Georg von Rotthausen

Mannesstolz


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sich, sieht sich um und bemerkt, daß Strandgäste immer näher kommen

      „Habt Ihr schon mal ’was von Tatortsicherung gehört? Mann, Weber …” − ein Polizeihauptmeister macht sich straff −

      „… haben Sie vergessen, wie man absperrt?”

      „Natürlich nicht, Herr Hauptkommissar!” erwidert der Gerüffelte fast empört.

      „Na − und wo ist die Absperrung? Wenn die Leute die Bänder nicht respektieren, dann verschafft dem Respekt!” Er wird lauter. „Ausführung!” und zeigt auf die Promenade und auf den Strandbereich um den Fundort herum.

      Weber winkt zwei Kollegen heran, und sie machen sich zu Dritt an die Verbesserung der Absperrung. Einige frühe Gäste protestieren, da sie den Strandabschnitt verlassen sollen.

      Weber ruft einem Kollegen zu:

      „… und notiert die Namen und Adressen der Leute, Urlaub und zu Hause!”

      „Verstanden!” kommt es zurück.

      Ein älterer Herr gibt sich empört:

      „Junger Mann, ich bin der Oberlandesgerichtsrat Dr. Ach …”

      Weber unterbricht, gibt sich betont höflich, aber etwas spitz:

      „Auch im Ruhestand, Euer Ehren, sollte Ihnen noch erinnerlich sein, daß Tatorte von Unbeteiligten zu räumen sind.”

      Er macht eine zum Gehen auffordernde Handbewegung.

      „Impertinent!” schimpft der Fortgewiesene.

      „Komm’, Lieber …” spricht ihn seine vornehm aussehende Gattin an, „… Die jungen Leute machen doch nur ihren Dienst. Früher warst Du streng, jetzt ist man es mit Dir. Polizei ist Polizei. ”

      „Nichts für ungut, Herr Hauptwachtmeister”, brummt Ach vor sich hin. Der überhört das -wacht. Aber wer zählt schon am Morgen grüne Sterne …

      Weber reicht der Richtergattin galant den Arm, um beim Überstieg auf den Absatz der Promenade behilflich zu sein, nimmt auf festem Boden leicht Haltung an, legt die Hand an die Schirmmütze.

      „Danke, junger Mann!” schnarrt der alte Richter und wendet sich mit seiner Frau am Arm zum Gehen. „Untergrabe nicht immer meine Autorität …“ hört Weber noch und atmet durch. Die Absperrung läuft weiter.

      Ein Mann mit Brille und Arzttasche stapft auf den H 55 zu.

      Malvoisin fragt etwas ungehalten:

      „Ist die Spurensicherung endlich da?”

      „Nein!” ruft ein Kollege.

      „Verdammt, wo bleiben die denn heute?”

      Malvoisin wirft einen Blick auf die Seebrücke:

      „Weber! WE-BER!”

      „Ja?”

      „Mann, Weber, holen Sie mir die Neugierigen von der Brücke und machen Sie da dicht!”

      „Jawohl, Chef!” ruft Weber zurück und rennt mit Absperrband zur Brücke. „WEBER!“

      Der erneute Anruf bremst ihn in vollem Lauf und ein winkender Zeigefinger holt ihn zu Malvoisin zurück. „Die Gaffer haben vermutlich Spuren auf der Brücke hinterlassen. Personalien aufnehmen, merken Sie sich genau, was die Männer an Kleidung tragen. Bestellen Sie sie ein. Fingerabdrücke und Faserproben nehmen, am besten gleich. Ausführung.”

      Hauptmeister Weber strebt nun auf die Neugierigen zu, die merken, daß sie gemeint sind und sich verdrücken wollen.

      „Halt, bleiben Sie stehen.” Weber hat die Männer erreicht und setzt das dienstlichste aller Gesichter auf. „Weisen Sie sich bitte aus.” Die Männer sehen sich und dann den Polizisten fragend an.

      „Wir gucken doch nur. Endlich ist schon morgens richtig ‘was los”, meint einer.

      „Sie haben einen Tatort betreten und weisen sich jetzt bitte aus.”

      Achselzuckend ziehen die Männer ihre Börsen aus den Gesäßtaschen und zeigen ihre Ausweise vor. Weber notiert. „Und wo wohnen Sie in Kellenhusen?”

      Die Männer sagen es ihm und verstehen noch immer nicht.

      „Sie kommen bitte unverzüglich mit nach Grömitz. Dort werden Ihre Fingerabdrücke und Gewebeproben Ihrer Kleidung genommen. Reine Routine.”

      „Warum das denn? Glauben Sie etwa …?”

      „Ich und der Hauptkommissar glauben gar nichts, aber sie haben Fingerabdrücke auf dem Brückengeländer hinterlassen, wie sicher auch die Täter. Wir müssen sicher sein, Sie ausschließen zu können.

      „Wie bitte?”, protestiert einer der drei.

      „Wir hatten schon den Fall, daß Täter sich dreist unsere erste Ermittlungsarbeit angesehen haben. Also, bitte, meine Herren. Den ganzen Vormittag wird es nicht dauern. Es sei denn, Sie möchten nach Lübeck mitkommen.” Weber macht eine einladende Handbewegung.

      „Das haben wir jetzt von Deiner verdammten Neugier!”

      „Hättest ja nicht mitzukommen brauchen”, kommt es patzig zurück.

      „Also bitte, wir drehen keinen Film, das ist echt! Bitte verlassen Sie jetzt die Brücke und warten Sie hinter dem Strandcasino bei unseren Dienstfahrzeugen.”

      Maulend gehen die drei Männer weg.

      „Immer wenn es interessant wird, und jetzt auch noch Fingerabdrücke abgeben, verdammte Scheiße.”

      „Früher schickten uns die Eltern ’raus, jetzt verscheuchen einen die …”, mault einer weiter. „Schlucks ’runter, der kann Dich noch hören. Auf B-U-L-L-E paßt sicher ‘was im Bußgeldkatalog, oder hast Du Geld zuviel?”

      Eifriges, stummes Kopfschütteln.

      Derweil kommt der Arzt am H 55 an.

      „Moin, Malle.”

      „Moin, Klinge.” Die Männer geben sich die Hand. Der gerade Eingetroffene ist der Leiter der Rechtsmedizin in Lübeck, Prof. Dr. Karl Anderson, wegen seines scharfen Berufes von einigen ganz wenigen „Klinge” genannt, von denen er sich das auch gefallen läßt. Er ist ein jovialer Herr, 60 Jahre alt, für sein Alter ungewöhnlich schlank, mit schlohweißen, vollen Haaren, mit einem schönen, weißen, kurz geschnittenen Bart und erstaunlicherweise fast schwarzen Augenbrauen, was ihm hin und wieder die schmunzelnd, hinter vorgehaltener Hand geäußerte Verdächtigung einträgt „Ob er wohl färbt?” Er weiß das, aber es stört ihn nicht, denn er weiß, daß er nicht färbt, im Gegensatz zu manchen Politikern, die auch mit über 60 und 70 Jahren angeblich schwarze Haare haben, die so gar nicht zu ihrer Parteifarbe passen. Ihm genügt es, daß seine süße kleine Frau ihn immer noch attraktiv findet. Anderson hat sich einen gelassenen Humor zugelegt, gewachsen in all den Jahren, gewachsen mit jeder Leiche. Und er findet seinen Beruf immer noch hochinteressant. Andere Menschen lesen Bücher, er liest Menschen.

      „Was hast Du denn heute Schönes?” Der Rechtsmediziner sieht Malvoisin fragend an.

      „Na, sieh selbst” und deutet auf den Toten.

      „Oh, eine Hinrichtung!”

      Hier müßten jetzt hochgezogene Augenbrauen folgen, aber die wollen nicht. Gelassenheit.

      „Wieso Hinrichtung?”

      „Na, Henkerknoten, oder kennst Du so etwas nicht mehr?”

      „Ja, richtig.”

      Malvoisin nimmt den Rembrandt ab, kratzt sich am Kopf.

      „Oder hast Du gedacht, der Tote hat sich den Knoten selbst geknüpft?”

      „Na, wenn er tot war, konnte er wohl kaum noch Knoten knüpfen! Sei nicht so pingelig!”

      „Wenn unsereins nicht pingelig wäre,