Nadja Losbohm

Die Jägerin - In Alle Ewigkeit


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er so lange nicht gesehen, geschweige denn erkundet hatte, und die nun offen vor ihm lag. Er hatte die Möglichkeit, überall hin zu gehen. Stattdessen beschränkte er seine Rückeroberung des Erdkreises auf die kleine Hütte am Meer. War es das – fühlte er sich hier an jenem Ort ebenso sehr gefangen wie einst in der St. Mary‘s Kirche? An einem gewissen Punkt hatte ich mich dazu entschieden, es gut sein zu lassen. Ich wollte mich nicht selbst mit diesen Gedanken quälen, die sich am Ende ohnehin als irrsinnig entpuppen würden. Die Zeit würde mir schon zeigen, was stimmte und was nicht.

      Zeit. Ja, die Zeit ist ein heimtückisch‘ Ding. Sie war rasend schnell verflogen, und schon bald waren die zwei Wochen vergangen, in denen wir wie eine ganz normale Familie gelebt hatten. Dann aber hatte uns unsere Vergangenheit eingeholt. Nicht auf monstermäßige Art. Nein. Die Viecher war ich ein für alle Mal los. Aber dafür hatte uns die Vergangenheit auf blutsaugende Art eingeholt. Wobei das auch nicht recht stimmt. Jedenfalls nicht so, wie Sie jetzt vielleicht denken. Uns hatte kein vampirischer Treck überfallen und uns allesamt abgeschlachtet in unserer kleinen, gerade erst gefundenen heilen Welt. Das wäre ja grausam gewesen und davon hatten wir doch in der letzten Zeit wahrlich genug gehabt. Die Blutsauger holten mich ein, indem Michael auf sie zu sprechen kam. „Oh bitte! Muss das sein? Wieso fängst du jetzt davon an?“, hatte ich gejammert und das Gesicht in meinen Händen vergraben. Gerade hatte ich noch genüsslich an einem Steak herumgeknabbert und er fing mit so etwas an. Mann ey!

      „Wir müssen darüber reden, Ada. Es wird Zeit“, hatte Michael gemeint und meine Hände von meinem Gesicht gezogen. Da war sie wieder: die heimtückische Zeit.

      Ich hatte ihn zuckersüß angelächelt und ebenso zuckersüß entgegnet: „Du hast wie immer Recht, Liebster.“

      „Ada!“

      „Was? Ich sagte doch, du hast Recht. Was willst du noch von mir?“

      „Der Ton macht die Musik.“ Michael hatte sich in einen Sterblichen zurückverwandelt. Er konnte überall hin gehen, wohin ihn seine Füße trugen. Er war nicht mehr der Leiter der St. Mary’s Gemeinde. Ja, es hatte sich einiges verändert. Aber was sich wohl niemals, niemals, niemals ändern wird, ist sein oberlehrerhaftes Benehmen und sein Pflichtbewusstsein den Menschen gegenüber. Bewundernswert, aber auch schade. Doch wer das eine will, muss das andere mögen, nicht wahr?

      Und somit hatte eine lange Diskussion begonnen darüber, dass ich zurückkehren musste, um meiner Aufgabe als Jägerin nachzukommen und die Menschen meiner Heimatstadt zu beschützen. Ich hatte sie sich viel zu lange sich selbst überlassen, wie Michael befand. Hey! Dan Meyers, der Reporter, und ich hatten sie gewarnt, aber sie hatten nicht hören wollen und sich verschlossen vor diesem übernatürlichen Schnickschnack, wie Alex mir aus den Kommentaren, die unter dem Internetvideo des Reporters gepostet worden waren, vorgelesen hatte. Aber ich hatte schon verstanden. Ich war die Jägerin. Es war meine Pflicht und es war - na was? - Zeit, das zu tun, was eine Jägerin tut.

      Unsere Rückkehr in die Stadt gestaltete sich allerdings als problematisch. Ich galt für die Öffentlichkeit schon jahrelang als tot und Michael war im Feuer, das die St. Mary’s Kirche zerstört hatte, umgekommen. Es hatte uns alle überrascht zu sehen, dass diejenigen, die über Michael standen, alle erdenklichen Hebel in Bewegung gesetzt hatten, um seinen Namen aus den Schlagzeilen, die unweigerlich auf die Feuersbrunst gefolgt waren, herauszuhalten. Wir hatten zwar versucht, den Medien fernzubleiben, keine Zeitung gelesen und waren allem aus dem Weg gegangen, was uns irgendwie informieren konnte. Wir hatten sogar Alex gebeten, uns damit in Ruhe zu lassen, damit wir Abstand zu allem bekamen. Doch wie immer hatte er unseren Wunsch ignoriert und uns ständig auf dem Laufenden gehalten. Er war ein hoffnungsloser Fall. Er hatte vorübergehende Amnesie vorgetäuscht und munter drauf los geplappert. Im Nachhinein betrachtet, war es wohl besser, Bescheid zu wissen. Somit wussten wir, dass Michaels Name der Allgemeinheit nicht bekannt und auch kein Bild von ihm verbreitet worden war. Stattdessen war ein anderer Name aufgetaucht, ein gewisser Pater Ronald MacDugal, über den Alex nur so viel herausgefunden hatte, dass dieser eine Nachbargemeinde leitete und nun auch allgemein als Leiter der St. Mary’s Gemeinde galt. Die Berichte hatten es so ausgelegt, dass er schon immer für sie verantwortlich gewesen war. Also bitte! Geht es noch abgedrehter? Wie sie mit allem durchkamen? Nun, sie wussten, die Mitglieder der St. Mary’s Kirche konnten nicht den Mund auftun und etwas anderes behaupten, und schon gar nicht konnten sie herumerzählen, ein unsterblicher Priester hätte unter der Kirche gehaust. Erinnern Sie sich noch, was mit Dan Meyers geschehen war? Man hatte Hexenjagd auf ihn gemacht, und man würde Hexenjagd auch auf die Gemeindemitglieder machen. Die Obersten der Kirche wussten dies, und Michaels ehemalige Schäfchen wussten es auch. Was aber stimmte, war, dass Pater MacDugal tatsächlich verantwortlich für die St. Mary’s Gemeinde war, da man sie in seine eigene Gemeinde klammheimlich eingegliedert hatte, nun da die Kirche nicht mehr war. Einige Mitglieder hatten diese Entscheidung akzeptiert und sich gefügt. Aber es gab genügend, die es nicht hingenommen hatten und Pater MacDugal nicht als ihren Priester ansahen, folglich waren sie aus der Gemeinde ausgetreten, was ihrem Zusammenhalt aber nichts anhatte. Für sie war Michael ihr Gemeindeleiter und würde es immer bleiben. Ein paar von ihnen fragten mich sogar, wann er wieder ein Priesteramt bekleiden würde. Sie hofften immer noch auf dieses äußerst unwahrscheinliche Szenario. Doch ich wusste es besser. Er sprach zwar nie darüber, aber ich konnte ihm ansehen, wie tief die Wunde war, die der Betrug gerissen hatte. Jedes Mal, wenn seine ehemaligen Gemeindemitglieder das Thema ansprachen, spürte ich, wie Michael sich versteifte und sich seine Atmung beschleunigte vor unterdrückter Wut. Nein, er war ganz und gar nicht gut darauf zu sprechen. Er hatte sicherlich nicht seinen Glauben an Gott verloren, aber den Glauben in die Menschen, die ihm dienten, schon. Da war es umso rührender, die Treue und Verbundenheit seiner ehemaligen Schäfchen zu erleben. Sie boten uns ihre Hilfe an und erhielten auch weiterhin Beistand von Michael, obwohl er es nicht hätte tun müssen. Aber nach mehr als eintausend Jahren konnte er wohl einfach nicht aus seiner Haut.

      Da man Michael nicht weiter kannte, weder sein Gesicht noch seinen Namen, schien es für ihn leichter zu sein, in die Stadt zurückzukehren. Aber was war mit mir? Ich war tot, sozusagen. Ich existierte nicht mehr. Ich war selbst zu einem Schattenwesen geworden. Mein Name konnte nicht einfach an einem Klingelbrett auftauchen. Was also tun? Nun, alle Dokumente wie Geburtsurkunden, Ausweise und so weiter waren nicht mehr vorhanden. Es gab nichts, was auf unsere wahre Identität deutete. Somit lautete das Zauberwort: Namensänderung. Ein Gemeindemitglied kannte ein anderes, das wiederum jemanden kannte…und so weiter und so fort. Kurz gesagt: Connections wurden genutzt, die schon vor Jahren geknüpft worden waren und nun zum Einsatz kamen. Es dauerte natürlich eine Weile, bis wir alle Anträge durchhatten und endlich unsere neuen Ausweise in Händen hielten. Doch dann war es schließlich soweit und wir kehrten als Mister und Misses Dale zurück in die Stadt. Wie sehr ich mir wünschte, es wäre wahr, Ehemann und Ehefrau zu sein. Da Michael aber sein Priesteramt nicht aufgegeben und aus der Kirche nicht ausgetreten war und es auch nicht tun konnte, ohne preiszugeben, dass er noch am Leben war, stand dies nicht zur Debatte. Manch einer denkt nun: Sie haben einen neuen Namen, eine neue Identität angenommen. Da sollte eine Heirat möglich sein. Sicher, das stimmt. Doch was soll man(n) tun, wenn das Gewissen etwas anderes sagt und einen regelmäßig daran erinnert, dass man(n) nach wie vor Priester ist und Ehelosigkeit geschworen hatte? Es fehlte der allseits bekannte Schlussstrich in dieser Angelegenheit. Mit seinem scheinbaren Tod war dieser zwar äußerlich gezogen, allerdings hatte Michael ihn nicht innerlich gemacht. Hin und wieder sprach ich das Thema, nicht direkt, eher durch die Blume und um drei Ecken, an. Ich kam mir unsagbar schlau vor, doch mein Herzblatt wusste genau, was sich hinter meinen Worten verbarg. Es sagte dann immer: „Ada, du bist meine Gefährtin, meine Königin.“ Und dann folgte stets ein Vortrag darüber, dass es einmal eine – mir wird ganz schlecht bei dem Wort – Zeit gab, in der Gefährtin auch Ehefrau bedeutete. Damit wollte mir Michael verklickern, dass er uns als verbunden, einander zugehörig, verheiratet sah. Sagt eine Hochzeit denn etwas anderes als das aus, dass man verbunden und zueinander gehört? Nein, ich glaube nicht. Und wir brauchten auch kein Stück Papier, auf dem geschrieben stand, was wir wussten. Dennoch schlichen sich in meine Träume gelegentlich solche Szenen, in denen ich Michael in einem schwarzen Anzug und mich in einem weißen Spitzenkleid vor dem Altar stehen sah. Beim Anschnitt der Hochzeitstorte wachte ich dann zumeist auf und dachte seufzend: Hach, wäre