einem breiten Grinsen.
„Eine? Da konnte man schon den Überblick verlieren, aber ich glaube nicht, daß eine dabei war, die ihm die Wäsche gewaschen hätte, meist kurze Bekanntschaften von Mädels, die hier Urlaub machten.”
„Wie lange kommt, äh, kam Kröger als Rettungsschwimmer?”
„Drei Jahre.” Kallweit überlegt. „Ja, drei Jahre müssen das jetzt sein.“
„Was machte er sonst? Beruf oder Studium?”
„Malte war Leutnant zur See, jetzt der Reserve, vorher Z 4. Kam aus einer Marinefamilie …”
„Ach ja? Wo leben seine Eltern?”
„Zur Zeit ist der Vater Kommandeur der Marineunteroffizierschule in Plön, Kapitän zur See…”
Tewes geht dazwischen: „Den kennt wi.”
Malvoisin sieht ihn überrascht an.
„Hest dat vergeten? Dat is de Kaptein ut W’haven west, de een Mord op siene Fregatte hadd hett. Fief Johr is dat her, in Travemünde, as de Marine op Besoek west is. De seute Deern, de op Maat mookt hett.”
Tewes macht die eindeutige Handbewegung des Kragenumdrehens. Malvoisins Miene und Kopfnicken zeigen, daß er sich erinnert.
Sein Kollege hat mit diesen Ausführungen schon eine Volksrede gehalten. Der 50jährige Tewes ist von der schweigsamen Sorte. Wie groß sein Wortschatz ist, das behält er eisern für sich. Er ist glatt rasiert, hat kurzgeschnittene, dunkelblonde, glatte Haare, die an der Stirn schon im Rückzug begriffen sind. Das komme vom vielen Nachdenken, wird er manchmal vorsichtig angefrotzelt. Knapp 1,80 m groß ist er, so ganz genau weiß er das selbst nicht, trotz amtlicher Eintragung in seinem Ausweis. Es ist ihm obendrein egal. Sein Körper ist durchtrainiert, 82 kg schwer, aber dennoch mit einem leichten Bauchansatz verziert, der, wie mal seinen seltenen Ausführungen zu entnehmen war, eben zu einem Mann seines Alters gehört. Bugzier müsse sein, Bauch dürfe man ruhig sehen, alles andere sei ja nur ein Plättbrett. Woran sollte sich seine Frau denn festhalten, wenn sie kuscheln wollte? In ein Loch fassen? Das war nichts für Tewes, der wegen seiner Standardantwort auf Anweisungen, „Mook wi”, von fast allen im K1 offen, von anderen besser nur dann “Mokwi” genannt wird, wenn er es nicht hört, „sünst ward he füünsch”.
„Füünsch” sieht bei ihm dann so aus, daß er mehr als zwei bis drei Sätze sagt und dem Gefüünschten mindestens ein Jahr keinen Kööm mehr anbietet. Er denkt viel nach und wenn er es für richtig hält, teilt er die Ergebnisse auch mit. Sonst nicht. Mit „Flipcharts” und übertechnisiertem Schnickschnack kann er nicht viel anfangen. Warum all diese Anglo-Amerikanismen? Englisch ist zwar für ihn auch nur ein weiterentwickelter deutscher, genauer gesagt plattdeutscher Dialekt, aber „Dat is hier Düütschland, keen Kolonie vun de Plum-Pudding-Lüüd”, sagt er immer, wenn er dazu mal etwas sagt. Dies ach so moderne “Ich-bin-ja-so-gebildet”-Geschwafel kann er nicht ausstehen, das ist für ihn alles Tüünkram. Und warum große Papierfahnen verschwenden, wenn man etwas an der Tafel mit Kreide aufschreiben und wieder abwischen kann? Tewes hat das Schreiben noch mit einem Griffel auf einer kleinen Schiefertafel gelernt, Schreiblinien auf der einen, die Rechenkästchen auf der anderen Seite, angebunden ein Schwämmchen, das ihm die Mutter vor dem Schulgang naß machte und in den Schultornister steckte, das Pausenbrot in fettsicherem Butterpapier und einen Apfel dazulegte, und ihn mit einem Kuß auf die Stirn auf den Weg schickte. Ermittlungsergebnisse besieht er sich an der „Tafel”, wie er immer noch sagt. Und dann denkt er nach.
Eine Seele von Mensch ist er zu Hause. Seine hübsche, fleißige Frau ist ihm die genau richtige Gefährtin. Zuviel sabbelnde Männer mag sie nicht, für den Tratsch ist sie zuständig. Sie weiß alles aus dem Dorf. Tewes nennt sie seine küssende Datenbank. Seine seute Deern ist ihm alles. Nein, nicht so ganz. Die beiden haben nämlich den Kampf gegen den Bevölkerungsschwund bislang erfolgreich aufgenommen. „Suus Kinners hebbt wi”, womit das Ehepaar Tewes immer wieder Erstaunen auslöst, wenn sie es mal jemandem sagen, der das noch nicht weiß, „un Nummer söben hebbt wi jüst mookt” kommt neuerdings als Zusatzinformation. Kein Mensch kann sich erklären, woher Tewes das Temperament dafür aufgebracht hat, aber irgendwie muß es ja geklappt haben. Die Jungs haben seine Züge, die Mädchen ihre, so wie sich das gehört. Das heißt, ein Junge, der Erstgeborene, hat eher etwas von seiner Mutter, das hübsche Lachen und das Plappermaul, aber die Kraft des Vaters wird er haben, das zeigt sich jetzt schon. De groote Lütte ist gerade mal 14, aber bei seinem Thorbjörn würde das nicht mehr lange dauern, so wie der jetzt schon Holz hackt; stolz, mit nacktem Oberkörper, damit man seine wachsenden Muskeln und den rinnenden Schweiß auch ja sehen kann. Dabei sieht Hauke Tewes seinem Sohn gern zu und raucht gemütlich seine Pfeife. Thorbjörns Augen glänzen, wenn der Blick seines Vaters anerkennend auf ihm ruht, und wenn die Mädchen aus der Nachbarschaft vorbeikommen und kichernd zu tuscheln beginnen, wenn sie seine beginnende „männliche Schönheit” betrachten, na, dann legt der Junge eine Axt drauf und spaltet die Stammstücke noch schneller. De Deerns schall rohig weten wat för’n statschen Kerl he is. Und sein Vater hat bannig viel Kraft, dem muß er nacheifern. Schweigsamkeit heißt ja nicht gleich Muskelschwund. Beim Spielen mit seinen Lütten ist Hauke Tewes die liebevolle Geduld in Reinkultur. Da blüht er auf, kugelt sich am Boden herum und lacht. Und wie er lachen kann, wenn er lacht. Dabei muß er schon nichts reden. Im Dienst wird er fürs Lachen nicht bezahlt. Thema beendet.
Kallweit fährt fort: „Richtig. Mein Bruder und er sind Crewkameraden. Ging ja durch alle Medien. Großvater war übrigens ein hohes Tier, Vizeadmiral, Befehlshaber Ostseezugänge, ist aber vor zwei Jahren gestorben. Die Mutter ist Lehrerin. Nach dem Ende seiner Verpflichtung hat er in Kiel Politikwissenschaften und Geschichte studiert. Wollte in zwei Jahren fertig sein, dann zu seinem Onkel nach Berlin, der ist MdB, nebenher seinen Doktor machen und dann ganz in die Politik.”
„Sie sind aber gut informiert.”
„Auch Männer unterhalten sich hin und wieder.”
Tewes brummt leise vor sich hin.
„Un snackt to veel.”
Kallweit hat Tewes’ Gebrummel akustisch nicht verstanden.
„Bitte?”
„Nix.”
Malvoisin fährt fort. „Der Tote hat am rechten Ringfinger einen weißen Ringschatten, nur der Ring fehlte. Wissen Sie etwas davon? Verheiratet war er ja wohl nicht.”
„Oh, sein Seepferdring ist weg?“
„Seepferdring?”
„Ach, das ist ein Erkennungszeichen; die Seepferde sind so eine Art Jungmännerbund. Wir haben noch vier davon hier, allesamt Reserveseeoffiziere aus einer Crew.”
„Wo sind sie?”
„Zwei wohnen hier, einer hat sich eine Wohnung in Grönwohldshorst genommen, der andere hier nahe beim Wald, müßten eigentlich gleich kommen.”
„Könnten Sie die beiden hier im Quartier herunterholen?”
Kallweit geht zur Tür und ruft hinauf: „Jens! − Timo! Kommt mal ‘runter in mein Büro!” Er setzt sich wieder. „Ich kann es noch gar nicht fassen − Malte tot. Wie denn, ich meine, wie hat man ihn umgebracht?”
„Er wurde gehenkt und dann noch …”
„Gehenkt? Wie das denn …?”
„Na, Strick, Sie wissen doch …”, setzt Malvoisin zu einer eher ironisch gemeinten Erklärung an.
In dem Augenblick kommen zwei großgewachsene, braungebrannte junge Männer herein. Malvoisins erster Blick schätzt beide auf mindestens 1,85 m. Kallweit stellt den nur in Badehose gekleideten als Timo Claasen vor, den in Badehose und offenem kurzärmeligen Hemd als Jens Jensen. Beide haben dunkelbraune, kurzgeschorene Haare, Jens trägt einen Schnurrbart, eher ungewöhnlich für einen jungen Mann seines Alters.
Jens und Timo rufen fast gleichzeitig: „Moin, Harm!”
Timo mault.
„Was