären.

       „Weiter steht nichts da“, sagte. „Hier endet der Brief.“

      Lotti stieß einen Schrei aus und blickte sich sogleich sorgsam um.

      „Der Himbeerwald ist gefährlich, das weiß jeder hier im Blaubeerwald“, brummte Theo. „Aber ein schwarzes Eichhörnchen? Was hat das zu bedeuten? Was ist das für eine Gefahr?“

      In dem Moment musste Henry niesen und dann begann er zu weinen.

      „Keine Angst, mein Kleiner!“, tröstete ihn Lotti. „Wir werden gut auf dich aufpassen, nicht wahr, Theo?“

      Sie warf Theo einen verschwörerischen Blick zu und drückte Henry fest an sich.

      Theo erwiderte nichts. Er richtet sich zu seiner vollen Größe auf, die Tatzen hoch erhoben, holte tief Luft und brüllte so laut, dass es im ganzen Blaubeerwald zu hören war.

      Lottis braune Augen leuchteten. Sie wusste, was das bedeutete.

      Es bedeutete ein JA. Es bedeutete, dass Theo von nun an, auf Henry aufpassen würde.

      „Jetzt kocht Lotti dir erst einmal einen feinen Milchbrei“, sagte sie zufrieden und band sich die Kochschürze um.

      Nachdem Henry seinen Brei gegessen hatte, schnurrte er und schlief ein.

      „Dich hat mir der Himmel geschickt. Ich werde dich Henry Himmelblau nennen!“, flüsterte sie glücklich.

      Sie sah nicht die Runzeln auf Theos Stirn, dem der Brief nicht aus dem Kopf ging. Welches Geheimnis verbarg sich dahinter?

      WAHRHEIT

      „Henry, komm doch mal bitte, wir müssen mit dir reden!“, rief Theo.

      „Oh je“, dachte Henry, denn er wusste sofort um was es ging.

      Bestimmt hatten sie bemerkt, dass er heimlich die Himbeermarmelade aus der Vorratskammer aufgegessen hatte. Es waren fünf ganze Gläser gewesen.

      Er hatte einfach nicht widerstehen können, denn Himbeermarmelade war einfach seine Lieblingsmarmelade.

      „Ich komme!“, rief er und sprang vom Garten durch das offene Fenster in die Höhle hinein. Mit angelegten Ohren stellte sich Henry vor Theo und schaute ihn verlegen an und musste niesen.

      Aus dem kleinen Katzenbaby war inzwischen ein hochgewachsener Junge geworden, mit langen Beinen und schmaler Brust, der fest daran glaubte, ein Bär zu sein - ein Bär wie seine Eltern, Lotti und Theo.

      „Setz dich“, sagte Theo und deutete auf den Stuhl und begann auf und ab zu gehen. Der Boden ächzte unter seinen Schritten. Der Esstisch wackelte und das Geschirr im Küchenschrank klapperte. Lotti, die ebenfalls unruhig umherlief, tauschte mit Theo verschwörerische Blicke. Schließlich blieben die Bären vor Henry stehen und es wurde still im Raum.

      Theo räusperte sich

      „Also, Henry, was wir Dir sagen wollten, ist folgendes“, sagte er und konnte den Satz nicht beenden, denn Henry war vom Stuhl aufgesprungen und rief:

      „Entschuldigung!“

      „Was?“, fragte Theo.

      „Wie bitte?“, rief Lotti.

      „Entschuldigung!“, wiederholte Henry.

      Theo zuckte mit den Achseln und flüsterte Lotti etwas ins Ohr. Sie seufzte und nickte. Dann legte sie Henry ihre Pfote sanft auf die Schulter und sagte: „Hör gut zu, Henry, wir wollten dir sagen, dass du…“

      „Ja, ich weiß schon! Sowas darf ein Bär nicht tun. Ein anständiger Bär frisst nicht heimlich alle Marmeladengläser leer. Mach ich nicht mehr, wirklich, versprochen“, rief Henry.

      So, jetzt war es raus. Er wartete darauf, dass sie ihn schimpften und herummeckerten. Aber nichts geschah. Lotti betrachtete ihre Bärenkrallen und Theo starrte ihn seltsam ernst an.

      „Ihr seid wohl sehr sauer?“, fragte Henry.

      Theo holte tief Luft. Seit Monaten trauten sie sich nicht Henry die Wahrheit zu sagen. Seit Monaten übten Lotti und er den Satz: „Henry, Du bist kein Bär, Du bist ein Kater“, das war es, was sie ihm sagen wollten, aber stattdessen sagte er:

      „Schon gut, Henry. Schwamm drüber.“

      „Ja, genau, Schwamm drüber“, sagte auch Lotti schnell. „Heute ist so ein schönes Wetter. Was haltet ihr davon, wenn - wenn wir einen Ausflug machen?“

      Henry blickte sie mit großen Augen an. Kein Geschimpfe? Ein Ausflug? Hatte Lotti wirklich Ausflug gesagt? Er konnte es kaum glauben. Was war heute bloß mit seinen Eltern los?

      „Wir dachten, wir könnten mit dir auf den Blaubeerwaldberg gehen, auf den großen Agbarberg, nicht wahr Theo?“, sagte Lotti.

      Theo atmete schwer.

      „Ja, stimmt, das könnten wir. Jetzt bist Du groß genug, um auf den steilen Berg zu gehen.“

      „Bis auf den Gipfel?“, fragte Henry mit glänzenden Augen.

      Theo nickte.

      „Und vielleicht sehen wir auf dem Weg sogar ein Königstier!“, sagte Lotti und eilte in die Küche um den Proviant für den Rucksack vorzubereiten.

      „Was ist denn ein Königstier, Mami?“, fragte Henry, während er zusah, wie Lotti und Theo eine Menge Brote mit Butter beschmierten und Äpfel einpackten.

      „Die Königstiere, das sind die Herrscher unseres Blaubeerwaldes und sie sind ausserordentlich klug“, sagte Lotti.

      „Das sind wir Bären, aber doch auch, oder?“, sagte Henry.

      Lotti und Theo seufzten gleichzeitig.

      „Die Königstiere sind aber noch klüger, sie haben eine Art geheimes Wissen“, sagte Theo. „Sie leben sehr zurückgezogen. Und sie lassen sich nur selten blicken.“

      „Aber vielleicht sehen wir ja doch eines“, meinte Lotti unbeirrt. „Manchmal tauchen die Königstiere einfach auf. Das habe ich gehört.“

      „Du meinst, sie stehen wie Geister plötzlich da?“, fragte Henry.

      Lotti nickte und