Nadja Losbohm

Die Jägerin - In Alle Ewigkeit


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hatte. Unsere Wohnung lag einige Kilometer davon entfernt in einer Nachbarschaft, bei der es kaum bis gar nicht möglich war, dass man mich erkannte. Da ich weiterhin überwiegend nachts mein Dasein fristen würde, um die Vampire zu jagen, war meine eigenartige Augenfarbe kein Problem und sollte es doch erforderlich sein, dass ich mich im Tageslicht zeigen musste – nun, ich hatte nicht mehr viel Ähnlichkeit mit meinem früheren Schneewittchen-Look, sondern sah eher aus wie eine rothaarige böse Hexe – O-Ton Alex. Die Wahrscheinlichkeit, dass man mich wiedererkannte, war gen null.

      Michaels ehemalige Gemeinde erwies sich beim Bezug unserer 4-Zimmer-Wohnung als ein wahrer Segen. Wir hatten kein Geld, um Möbel zu kaufen und was man sonst noch alles benötigte. Wir besaßen nichts außer dem, was wir am Leib trugen. Aber die treuen Menschen, mit denen ich oft auf den Holzbänken in der St. Mary’s Kirche den Predigten Michaels gelauscht hatte, versorgten uns großzügig mit allem, was es zu einem Neustart braucht. Sie spendeten Möbel, Teppiche, Geschirr, Besteck, Kleidung, Spielzeug für Rosalie und Bücher für Michael. Auch mich bedachten sie mit Geschenken. Es passierte nicht selten, dass April, die Mutter der kleinen Sarah, vorbeikam und mir Kleidung brachte und meinte, sie hätte sie kaum getragen und würde sie nicht mehr benötigen. Das Preisschild, das daran hing, übersah sie dabei geflissentlich. Auch die Tatsache, dass die Klamotten zufällig meine Größe hatten und der Frau, die einen Kopf größer und schmaler war als ich, unmöglich passen konnten, ließ darauf schließen, dass sie sie nur für mich gekauft hatte. Im Gegenzug hüteten wir Sarah, wenn April arbeiten musste oder ausgehen wollte. Ich hatte nie zuvor solche Aufopferung und Großzügigkeit erlebt. Alle gingen geradezu verschwenderisch mit ihrem Hab und Gut um und überhäuften uns mit liebevollen Gesten und Fürsorge. Man brauchte nur zu sagen Mir ist kalt! und schon warf einem jemand eine Strickjacke um die Schultern. Alles, was unsere Herzen begehrten, war also da und wir erhielten sogar noch mehr. Michael erhielt von einem Gemeindemitglied, das eine Anwaltskanzlei führte, sogar ein Jobangebot, bei dem er als Mädchen für Alles fungierte. Ich freute mich sehr für ihn, dass ihm diese Möglichkeit geschenkt wurde. Abgesehen davon half es uns sehr dabei, die Miete für die Wohnung zu bezahlen. Man bezahlte ihm eigentlich schon zu viel. Nun ja, ich weiß natürlich nicht darüber Bescheid, wie viel jemand mit seinem Aufgabenbereich, noch dazu ein Ungelernter, normalerweise verdient. Sein Gehaltsscheck erschien mir dann aber doch ungewöhnlich hoch. Nicht einmal ich hatte so viel Cash auf die Hand bekommen, als ich noch in dem süßen, kleinen Souvenirshop gearbeitet hatte. Vielleicht hatte man mich behumst? Es war einfach unheimlich, wie leicht ihm alles zufiel, während ich einige Probleme hatte, mich wieder in die wirkliche Welt einzuleben. Vor meiner Zeit in der St. Mary’s Kirche hatte ich mich in der Gesellschaft und auf unserem Planeten fehl am Platze gefühlt. Dann war mir meine wahre Bestimmung offenbart worden und ich hatte mich an mein Leben im Verborgenen gewöhnt. Jahrelang war es mir verboten gewesen, mich den Menschen zu zeigen, da sonst der Schwindel über mein Ableben aufgeflogen wäre. Ich führte mein Leben zwar weiterhin zu neunzig Prozent im Dunkeln. Trotzdem kam es vor, dass ich am Tage hinausgehen und ganz alltägliche Dinge erledigen musste, so zum Beispiel wenn Michael mit einer Erkältung halbtot im Bett lag. Dann war es an mir, Rosalie vom Kindergarten abzuholen, Einkäufe zu erledigen, Termine mit Handwerkern wahrzunehmen und mich über meine Mitmenschen zu ärgern, die rücksichtslos, arrogant und mit Scheuklappen vor den Augen umherliefen. Es fühlte sich an wie zu der Zeit, als ich noch nicht die Jägerin gewesen war. Die Mitglieder des Aufräumkommandos, die ich überwiegend nur als in Schwarz gekleidete Männer kannte, die hinter mir aufgeräumt hatten, plötzlich in ihren alltäglichen Berufen zu erleben, brachte mein Bild der Realität noch zusätzlich ins Wanken. Aidan in einen feinen Zwirn mit Seidenkrawatte und goldenen Manschettenknöpfen gesteckt zu sehen, ließ ihn auf einmal so normal erscheinen. Und eigentlich war er das ja nun auch wieder, jetzt da die Quelle zerstört worden war und die Monster nicht mehr schlüpfen konnten. Das Aufräumkommando war nicht mehr nötig. Wenn ich nun auf Patrouille ging, wartete niemand mehr auf mein Signal, zu dem und dem Ort zu fahren und sauber zu machen. Ich jagte nur noch Vampire und diese zerfielen zu Staub, wodurch sie sich quasi selbst entsorgten.

      Für Michael hingegen schien das normal-sterbliche Leben das reinste Kinderspiel. Problemlos schaltete er von Gefangenschaft-Modus auf Freiheit und genoss das Leben in unserer modernen Welt sichtlich, in der er zum ersten Mal mit dem Bus und der U-Bahn fuhr, was für ihn ein echtes Abenteuer war. Es war faszinierend gewesen, ihn dabei zu beobachten, wie er den gelben Zug bei der Einfahrt mit kindlicher Neugier angestarrt und dabei genauso ausgesehen hatte wie der kleine vierjährige Junge, der an der Hand seines Vaters mit dem Zeigefinger auf die Bahn deutete und neben Michael stand. Michael hatte sich hingehockt und sich mit dem Kleinen unterhalten, während ich kopfschüttelnd auf einer Bank gesessen hatte, die etwas abseits stand. Ich hatte meine Begeisterung für Züge im Alter von sechs Jahren verloren, nachdem mich mein bescheuerter Bruder aus dem Zug gestoßen und sich meine Jacke in der sich schließenden Tür eingeklemmt hatte. Ich verstand schon, dass es für Michael aufregend sein musste, die technischen Wunder unserer Zeit mit eigenen Augen zu sehen, und somit wartete ich geduldig, bis er sich an den Zügen sattgesehen hatte. Doch seine Entdeckungsreise war noch lange nicht zu Ende. Es folgten Rolltreppen, ellenlange Aufenthalte in Supermärkten, in denen er staunend vor den Regalen stand und die Entscheidung, welche Sorte Schokolade er wollte, hinauszögerte, obwohl er ganz genau wusste, dass er die mit den ganzen Haselnüssen wollte, einfach um die bunte Vielfalt zu genießen, Fahrten mit gläsernen Fahrstühlen in Einkaufszentren, in denen wir an die hundert Mal rauf und wieder runter, rauf und wieder runter, rauf und wieder runter fuhren, bis uns ein aufmerksamer Sicherheitsmitarbeiter fragte, ob wir versuchten einen Rekord aufzustellen. Da er auch noch nie in einem Auto gesessen hatte und damit durch die Gegend gefahren war und auf diese Erfahrung auch nicht verzichten wollte, nahmen wir uns einmal ein Taxi. Michael war so begeistert von diesem Erlebnis, dass er während der Fahrt auf dem Beifahrersitz ständig vor dem Gesicht des Fahrers herumgefuchtelt hatte und wissen wollte, wofür dieser oder jener Knopf oder Hebel war. Ich hatte ihn an den Haaren ziehen müssen, damit er endlich still saß und den Fahrer nicht ablenkte, der Michael beäugt hatte, als wäre dieser ein aus einer Anstalt entflohener Irrer. Das Kino war ebenfalls etwas, was Michael zum ersten Mal erlebte, wo er vor Schreck zusammengefahren war und wie ein kleines Mädchen aufgeschrien hatte, weil er die Lautstärke nicht erwartet hatte. Dabei hatte ich ihn noch gewarnt, was er allerdings mit einer lässigen Handbewegung abgetan hatte. Als wir danach an einer Dönerbude vorbeigekommen waren, wollte er unbedingt dieses exotische Essen kosten. Er war so begeistert davon gewesen, dass er drei Wochen lang jeden Tag dorthin ging und uns beiden einen Döner zum Abendessen mitgebracht hatte. Ich war überhaupt nicht begeistert davon gewesen, denn während das Essen bei ihm nicht auf den Hüften landete, brauchte ich es am dritten Tag nur anzusehen und schon zeigte die Waage wieder zwei Kilo Speck mehr an. Nach diesen drei Döner-Wochen entwickelte Michael ein Faible für chinesisches Essen. So sehr sich sein Gaumen an den fremden Geschmäckern erfreute, sein Magen nahm es ihm übel und seit mehr als eintausend Jahren musste Michael reiern, als gäbe es kein Morgen mehr. Es ist kein Wunder, dass danach sein Interesse an chinesischem Essen schlagartig endete.

      Abgesehen von diesen achten, neunten, zehnten und elften Weltwundern kam er bestens mit den Menschen aus. Vielleicht half ihm dabei auch sein unverschämt gutes Aussehen. Es öffnete ihm Türen und Herzen. Alle waren nett zu ihm, und er hatte keinen Grund, Böses über andere zu denken. Ich hingegen schon, und es machte es auch nicht besser, dass ihm sämtliche Büromiezen schmachtende Blicke zuwarfen, sich verspielt die Haare um die Finger wickelten und einen weiteren Knopf am Ausschnitt ihrer Bluse öffneten. Ich schämte mich für sie fremd. Ihr Verhalten war widerlich und erschütternd. Am schlimmsten war allerdings Michaels Kollegin Julie Beavers, die missbilligend den Mund verzog und mich von oben bis unten musterte, wenn sie mich mit ihm zusammen sah. Schon nach der zweiten Begegnung mit ihr, ging mir diese Frau sowas von auf den Keks! Ich hatte ihr nichts getan, dennoch tat sie so, als wäre ich ihre Feindin. Und wenn sie sah, wie Michael mich freudig begrüßte und innig küsste, wenn ich ihn in seiner Mittagspause besuchte, wurde die Luft sogar noch dicker, und ihr Gesicht verzog sich auf eine seltsame Art, als müsse sie sich vom Würgen abhalten. Am Anfang nervte sie mich, aber irgendwann fand ich es einfach nur ulkig und es verschaffte mir Genugtuung, dass Michael nicht auf ihre Avancen einging und ihre ständigen beiläufigen Berührungen ignorierte. Das bloße Zusehen bei ihrem Ringen um Aufmerksamkeit seinerseits