Nacht, von seiner Gattin ein liebevoll zubereitetes Frühstück serviert wird, und Ilse wundert sich, warum bisher um den „Darjeeling-first-flush-Blatttee“ so ein Aufhebens gemacht wurde.
Diese kleine Morgengeschichte am Abend, wenn der Tag verdunkelt, gelesen sollte allen eine Warnung sein... vor allen den fleißigen Hausfrauen, die Sache mit den Grundsätzen ihrer aushäusigen Männer nicht zu ernst zu nehmen.
Das Sterben ist einfach
hatte er immer gesagt, der Herr Schwan.
Die Todesanzeige erschreckte die Nachbarschaft.
Das war doch immer so ein lustiges Haus, immer einen Scherz auf den Lippen, immer so hilfebereit, hat morgens für die gehbehinderte Frau Radtke, seine Gegenübernachbarin, den Mülleimer rausgestellt und ihr die Bild-Zeitung, diese zwar eher widerwillig, und Brötchen besorgt. Na gut, alle wussten es, seit seine Frau Erna so früh verstarb, da ging es bergab mit ihm, da hat er zu tief ins Glas geschaut, aber immer adrett und nett, auch weiterhin, sein Vorgarten tipptopp gehalten mit dem Rasenkantenschneider kerzengerade die Linien gezogen, die Blumen nach Farben geordnet, in Reih und Glied standen sie im gejäteten Beet. Die Akkuratesse in Person.
Dann fing er an, so merkwürdige Sachen zu machen. Na ja, die ganze Nachbarschaft hat darüber getuschelt und hat auch manchen Ärger verursacht. Über Nacht ist er wohl sentimental geworden. Hat bei jeder Gelegenheit geweint und gesagt, die Welt, sie sei so schlecht. Er könne es nicht mehr ertragen, und die Kinder hätten kein Benehmen, aber sie könnten ja nichts dafür, sind sich selbst überlassen, die Alten sind abgeschrieben, solche wie er, die nicht mehr gut zu Fuß sind, sie können nicht mal mehr die Straße überqueren, weil die Ampeln in der Hälfte wieder auf Rot schalten, und die jungen Leute, sie rempeln dich an. Er traue sich bald nicht mehr auf die Straße. Und dann hatte er einen Vogel mit dem Ali und dem Amadou, der ein Schwarzer ist, der eine Türke und der andere ein Neger, schwarz wie Kohle, die sind anders. Er faselte immer davon, wie freundlich die beiden seien, helfen den Alten und Schwachen, und sag nur ein Wort, dann machen die alles im Haus; aber die Leute reden so gemein und gehässig über sie, und beide haben immer Ärger, wenn sie unterwegs in der Stadt sind.
Neulichst haben sie die Frau vom Amadou in den Rinnstein geschubst. Die Frau ist dann ins Krankenhaus mit gebrochenen Rippen und einer Gehirnerschütterung, und im Krankenhaus, da ist sie aus dem fünften Stock gesprungen, war sofort tot, und der Amadou ist nicht mehr aus dem Haus, und eines Tages war er verschwunden, und das alles habe ihn so fertiggemacht, den Herrn Schwan, sagte er, und das Ende vom Lied war, dass er dahinsiechte wie eine Blume, die nicht gegossen wird, und auf einmal war er dann tot.
Ein Hochzeitsfoto
Inspiriert von Botho Strauß’ Gedichtband: Diese Erinnerung an einen, der nur einen Tag zu Gast war.
Dieses Seufzen war ihr zur Gewohnheit geworden. Sie starrte auf die Tischplatte. Sie wies ein paar dunkle braune Flecken auf. Rechter Hand stand die Teetasse ihr im Weg, sie unterdrückte rechtzeitig den Impuls, sie mit einer Handbewegung zu Boden zu räumen.
Als sie sich vom Stuhl hochwand, sah sie ihr Gesicht in der Spiegelung des Hängeschranks, hässlich, einfach hässlich diese Resopalküchenschränke, Kalkweiß oder Graublass hätten zur Auswahl gestanden, sie hatten sich für Graublass entschieden, genauer genommen, er hatte sich entschieden, und ihr war nichts anderes übrig geblieben, als ergeben mit dem Kopf zu nicken. Während der Verkäufer anwesend war, gab er sich als emanzipierter Ehemann, der ohne mit seiner Frau Rücksprache zu nehmen keine Entscheidung herbeiführte. Schließlich wusste er doch, wie ihre Meinung umgangen werde konnte. Sie hatte einen liebevollen Blick auf den eierschalenfarbenen Schrank im klassischen Stil geworfen mit Schubladen und Türen mit gedrechselten Knöpfen, der ein ganzes Stück teurer gewesen wäre.
Das Spiegelbild warf ihre missmutige Miene zurück, zwischen den Augenbrauen die steilen Falten, die, wenn sie es sich zur Gewohnheit werden ließe, sich als Dauerzustand der inneren Unzufriedenheit in die Stirn einprägen und nach außen Zeugnis davon ablegen würden. Noch war ihr Gesicht fast ebenmäßig, nur ein paar feine Krähenfüße umrahmten die Augen.
Sie schlurfte durch den Flur ins Wohnzimmer, warf sich aufs Sofa, knipste die in Reichweite liegende Fernbedienung an, wie immer auf dem Ersten so ein Trivialscheiß, verlogener Mist von Liebe, Lust und Leidenschaft, jedenfalls deuteten die Titel darauf hin, wie „Schenk mir noch einmal rote Rosen“ oder „Im Sturm der Leidenschaft“, sie schaltete eilig weiter. Soko, immer Soko auf dem Zweiten. Sie entschuldigte ihren nach-mittäglichen Müßiggang mit dem Erschöpfungszustand eines nachklingenden grippalen Infekts.
Er würde es ihr nachsehen: Mach’ einfach nichts, lass dich hängen, dann wird’s bald wieder besser.
An dem Flimmern des Bildschirms vorbei verfing sich ihr Blick in dem aufgestellten Foto auf dem altmodischen Büfett, das eigentlich nutzlos war, aber gegen ihren Widerstand nicht abgeschafft wurde. Sie liebte antike Möbel, Geschirr, und manchmal fand sie im nahegelegenen Recycling-Center ein paar schöne alte Raritäten, Sammeltassen, Wein- und Aperitifgläser, die sie wie eine kostbare Beute nach Hause trug und ihnen einen würdigen Platz in oder auf dem Büfett einräumte.
Es war ihr Hochzeitsfoto. Sie wusste nicht genau, was sie bewog aufzustehen, es in die Hand zu nehmen und genauer zu betrachten. Sie, im weißen Kostüm mit einer blauen Blüte am Kragen, ernstblickend, er, im dunklen Anzug, offenem Hemd, Schlips kam damals nicht in Frage, und dem obligatorischen grün-weißen Blütenanstecker am Revers, lächelnd, sich ihr mit der rechten Wange zärtlich zuneigend.
Sie nahm das Foto aus dem Rahmen, drehte es um. Auf der Rückseite standen ein paar verblichene Zeilen, jedoch leserlich: Für immer und ewig, nichts kann uns trennen.
Ihr Herz machte einen Sprung.
Was war nur mit ihnen in all den Jahren geschehen? Sie erinnerte sich an die erste Zeit ihrer Ehe. Sie hatten es nicht schwer gehabt. Seine Eltern waren großzügig und, außer-gewöhnlich genug, mischten sich nicht in ihre Angelegenheiten. Sie wollte keine Kinder, und ihm war es recht. Die Erinnerung an ihre gemeinsamen Urlaube in Italien, Bildungsreisen und dolce far niente am Mittelmeer, Campari am Nachmittag, oder Weißwein, Pinot grigio, Chardonnay, ihr Lieblingswein, in malerischen Restaurants, auf Holzstegen, die ins Meer hineinreichten. das sanfte Gluckern der Adria, eine gedämpfte Stimmung, ein Ineinanderfließen von Horizont und Meer. Nur Stille und eine Zweisamkeit ohne Worte.
Der tägliche Kleinkram hatte sie aufgefressen. Sie tatenlos, er bestand darauf, dass sie es gut haben und immer für ihn da sein sollte: Mach dir einen schönen Tag. Endlose schöne Tage, die sie mit Nichtstun verbrachte, bis dann die Depression kam. Sie wusste, sie hatte etwas versäumt in ihrem Leben, sie hatte es sich aus der Hand nehmen lassen, so wie sie es von zu Hause gewohnt gewesen war.
Eindringlich betrachtete sie die beiden jungen Menschen auf der Fotografie.
Es war noch nicht zu spät, noch einmal an die gute Zeit am Beginn ihrer Beziehung, nein, dummes, bedeutungsloses Wort, Liebe anzuknüpfen.
Im Schrank wühlte sie die in die hinterste Ecke gerückten Kleidungsstücke durch. Da war das mit gelben Blüten bestickte blaue Kleid, das er immer so gerne an ihr gesehen hatte. Es passte noch. Sie deckte den Kaffeetisch, zwei ihrer wie Schätze gehüteten Sammeltassen mit Goldrand, stellte Kaffeewasser auf, da war er eigen, bloß keinen Kaffee aus der Maschine, pflegte er zu sagen, und schnitt aus dem Garten ein paar weiße Hortensien, die sie in die chinesische Vase stellte, die ihnen seine Mutter geschenkt hatte.
bruchstück
steinchen für steinchen zusammgesetzte
erinnerungsstücke wieder heile gemachte
kaffeekannen zerrieben zwischen liebe und
angst sauerbraten und kartoffelklöße ein
gemacht und eingestampft dauerrennen
um die ecke einem rockzipfel unversehrt
sein hinterher
An