Nadja Losbohm

Die Jägerin - In Alle Ewigkeit


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seufzte ich und setzte mich auf die Bettkante. „Erkältungen gehören zum Leben eines normal-sterblichen Erdenbürgers dazu. Es ist nicht schön, aber da muss jeder hin und wieder durch. Du hast das nur in all der Zeit vergessen. Jetzt reiß dich ein bisschen zusammen, bitte. Selbst Rosalie stellt sich nicht so an, wenn sie krank ist. Bist du ein Mann oder eine Maus?“

      „Eine Maus“, antwortete er und schnaubte sich die Nase. Als er fertig mit dem Trompeten war, rutschte er im Bett nach unten und starrte mit leerem Blick hinauf zur Zimmerdecke. „Du habt ja Recht, Aba. Ib habe eb vergebben. Ib gelobe Besserung. Aber für dieses Bal bitte ib dich noch: Hab Bitleid“, flehte er und sah mich an.

      Ich lächelte, lehnte mich zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Einverstanden.“ Während ich mich schwer damit tat, ihn zu betütteln, war seine Tochter ganz Feuer und Flamme, ihren Vater zu hegen, zu pflegen und zu verwöhnen. Auf ihren kleinen Füßen kam sie in unser Schlafzimmer hereingelaufen und kletterte auf das Bett. Rosalie war nun zwei Jahre und beinahe drei Monate alt. Sie war ein aufgewecktes und fröhliches Mädchen, das sich mit seinen großen braunen Augen die Welt stets aufmerksam besah. Ihre braunen Haare reichten ihr schon fast bis zur Hüfte und wuchsen schneller, als ich sie abschneiden konnte. Obwohl sie zumeist ein sonniges Gemüt hatte, mischte sich gelegentlich eine Spur von Nachdenklichkeit darunter, die nicht recht zu ihrem Alter passte. Aber auf diese Weise vereinte sie etwas von ihrem Vater und mir in sich. Etwas wehmütig beobachtete ich unsere Tochter dabei, wie sie ihrem todkranken Vater ihr Lieblingskuscheltier, einen hellbraunen schlappohrigen Hasen, den sie schon als Baby von ganzem Herzen geliebt hatte, auf die Brust setzte. Wenn ich krank war oder es mir schlecht ging, brachte sie mir nie ihr Kuscheltier. Mhh, vielleicht lag es daran, dass ich durch meine nächtliche Arbeit und das Schlafen am Tage weniger Zeit mit ihr verbrachte und sich Michael überwiegend um das Bringen und Abholen aus dem Kindergarten, Arzt- und Zoobesuche kümmerte, dass Rosalie sich mit ihm mehr verbunden fühlte als mit mir. Es war nicht ganz so schlimm, wie es sich anhört, aber es war spürbar, wie sehr sie sich zu ihrem Vater hingezogen fühlte. Manchmal störte es mich, und ich verspürte einen eifersüchtigen Stich deswegen, auch wenn ich ihre Zuneigung nachvollziehen konnte. Ich liebte ihren Vater ja ebenso sehr. Nur nicht, wenn er krank war. „Rosalie, bitte geh nicht so dicht an deinen Vater heran. Du steckst dich sonst bei ihm an“, sagte ich.“

      „Mummy“, quengelte sie und blickte mich flehentlich an, während sie sich der Länge nach neben ihren Vater legte und ihren Kopf an seine Schulter lehnte.

      Ich machte mich gerade noch unbeliebter bei ihr, aber ich tat es nicht aus Missgunst, sondern weil ich besorgt um sie war und auch weil ich keine Lust hatte, zwischen zwei Kranken umherzuspringen. Ist das egoistisch von mir? Auf jeden Fall! „Na komm, Schätzchen“, sagte ich, stand auf und ging auf die andere Seite des Bettes. „Dein Daddy muss sich ausruhen, damit er schnell wieder gesund wird. Lassen wir ihn jetzt schlafen, okay?“, sagte ich und reichte ihr meine Hand. Rosalie schüttelte den Kopf und schmiegte sich nur noch enger an ihren Vater. „Rosalie!“, sagte ich ihren Namen streng, doch sie blieb stur liegen. Wie war das? Sonniges Gemüt, nachdenklich und - dickköpfig. Wie ihre Eltern. Fantastisch!

      „Lass sie doch, Aba, wenn sie böchte“, mischte sich Michael ein. „Sie ist bür mich die beste Bedizin.“ Zärtlich schmiegte er seine Wange an ihre Stirn und lächelte glückselig. Für einen kurzen Moment war ich versucht nachzugeben, doch dann hustete Michael heftig, und in seiner Lunge rasselte es, als würden in ihr Ketten liegen. Na, wenn das mal nicht reichte, um Rosalie anzustecken.

      „Schluss damit! Junge Dame“, ich beugte mich hinunter und hob Rosalie hoch, „du kommst jetzt mit mir mit. Daddy hat deinen Stoffhasen, der ihm hilft, wieder gesund zu werden. Wir bringen uns nun beide lieber in Sicherheit.“ Meine Tochter protestierte zwar lautstark, schlug aber wenigstens nicht um sich, wofür ich sehr dankbar war. Sie streckte ihre kurzen Arme nach ihrem Vater aus und bettelte darum, ihm noch einen letzten Kuss zu geben, bevor wir das Zimmer verließen. Ich war streng, strenger als Michael, aber ich war auch keine Rabenmutter. Mit Rosalie auf dem Arm lehnte ich mich ein Stück hinunter, damit sie ihm ein Küsschen auf die Stirn geben konnte.

      So sah nun das Leben der Jägerin aus: ein Kampf mit Quengelei von einem, nein, zwei Kindern, Erkältungen und Erziehungsmaßnahmen und, nicht zu vergessen, Vampiren. Ich gestehe, ich würde diese im Moment allem anderen vorziehen.

      2. Kapitel

      Ein Jahr war vergangen, seitdem die St. Mary’s Kirche zerstört worden war und wir unser Zuhause verloren hatten. Unmittelbar danach war die Frage aufgetaucht: Wohin? Viele weitere Fragen hatten sich uns damals gestellt, auf die es nur eine passende Antwort gegeben hatte: Aidan und Laney. Das Haus an der Küste war perfekt. Zum einen war Rosalie dort versteckt vor den gierigen und hinterlistigen Händen der Kirche, die ihren Vater unendlich viele Jahre betrogen hatte und auch nicht vor seiner Erbin Halt machte. Ich war zunächst zwar nicht sehr angetan gewesen von der Idee, meine kleine Tochter an einen Ort zu schicken, an dem Gefahren lauerten wie steile Klippen, spitze Steine und Bodenspalten, in die man hineintappen konnte. Aber dann hatte sich gezeigt, dass dies wohl der ideale Unterschlupf für uns war, um unterzutauchen, abzuschalten, die Geschehnisse zu verarbeiten und, in Michaels Fall, anzukommen in der normalen Welt. Mithilfe meines Bruders Alex, der herumtelefonierte und uns in unser Versteck brachte, waren wir zu unseren Freunden und unserer Tochter gezogen. Ja, auch ich hatte die Stadt verlassen und mir eine kleine Auszeit gegönnt. Ich hatte mich von Michael verabschieden müssen. Ich hatte seinen letzten Atemzug gehört, seinen letzten Herzschlag gespürt. Und dann war der Mann, den ich mit jeder Faser meines Seins liebte, zu Staub zerfallen. Ach was! Er war zu weniger geworden: Luft. Er war zu Luft geworden! Und dann – dann war er plötzlich wieder dagewesen. Er lebte. Er war zu einem sterblichen Menschen geworden, der sich frei bewegen konnte und nicht mehr an einen Ort gebunden war. Wie sollte ein Durchschnittsverstand wie meiner so etwas begreifen können? Ich hatte eine Pause gebraucht. Wir alle hatten sie gebraucht. Und zwei Wochen Erholung vom Jägerin-Dasein ist nicht viel, ganz besonders dann, wenn es um Vampire geht. Sorry, Leute. Aber ihr wisst, wie ätzend ich die Blutsauger finde.

      Es war herrlich gewesen an der Küste! Das Haus hatte nicht viel Platz geboten für vier Erwachsene und zwei Kinder, denn Mailin, Aidans und Laneys Tochter, war ebenfalls mit uns dort, aber die Enge hatte es nur noch gemütlicher gemacht. Alles war so wunderbar normal gewesen. Wir waren spazieren gegangen durch die Landschaften, hatten uns den kalten Küstenwind um die Nasen wehen lassen und hatten das Salz in der Luft gerochen. Wir hatten Barbecues veranstaltet, für die wir mit Aidan zum Einkaufen in nahegelegene Dörfer gefahren waren. Zusammen mit Rosalie hatten wir den Strand und die Lebewesen des Meeres entdeckt wie Krebse, Muscheln und eklige Würmer, die sich aus dem Sand gebohrt hatten. Mein kleines Mädchen hatte das ganz wunderbar gefunden und sie in die Hand genommen, um sie eingehender zu betrachten und mir zuzuwerfen, woraufhin ich beinahe mein Frühstück von mir gegeben hatte. Wir hatten mit Brot Enten gefüttert und waren um unser Leben gelaufen, als gierige Möwen uns attackierten und uns den Beutel mit den Brotstücken entreißen wollten. Es war ein Heidenspaß! Und während Rosalie des Nachts friedlich geschlummert hatte, standen Michael und ich Arm in Arm am Rande der Klippen, vor denen mir vor nicht allzu langer Zeit noch gegraust hatte, und schauten auf das Meer hinaus, auf dessen Oberfläche das Mondlicht und die Sterne geglitzert und getanzt hatten. Es geschah mehr als einmal, dass wir uns dort liebten. Der steinige Boden war nicht gerade der bequemste Untergrund und es war kühl, ja geradezu kalt gewesen. Doch Michael hatte genug Hitze für uns beide gehabt und somit fror ich nie. Nur wenn ich ihn nachdenklich allein dort stehen sah, wie er in die Ferne starrte, der Wind zerzauste sein dunkles Haar und zerrte an seinen Kleidern, als wollte er sie ihm vom Leib reißen, was mich nicht gestört hätte, war mir kalt geworden. Ich hatte mich dann jedes Mal gefragt, was in seinem Kopf vorging. War er glücklich hier mit uns? Vermisste er etwas? Wünschte er sich, die Zeit zurückdrehen zu können? Wenn ich ihn danach gefragt hatte, versicherte er mir, er sei glücklich und zufrieden und wie um seine Worte zu untermalen, hatte er mich leidenschaftlich geküsst und mich fast überzeugt. Ein Rest Zweifel war stets geblieben. Bis heute. Ich wollte ihm glauben, ich musste ihm glauben. Wieso hätte er sonst den Pakt mit Gott geschlossen, der ihn zu mir zurückgebracht hatte?