Jürgen Ruhr

Final - Tanz


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eine junge Dame in nahezu akzentfreiem Deutsch. „Entschuldigen sie, wenn sie warten mussten. Habe ich richtig gehört? Sergio Palyska? Herzlich willkommen, wir haben eine Reservierung für sie.“

      Ich nickte und wollte auf den Meister an der Reling zeigen, als die Frau mir einen Schlüssel in die Hand drückte. „Da vorne entlang. Ich wünsche ihnen einen schönen Aufenthalt.“ Ihr Handy klingelte und sie widmete sich dem Gespräch, das sie in hastigem Französisch führte.

      „Nur ein Zimmer?“, fragte ich Birgit. „Ob die Krynow sich vertan hat?“

      „Egal. Hauptsache es gibt ein Bad mit Dusche. Welche Nummer haben wir denn?“

      Wir betraten einen großzügigen Raum, in dem sich ein großes Doppelbett, ein Tischchen mit mehreren Sesseln und eine riesige Badewanne befanden. An der Seite gab es unter zwei überdimensionierten Wandspiegeln Waschgelegenheiten. Ich blickte Birgit entgeistert an. „Keine Dusche?“, krächzte ich. Ich würde doch wohl kaum meine Abend- oder Morgentoilette verrichten, während mir Birgit vom Bett aus dabei zuschaute.

      Die Kleine mit den bunten Haaren lachte. „Bei Künstlern herrschen wohl andere Maßstäbe, was die Intimsphäre betrifft. Ja, lieber Jonathan, da wirst du wohl vor der Tür warten müssen, wenn ich mich wasche ...“

      Ich verfluchte den Tänzer, die Versicherung, dieses merkwürdige Hotel und den Rest der Welt, während ich auf dem Gang stand und darauf wartete, dass Birgit sich frischmachte.

      „Alles in Ordnung, Herr Palyska?“, Die Frau vom Empfang stand plötzlich neben mir und sah mich fragend an. Ist das Zimmer zu ihrer Zufriedenheit?“

      „Ich bin nicht Palyska“, gab ich murrend zurück. Mein Name ist Jonathan Lärpers.“

      „Und die Frau?“, die junge Dame schien verwirrt zu sein. „Ist das nicht ihre Frau, Jekaterina Krynow?“

      „Nein, ist sie nicht. Das ist Birgit Zickler, meine Kollegin. Sind sie sicher, dass für uns das Zimmer hier gebucht wurde?“

      „Sie sind wirklich nicht Sergio Palyska, der Balletttänzer?“

      Ich stöhnte und zog meinen Personalausweis hervor. Glauben sie mir jetzt? Ich heiße Jonathan Lärpers. Das steht dort schwarz auf weiß.“

      „Dann ist uns ein Irrtum unterlaufen. Würden sie mir bitte an die Rezeption folgen? Wir werden das sofort klären.“

      Wir standen an der Rezeption und die Frau tippte auf einer Tastatur herum. „Wie war ihr Name noch gleich?“

      „Jonathan Lärpers. Und die Kollegin heißt Birgit Zickler.“

      „Ach herrje. Für sie wurden zwei einfache Zimmer bestellt. In denen habe ich aber jetzt schon den Herrn Lärpers und die Frau Zickler untergebracht.“

      „Herr Lärpers bin ich“, stellte ich klar. „Sie haben vermutlich unsere Zimmer an Herrn Palyska und Frau Krynow vergeben. Können wir die Räume nicht einfach tauschen?“

      „Natürlich, natürlich. Ich kümmere mich sofort darum.“ Die junge Frau kam aufgeregt hinter der Theke hervor und stob rasch davon.

      Fünf Minuten später kehrte sie mit Sergio und Jeka im Gefolge zurück. Beide trugen ihre Koffer in den Händen. „Herrjechen, Herrjechen“, zeterte der Tänzer. „Welch ein Durcheinander. Achjee, Johni, du siehst mich völlig aufgelöst. Jeka und ich in zwei verschiedenen Zimmern. Ach nein, ach je.“ Dann waren sie schon wieder vorüber und stoben in Richtung Birgits und meinem ehemaligen Zimmer davon.

      Zwei Minuten später kam Birgit in den kleinen Raum mit der Empfangstheke. Sie war vollkommen nass und von Seifenschaum bedeckt. Um den Körper trug sie ein großes Handtuch und ihre zwei Koffer zog sie hinter sich her. Ich musste bei ihrem Anblick lächeln und dachte daran, was in dem Zimmer los gewesen sein musste, als die Empfangsdame mit den beiden Künstlern hineinkam.

      „Grins nicht so dämlich, Jonathan“, grollte sie mich an. „Das ist doch alles deine schuld! Gib mir wenigstens den Schlüssel für mein Zimmer.“

      Ich schüttelte den Kopf: „Den habe ich nicht. Vielleicht sind die Zimmer ja offen, aber ich habe keine Ahnung, welche wir jetzt bekommen. Wo sind eigentlich meine Koffer?“

      „Im Gang vor dem Zimmer. Die konnte ich ja unmöglich auch noch mitschleppen.“ Birgit setzte sich in einen Sessel und hinterließ einen großen, nassen Fleck. Doch das kümmerte sie herzlich wenig.

      Zwanzig Minuten später konnten wir endlich die richtigen Zimmer beziehen und ich freute mich, eine Dusche vorzufinden. Der Raum war zwar recht klein und wurde von dem Doppelbett dominiert, doch es gefiel mir wesentlich besser, als das Zimmer mit der Badewanne. Nebenan hörte ich die Dusche rauschen und ich vernahm, wie Birgit irgendeinen aktuellen Schlager sang.

      Ich nutzte die Gelegenheit, ebenfalls zu duschen und trat danach erfrischt auf die kleine Terrasse des Hotels. Mehrere Tische und Stühle luden zum Verweilen ein. Meine Kollegin schien den gleichen Gedanken gehabt zu haben, wie ich, denn kurze Zeit später setzte sie sich zu mir. „Das Zimmer gefällt mir besser, auch wenn die Badewanne schön gemütlich war“, erklärte sie. Ein Ober fragte nach unseren Wünschen und wir bestellten Kaffee.

      „Ja, aber mir ist die Dusche lieber. Außerdem hat jetzt jeder von uns ein Zimmer und ich muss nicht auf dem Gang warten. Hast du eine Ahnung, wie es jetzt weitergeht?“, fragte ich unvermittelt.

      „Nein. Über die Auftritte und Zeiten stand nichts in dem Bericht. Hast du denn gar nichts gelesen?“

      Ich lächelte: „Überflogen. Die Details haben mich sowieso nicht interessiert. Das erfahren wir ja alles jetzt vor Ort. Ich hätte nur gerne gewusst, wann und wo unser großer Meister auftritt.“

      Birgit überlegte. „Nun, logischerweise sollte er so oft wie möglich auftreten, um so viel Publikum wie möglich zu erreichen. Was ja auch seiner Kasse gut täte. Aber da kommt Jeka, vielleicht erfahren wir jetzt ein wenig mehr.“

      Palyskas Frau machte aber zunächst einen Schlenker zum Ober, um etwas zu bestellen, dann setzte sie sich zu uns. „Sergio schläft“, erklärte sie und steckte sich eine Zigarette an. „Die strapaziöse Reise hat ihn doch arg mitgenommen. Gott sei Dank hat man uns ja doch noch das richtige Zimmer zugewiesen! Wir planten schon, zusammen in den kleinen, engen Raum zu ziehen.“ Der Ober stellte ein Glas Sekt vor sie hin und verbeugte sich tief.

      Ich bekundete meine Zustimmung zu ihren Worten: „Ja, eine dumme Verwechslung. Können sie uns denn etwas zum Ablauf der Auftritte sagen? Meine Kollegin teilte mir mit, dass sie in einem Tanzstudio stattfinden werden?“

      Jeka Krynow nickte: „Madame Routons Tanzstudio. Die erste Wahl in Paris. Der Kartenverkauf, den die Madame selbst übernommen hat, läuft nun schon seit vier Wochen. Allerdings gibt es keine ‚Auftritte‘, sondern lediglich einen einzigen. Der findet morgen Abend um zwanzig Uhr statt. Heute will der Meister das Wochenende noch einmal so richtig genießen. Hier auf dem Boot findet eine Veranstaltung mit Live Musik statt, so etwas will er sich nicht entgehen lassen.“

      „Nur eine Vorstellung?“, fragte ich verdutzt. Wie viele Zuschauer müssten in diese Tanzschule kommen, um die Kosten für Flug, Übernachtungen und Mahlzeiten zu decken? „Und am Sonntag? Gibt es da keinen Auftritt?“

      Jekaterina schüttelte den Kopf. „Da bereitet Sergio sich schon auf seine Darbietung am Mittwoch in London vor. Wir fliegen Montagnachmittag. Sergio war noch nie in London und will die Stadt am Dienstag besichtigen.“

      „Und in London gibt es dann auch wieder nur einen Auftritt?“ So richtig glauben konnte ich das nicht. Egal, wie er es anstellen wollte, kein Saal wäre groß genug, um eine ausreichend hohe Zahl an zahlenden Gästen bei nur einem Auftritt unterzubringen. „Wird das nicht ein Minusgeschäft?“, fragte ich vorsichtig. „Nur ein Auftritt in Paris und nur einer in London? Die Kosten für Übernachtung und Flug werden höher sein, als die Einnahmen.“ Oder wollte der Meister die Eintrittspreise so hoch ansetzen, dass er auf jeden Fall Gewinn machte? Doch das war wohl kaum möglich, denn niemand würde freiwillig mehr bezahlen, als bei einer seriösen Opernveranstaltung