Dagmar Herrmann

Aus dem Leben kleiner Leute


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Nur so im Vorbeigehen

       ändern wird sich nichts

       Machen Kleider Leute?

       Juist und Alpträume

       Benvenuto

       Tages einstieg

       eine begonnene reise

       Die Autorin

       Danksagung

      Unschlüssig stehe ich am Fenster, sehe, wie der Wind über den Marktplatz fegt die braun und rotorange eingefärbten Blätter, schon trocken, sich am Rande kräuselnd, fliegen eilig über den Boden und erzeugen ein Geräusch wie prasselnder Regen. Ich verfolge das Blattgestöber, das von dem Bauzaun auf der Straße aufgehalten wird und sich dort staut.

      Mein Blick geht hinüber zur anderen Straßenseite. Auf dem Bürgersteig steht ein Mann, ich vermute türkischer oder vielleicht auch bulgarischer Herkunft. Er steht mit verschränkten Armen, seine Lederjacke ist leicht geöffnet, krawattenlos, auch das Hemd am Hals weit offen, es ist noch mild für die Jahreszeit. Mit gespreizten Beinen, die Füße fest am Boden, verharrt und beobachtet er mit großem Interesse die Arbeit eines Straßenarbeiters, der Pflastersteine legt, der sich nicht eine Sekunde von seiner Tätigkeit abbringen lässt durch jenen Zuschauer, dem er in seiner gebeugten Haltung auf die Schuhspitzen sehen kann.

      Der Mann am Straßenrand verfolgt jeden Handgriff des Arbeiters beinahe andächtig, als wolle er von ihm lernen, wie kunstvoll ein Kopfsteinpflaster zusammengefügt wird. Gleichgültig mit stoischer Ruhe setzt der Straßenarbeiter Stein für Stein, er hebt nicht ein einziges Mal den Kopf, um dem beharrlichen Zeugen seiner Arbeit ins Gesicht zu sehen, vielleicht mit ihm ein Wort zu wechseln. Er arbeitet beständig weiter, pflichtbewusst, verlässlich, das Bild eines urwüchsigen deutschen Arbeiters abgebend, einer wie er im Buche steht, unerschütterlich, zuverlässig, pflichtgemäß seine Arbeit verrichtend, geradezu wie die Demonstration des Fleißes gegenüber dem Müßiggänger, der Maulaffen feilhält.

      Mag sein, das denkt so in seinem Kopf, unter seinem blonden, kurzgeschnittenen Haar, hinter seiner glatten Stirn, während er mit seinen starken sehnigen, braungebrannten Händen Stein um Stein setzt, Fuge um Fuge füllt.

      Jetzt nimmt er den Hammer und klopft die Pflastersteine fest und fester, nachdrücklich hämmert es, laut, der wuchtige Klang des Hammers hat etwas Beunruhigendes. Der Zuschauer rührt sich nicht vom Fleck, die Haltung unverändert. Mir ist seltsam zumute, ich wende mich ab, trete zurück ins Zimmer.

      Windböen wirbeln

      leergefegt der Bürgersteig

      ein Mann irrt umher.

      (Ein Haibun, das sein Format überschritten hat.)

      Kleine Jungenstreiche machten die Rotzlöffel aus der Nebenstraße, die jetzt um die Ecke rennende Bande von kurzgeschorenen Morgenlandnachkömmlingen, die noch frisch hinter den Ohren, sich ohne Rücksicht, einen schlechten Eindruck zu hinterlassen, in den Straßen tummelte. Mit ihren dunklen, frech blitzenden Augen kamen sie vorbeigerannt, und er schenkte jedem einen gedrehten Zuckerwattestiel, und das Leuchten dieser glänzenden runden Kinderaugen brachte sein schwaches, nachgiebiges Herz zum Pochen.

      Die Freude nahm er wie ein Geschenkpaket an sich und drückte es unter die schäbige Jacke, und am Blumenstand, der noch bis spät abends geöffnet ist, kaufte er für die Schneiderin, die in Parterre eine Nähstube betrieb und gleichzeitig das Haus hütete, einen einfachen Strauß Margeriten, von denen er dachte, sie würden gut zu ihrem glatten freundlichen Gesicht passen.

      An der Imbissbude stand der Taxifahrer und schmauchte sein Zigarillo, und sie grüßten sich verhalten, denn der Georg, der das eigene Taxi seit kurzer Zeit erworben hatte und stolz durch die Straßen der kleinen Stadt steuerte, hatte seitdem einen Dünkel, und er dachte, er verachte seine ziellose Unentschlossenheit, seinen Mangel an Willen, es zu mehr zu bringen als jeden Tag diesen kleinen Stand und dann gelegentlich auf den Märkten und dabei diese lächerliche Figur abzugeben mit schlotternden Hosen und dem mageren Ziegenbärtchen und einer bescheidenen Mansarde, in der er wohnte, nach Georgs Meinung hauste; aber es war blitzeblank und man hätte, wie die Frau Schneiderin immer sagte, vom Fußboden essen können, und niemals kam ein böses Wort über seine Lippen.

      „So ein Depp, der Anton,“ sagte der Georg und dann warf er den Zigarillostummel in den Gully und riss für eine aufgedonnerte Dame mittleren Alters die Wagentür auf, und Anton pfiff ein Liedchen und dachte an die leuchtenden Augen und an das rundliche schimmernde Gesicht der Schneiderin, die Lieselotte hieß, und er klingelte an ihrer Wohnungstür.

      Vorbeigegangen

      ein Mantel ohne Knöpfe

      lag in der Pfütze

      (Haiku)

      als ginge es um sein Leben. Es geht um sein Leben

      Vielmalig die Schreie

      in anders gearteten Käfigen Eingezwängter

      unhörbar. Weit weg nicht

      dicht unter dem Fenstersims,

      an dem die lustigen luftigen

      behüteten Köpfe der Sommersehnsüchtigen

      vorbeiflanieren

      Ein Sonntag wie dieser

      auch der letzte Obdachlose findet heute eine Bank,

      seine Beine lang zu strecken.

      An den Ecken lümmeln sich

      die Schlingel aus der Nachbarschaft

      kopfnickend und handzeichengesprächig:

      Bald ist kiffen erlaubt

      Lachend! Wir haben bisher auch nicht gefragt

      und die Omis mit ihrem Rollator unterwegs

      die Haare sind weiß und der Buckel krumm.

      Nein, sagen die wackligen Köpfe:

      Wir gehören nicht zu der Sorte Alter

      die lustig ist das Rentnerleben behaupten

      Skipisten bezwingen oder sich in Malle

      noch mal richtig was gönnen

      Auch der Hund am strengen Gängelband

      über den Gehweg gerissen hat keine Wahl

      treublickend, die Augen empor

      zu dem Quälgeist und Schinder

      So ein Sonntag am Morgen:

      Noch ist alles offen für mich

      aber alles ist auch so wie sonst

      Herr Schulte machte seinen Morgenspaziergang, kaufte am Kiosk die Tageszeitung. Wie gewohnt holte er Brötchen beim Bäcker um die Ecke, zwei Krosse und ein Kaneelbrötchen für Hertha.

      Hertha konnte nicht mehr so richtig beißen, sie war zu schwach zum Kauen, sogar das weiche Brötchen musste sie einstippen, lutschte es in die Mundhöhle hinein.

      Es schauderte ihn beim Zusehen, und gleichzeitig empfand er schmerzhaftes Mitleid, wenn er sah, wie die Milch in kleinem Rinnsal wieder aus den Mundwinkeln hinunter in die Halsbeuge lief. Er wischte sie dann immer mit aller Zartheit und Rücksichtnahme, derer er fähig war, mit dem neben dem Kopfkissen bereitgelegten Handtuch fort.

      Ihr Hals war dünn und hager wie der eines kleinen Vogels geworden, spitz ragte zwischen den Hautfalten der Kehlkopf hervor. Vor einiger Zeit hatte sie das Sprechen aufgegeben. Herr Schulte wusste