Brigitte Martin

Die Abenteuer des Henry Himmelblau


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erklären wir dir, wenn wir auf den Berg gehen“, sagte Theo.

      Er zwinkerte Lotti zu und flüsterte ihr ins Ohr: „Bei der Gelegenheit werde ich es Henry sagen. Ganz bestimmt!“

      Lotti nickte und sie machten sich auf den Weg zum großen Agbarberg.

      HIMBEERWALD

      Der große Agbarberg lag mitten im Wald. Der Weg auf den Gipfel war schmal, kurvig und sehr steil. So steil, dass man sah wie Theo dicke Schweißperlen von der Stirn liefen und Lotti schwitzte noch viel mehr. Ihr Fell war patschnass. Henry dagegen, lief ohne Mühe, leicht wie eine Feder, den Berg hinauf, jagte Schmetterlingen nach und stellte bei jeder Gelegenheit die Frage: „Gefährlich oder nicht gefährlich?“. Es war eine Art Spiel, das sie miteinander spielten, und die Bären zeigten je nach Lage, die Daumenkralle runter für gefährlich oder die Daumenkralle hoch für nicht gefährlich.

      „Da!“, rief Henry und deutete auf hohe Fichte. „Da will ich hinauf!“

      „Gefährlich oder nicht gefährlich?“

      Lotti zeigte den Daumen nach unten.

      „Gefährlich!“, rief sie.

      Theo zeigte den Daumen nach oben.

      „Nicht gefährlich, wenn du nicht zu hoch kletterst!“, sagte er und erntete dafür einen vorwurfsvollen Blick von Lotti.

      „Yippih“, brüllte Henry und war sofort hochgeklettert, sprang von der dritten, vierten, fünften bis zur achten Astgabel. Er wollte es seinen Eltern zeigen, dass er das mit Leichtigkeit konnte. Vor allem Lotti, die immer glaubte, er sei noch zu klein.

      „Es reicht, Henry, nicht weiter hoch!“, hörte er sie auch schon rufen und tat so, als ob er sie nicht gehört hatte. Er sprang einfach weiter.

      „Cool hier oben“, rief Henry auf der zehnten Astgabel, „Ich kann den Gipfel von hieraus sehen“

      „Toll“, rief Theo nach oben. „Ist es noch weit bis zum Gipfel?“

      „Ja, es sieht noch weit aus!“

      Theo stöhnte.

      „Was siehst du noch?“, rief Lotti.

      „Ein Eichhörnchen! Es winkt mir zu!“

      „Um Himmels Willen! Henry!“, rief Lotti, der sofort der Brief einfiel.

      „Gefährlich oder nicht gefährlich?“, rief Henry.

      „Wenn es schwarz ist, vielleicht!“, rief Theo. „Komm lieber runter!“

      „Es ist braun, hat aber einen schwarzen Schwanz!“, rief Henry. „Es sitzt im anderen Baum!“

      „Komm runter, Henry, sofort!“, rief Lotti und starrte angestrengt nach oben. Aber weder sie noch Theo konnten das Eichhörnchen entdecken.

      „Ihr müsst euch nicht gleich so aufregen“, rief Henry. „Das Eichhörnchen ist schon wieder weg.“

      Erleichtert atmeten die Bären auf.

      In diesem Augenblick landete ein Rabe neben Henry auf dem Ast.

      „Das gibt es nicht!“, sagte der Rabe, „So etwas hab ich in meinem Leben nicht gesehen!“

      Er wiegte den Kopf hin und her, plusterte seine Federn auf und schüttelte sich. „Einfach unglaublich! Eine blaue Katze sitzt hier mitten im Baum. Das wird mir keiner glauben.“

      Henry blickte sich um. Wieso Katze? Stand eine Katze hinter ihm? Er musste niesen.

      „Hey Du!“, rief er und machte eine paar Schritte auf den Raben zu. „Spinnst Du denn? Siehst Du nicht, dass ich ein Bär bin?“

      Der Rabe schüttelte den Kopf und hüpfte laut lachend rückwärts - bis er an der äußersten Astspitze saß. Und ohne zu überlegen sprang Henry hinter ihm her. Dabei rutschte er ab und schaffte es nicht mehr sich hochzuziehen. Rücklings fiel er nach unten. Er spürte den Wind, der ihm um die Ohren pfiff und hörte Lottis angstvollen Schrei und merkte wie es ihm plötzlich schwarz wurde vor den Augen und im anderen Moment, lag er in Theos Armen, der ihn aufgefangen hatte.

      „Alles in Ordnung, mein Junge?“, sagte Theo und Lotti strich ihm über den Kopf und atmete schwer.

      Henry fühlte sein Herz schnell klopfen.

      „War gar nicht schlimm!“, sagte er und musste niesen. „Du hast mich ja aufgefangen. Wenn ich ein großer Bär bin, möchte ich genauso werden wie du, Papi!“

      Henry sprang auf den Boden, stemmte die Pfoten in die Seite, stellte den rechten Fuß vor und brüllte so laut er nur konnte und musste selbst über den hellen und leisen Ton lachen.

      „Ups! Das Brüllen, das musst du mit mir aber noch richtig üben, Papi“, sagte er.

      Lotti und Theo sahen sich schweigend an.

      „Henry, wir müssen dir jetzt etwas Wichtiges sagen!“

      Doch Henry hörte ihnen gar nicht mehr zu, denn er hatte wieder den Raben entdeckt, der noch immer auf dem Ast saß und sie von oben interessiert beobachtete.

      „Sind Raben gefährlich?“

      „Nein, Raben sind nicht gefährlich. Kein Vogel ist gefährlich für uns“, antwortete Theo und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Aber Katzen sind gefährlich für Vögel. Sie fressen Vögel.“

      „Echt? Denen schmecken wirklich Vögel?“

      Bei dieser Frage bekam Theo einen Hustenanfall und Lotti fiel auch nichts Besseres ein, als mit zu husten.

      Die Bären klopften sich gegenseitig auf den Rücken. Als Theo wieder Luft bekam sagte er schnell, so schnell, dass sich die Worte überschlugen:

      „Wir müssen dir jetzt etwas sehr Wichtiges sagen. Etwas wirklich Wichtiges.“

      „Ich darf nicht mehr auf Bäume klettern? Stimmt’s?“, sagte Henry.

      Theo schüttelte den Kopf.

      „Wir drehen um und gehen nach Hause?“, riet Henry weiter.

      Wieder schüttelte Theo den Kopf.

      Gerade als Henry die nächste Frage stellen wollte, entdeckte er etwas, das ihn erschreckte. Er schrie auf. Und das erschreckte Lotti und Theo. Sie fletschten die Zähne und richteten sich zu voller Größe auf, die Pranken hoch erhoben, den Kopf zum Angriff nach vorne gestreckt, stellten sie sich vor Henry.

      Theos Eckzähne waren lang, spitz und gelblich. Lottis Zähne sahen auch gefährlich aus, nur ein bisschen kleiner und ein bisschen weißer.

      Beide Bären hatten den gleichen Gedanken. Sie dachten an das Eichhörnchen. Aber es war kein Eichhörnchen. Es war eine Schlange.

      „Gefährlich oder nicht gefährlich?“

      „Nicht bewegen!“, flüsterte Theo. „Das ist eine giftige Schlange!“

      „Sehr gefährlich?“, flüsterte Henry.

      „Ja, das ist eine Kreuzotter!“, raunte Lotti ohne den Blick von der Schlange zu wenden.

      Henry wurde es heiß. Sein Herz klopfte wild. Seine Knie zitterten. Er hoffte, die Schlange würde es nicht bemerken. Doch die Schlange war mit etwas anderem beschäftigt. Sie starrte wie hypnotisiert auf das Mauseloch vor dem sie lag.

      Die Bären zählten leise bis drei, dann brüllten sie gemeinsam los. Henry hielt sich die Ohren zu und die Schlange war mit einer einzigen Bewegung im Gebüsch verschwunden.

      „Puh!“, atmete Henry auf.

      „Puh!“, erklang es ebenso erleichtert aus dem Mauseloch. Eine graue Nasenspitze schnupperte vorsichtig heraus.

      Sofort war Henry wieder bei dem Spiel.

      „Gefährlich